Kaum noch an die Tat erinnern können will sich ein 20-Jähriger, der auf seinen Stiefvater eingestochen haben soll. (Symbolfoto) Foto: © Falko Matte/Fotolia.com

20-Jähriger Angeklagter will sich vor Gericht kaum noch an Tathergang erinnern können.  

Kreis Rottweil/Tuttlingen - Mit einem Messer soll er mehrfach auf seinen kranken Stiefvater eingestochen haben. Betrunken und unter Einfluss von Cannabis. Diese Anklage erhebt die Staatsanwaltschaft gegen einen 20-jährigen Tuttlinger.

Der Angeklagte sitzt in gebeugter Haltung im Gerichtssaal in Rottweil. Er trägt eine weiße Jacke, blaue Jeans und ein dunkles T-Shirt. Um seinen Hals baumelt an einer Kette ein großes Kreuz. Als er seine Aussage macht, ist er nur schwer zu verstehen. Er nuschelt, drückt sich oft unbeholfen aus. Der Satz "Ich weiß es nicht mehr" fällt oft.

Dennoch schildert er grob, wie sich die Dinge aus seiner Sicht zugetragen haben: Es ist der 20. Dezember 2016. Der 20-Jährige trinkt zuhause eine halbe Flasche Wodka und geht dann zur Flüchtlingsunterkunft. Dort raucht er Marihuana und schaut einen Film. Später kommt er zurück nach Hause, leert die Flasche Wodka vollends. Es ist die Wohnung in Tuttlingen, in der auch sein körperlich schwerkranker und oft auch verwirrter Stiefvater lebt.

Der Stiefvater kommt in sein Zimmer. Er fragt, wo die Toilette sei. Der Angeklagte will den Weg zeigen, doch es kommt zum Streit.

Warum sie gestritten haben, das wisse er nicht mehr, sagt der Angeklagte. Plötzlich ist ein Messer im Spiel. Der Stiefvater ist verletzt, der 20-Jährige bringt ihn deshalb zu Bett. Doch überall ist Blut. So versucht der 20-Jährige seinen Stiefvater zu verbinden. Schließlich ruft er einen Krankenwagen und fragt auch bei einem Nachbarn um Hilfe. Dann kommen Rettungsdienst und Polizei.

Das ist die Geschichte, wie sie der Angeklagte darstellt. An mehr könne er sich nicht erinnern, meint der arbeitslose junge Mann in dem Prozess vor dem Rottweiler Jugendschöffengericht. Der vermeintliche Täter widerspricht sich in seiner Aussage immer wieder, die Richterin bohrt nach. "Er hat mich als ›Arschloch‹ bezeichnet", sagt er an einer Stelle. Und: "Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam, dass ich auf ihn losgegangen bin", an einer anderen. Auch habe er Angst gehabt. Vor sich selbst und "was kommen wird".

Daran, wie er auf den 71-jährigen Stiefvater eingestochen hat, habe er keine Erinnerungen. Auch nicht daran, woher er das Messer hatte. "Ich hatte das Messer plötzlich in der Hand", äußert er.

Nachbarn wollen öfters Streitigkeiten mitbekommen haben

Weiter erzählt er im Prozess, er habe beim Verbinden der Wunden sein Bestes gegeben. Die Ersthelfer finden an dem Opfer später einen Verband und mehrere Pflaster. "Hatten Sie Angst, ihr Stiefvater stirbt?", fragt der Verteidiger des Angeklagten. "Ja" antwortet dieser.

Nichts sagt er dazu, dass er den später eintreffenden Polizisten erzählt haben soll, er habe seinen Stiefvater bereits verwundet vorgefunden. Oder darüber, dass er ihnen gegenüber den Bruder des Stiefvaters als Täter ins Spiel gebracht haben soll.

Ein Notfallsanitäter beschreibt vor Gericht, er habe den Angeklagten in einem apathischen und verwirrten Zustand angetroffen. Auf einen Polizisten, der ebenfalls als Zeuge aussagt, habe er den Eindruck erweckt, dass er erst nach und nach wieder klarer wurde. Der Polizeibeamte berichtet auch, dass beim Alkoholtest des Angeklagten später drei Promille festgestellt wurden.

Nachbarn sagen aus, sie hätten an dem Tag Schreie gehört. Aber dies sei nicht das erste Mal gewesen, man habe schon öfter Streitigkeiten mitbekommen.

Auch das Opfer kommt zu Wort, allerdings nur durch die Verlesung eines Verhörs. Der 71-Jährige ist inzwischen verstorben – laut Richterin nach aktueller Aktenlage nicht an den Folgen der Tat.

Der Stiefvater hat laut einem Verhör-Protokoll noch auf der Intensivstation ausgesagt: Er sei schon mehrfach von seinem Stiefsohn angegriffen worden. Ihr Verhältnis sei schwierig. Bei dem Vorfall habe ihn der Stiefsohn mit einem Küchenmesser attackiert. "Ich denke, es hat einen Streit gegeben", soll er ausgesagt haben. Weiter soll der 71-Jährige über seinen Stiefsohn gemeint haben: "Er ist halt ein aggressiver Mensch".

Das Gericht vernimmt weitere Zeugen. Ein Urteil, bei dem auch die Feststellungen von zwei Sachverständigen eine Rolle spielen, wird für Ende Mai erwartet.