Die USA bereiten den Bau eines provisorischen Hafens vor der Küste Gazas vor. Präsident Biden verschärft seinen Ton gegenüber Israels Regierungschef. Auch von Bundeskanzler Scholz kommen Forderungen.
Bundeskanzler Olaf Scholz dringt im Gaza-Krieg auf einen länger anhaltenden Waffenstillstand. „Am besten schon während des Ramadans“, sagte der SPD-Politiker in einer am Sonntag verbreiteten Videobotschaft. „Ein solcher Waffenstillstand sollte sicherstellen, dass die israelischen Geiseln endlich freigelassen werden und dass endlich mehr humanitäre Hilfe in Gaza ankommt“, betonte Scholz. Er sei sich sicher, dass sich die große Mehrheit der Israelis und der Palästinenser Frieden wünsche.
Scholz zeigte sich bedrückt darüber, dass sich Musliminnen und Muslime in Deutschland zunehmend Sorgen um den Zusammenhalt machten. „Nach den Berichten über rassistische Deportations-Pläne Rechtsextremer höre ich auch immer wieder besorgte Fragen nach der Zukunft“, sagte er. „Ich finde, unsere Antwort darauf muss ganz klar sein: Wir lassen uns als Land nicht spalten!“ Bürgerinnen und Bürger mit und ohne Migrationsgeschichte gehörten gleichermaßen zu Deutschland.
Für gläubige Muslime beginnt in dieser Woche mit dem ersten Tag des Ramadans eine wochenlange Fastenzeit. Der genaue Termin richtet sich nach dem Erscheinen der Neumondsichel und kann deswegen von Land zu Land leicht variieren. Der Fastenmonat wird in diesem Jahr von den Entwicklungen in Gaza überschattet. Katar, Ägypten und die USA verhandeln seit Wochen zwischen der Hamas und Israel über eine vorübergehende Waffenruhe im Gazastreifen. Die Vermittler hatten gehofft, bis zum Beginn des Ramadans eine Einigung zu erzielen. Neben einer Feuerpause geht es auch um die Freilassung israelischer Geiseln, die von der Hamas entführt worden sind.
Hilfstransporte auf dem Seeweg
Ob Scholz’ Forderung erfüllt wird, ist indes mehr als fraglich. Auch US-Präsident Joe Biden rief den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu erneut zur Zurückhaltung und zum Schutz der Zivilbevölkerung auf. Derweil laufen die Vorbereitungen für Hilfstransporte für die Not leidende Bevölkerung im Gazastreifen auf dem Seeweg. Das Schiff „Open Arms“ der gleichnamigen spanischen Hilfsorganisation lag am Sonntag mit Hilfsgütern fertig beladen im Hafen des zyprischen Larnaka, um in See zu stechen. Es sollte nach Regierungsangaben bis Sonntagabend starten. Larnaka liegt rund 400 Kilometer vom Gazastreifen entfernt.
Das Schiff sei mit rund 200 Tonnen Trinkwasser, Medikamenten und Lebensmittel beladen, sagte ein Sprecher der zyprischen Regierung der Deutschen Presse-Agentur. Es handele sich um eine Probefahrt entlang der Route eines geplanten Hilfskorridors, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der zyprische Präsidenten Nikos Christodoulidis am Freitag angekündigt hatten. An den Hilfslieferungen über die kleine EU-Republik und auf dem Seeweg wollen sich mehrere Staaten, darunter auch Deutschland, sowie verschiedene Organisationen beteiligen.
Wo genau das Schiff anlanden und wie die Hilfe dann zu den Menschen gelangen soll, war zunächst unklar. Das Anliefern der Güter gilt als große Herausforderung, weil es im Gazastreifen nur einen kleinen Fischerhafen gibt, der nicht tief genug für Frachtschiffe ist. Das US-Militär will deshalb gemeinsam mit internationalen Partnern einen temporären Hafen einrichten, dessen Bau aber zwei Monate dauern wird.
Deutschland beteiligt sich an Seekorridor
Das US-Militär transportierte unterdessen erste Ausrüstungsgüter für die Errichtung dieser provisorischen Schiffsanlegestelle in die Region. Das teilte das zuständige Regionalkommando Centcom am Samstagabend (Ortszeit) auf der Plattform X, ehemals Twitter, mit. Die USA und internationale Partner wollen auf diese Weise Lebensmittel, Wasser und Medikamente in das Kriegsgebiet bringen. Die israelische Armee erklärte sich bereit, zusammen mit den US-Streitkräften den Bau zu koordinieren.
US-Präsident Biden beschrieb die Lage der Menschen in Gaza am Samstag als „verzweifelt“. Er betonte zwar, die Verteidigung Israels sei „immer noch von entscheidender Bedeutung“. Auch werde er die Seite Israels nie verlassen. Zugleich übte der US-Präsident aber deutliche Kritik am Vorgehen des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu. „Er schadet Israel mehr, als dass er Israel hilft“, sagte Biden. „Ich glaube, das ist ein großer Fehler.“ Netanjahu müsse den unschuldigen Leben größere Aufmerksamkeit schenken, die als Konsequenz der ergriffenen Maßnahmen verloren gingen. Zuletzt hatten ranghohe Vertreter der US-Regierung den Ton gegenüber Israels Regierung zunehmend verschärft.
Biden warnte auch vor den Auswirkungen einer möglichen Bodenoffensive der israelischen Armee in Rafah. In der an Ägypten grenzenden Stadt suchen derzeit 1,5 Millionen Palästinenser auf engstem Raum Schutz vor den Kämpfen in anderen Gebieten des abgeriegelten Küstengebiets. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass als Konsequenz aus dem Vorgehen gegen die Hamas weitere 30 000 Palästinenser sterben, mahnte Biden in einem Interview.
Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden bislang mehr als 31 000 Menschen im Gazastreifen getötet. Auslöser des Gaza-Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, bei dem Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel rund 1200 Menschen ermordet und 250 entführt hatten.
Tausende Israelis demonstrieren gegen Netanjahu
Bei Demonstrationen in Paris und London forderten am Samstag Medienberichten zufolge Zehntausende Menschen eine sofortige Waffenruhe im Gaza-Krieg. Auch im eigenen Land steht Netanjahu unter Druck. Tausende Menschen protestierten am Samstagabend in Tel Aviv und anderen israelischen Städten für die Freilassung der Geiseln aus der Gewalt der Hamas und gegen Netanjahus Regierung. Nahe dem Sitz des Verteidigungsministeriums hielt die Polizei Demonstranten davon ab, eine Stadtautobahn zu blockieren, berichteten israelische Medien. Die Behörde nahm 16 Personen fest. In Caesarea zog eine große Menschenmenge vor eine private Villa Netanjahus.
Israels Polizei nahm eigenen Angaben zufolge in den vergangenen zwei Wochen auch 20 Einwohner aus dem arabisch geprägten Ostteil Jerusalems fest. Den Verdächtigen werde vorgeworfen, Terrorismus zu unterstützen oder dazu anzustiften, teilte die Polizei mit. Im Internet werden demnach derzeit vermehrt Hetze und Fake News verbreitet, um den muslimischen Fastenmonat Ramadan zu stören und die Region zu destabilisieren. Israels Polizei will eigenen Angaben nach „die sichere Einhaltung der Ramadan-Gebete auf dem Tempelberg ermöglichen und gleichzeitig die Sicherheit in der Gegend gewährleisten“. Der Fastenmonat beginnt etwa in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten am Montag.
In Israel wird in der Zeit mit gesteigerten Spannungen und Konflikten im besetzten Westjordanland und rund um die heiligen Stätten in der Altstadt von Jerusalem gerechnet. Die Hamas im Gazastreifen ist nach Einschätzung des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad bestrebt, die Region im „Ramadan in Brand zu setzen“. Die USA hatten ursprünglich darauf gedrängt, eine Einigung über eine Waffenruhe und die Freilassung weiterer Geiseln aus der Gewalt der Hamas bis zum Beginn des Ramadan unter Dach und Fach zu bringen. Ein von den Vermittlern vorgeschlagenes und von Israel akzeptiertes Abkommen scheiterte jedoch bislang aus israelischer und amerikanischer Sicht an der unnachgiebigen Haltung der Hamas.
Hamas hält an Forderungen fest
Seit Wochen verhandeln Israel und die Hamas in indirekt geführten Gesprächen über eine befristete Waffenruhe. Das Mitglied im Hamas-Politbüro, Husam Badran, sagte dem „Wall Street Journal“, die Islamisten seien zu weiteren Gesprächen bereit. Zugleich aber bekräftigte er die Bedingungen der Hamas. Dazu zähle ein dauerhafter Waffenstillstand, ausreichende Hilfsgüter über sämtliche Grenzübergänge, ein Plan für den Wiederaufbau des Küstengebiets und ein kompletter Rückzug des israelischen Militärs.
Der Vermittlervorschlag sah bisher nur eine sechswöchige Waffenruhe und eine erste Phase des Austauschs von Geiseln gegen palästinensische Häftlinge vor. Während dieser Feuerpause soll dann über einen dauerhaften Waffenstillstand und die Modalitäten der Freilassung aller übrigen Geiseln verhandelt werden. Israel hat bislang keine Bereitschaft gezeigt, von diesem Stufenplan abzurücken.