Weiter! Robert Häring (links) fordert den Lastwagefahrer (nicht auf dem Bild) auf, schleunigst den Bahnübergang frei zu machen. Beobachtet wird die Szene von Udo Becker, Stefan Teufel, Eckart Fricke und Volker Kauder (von links). Foto: Schulz

Vor-Ort-Termin mit Volker Kauder und Bahn-Bevollmächtigten. Verkehrsteilnehmer kümmern sich wenig um Verbotsschilder.

Kreis Rottweil - Volker Kauder verschlägt es beinahe die Sprache, als er das sieht: "Ja, darf der das denn?", fragt er in die Runde, als sich der Lastwagen dem Bahnübergang in Talhausen nähert und der Fahrer keine Anstalten macht, anzuhalten oder kehrt zu machen. "Wollen Sie da allen Ernstes rüber?", wird der Fahrer gefragt. Er will, und er wird. Dabei dürfte er nicht, um die Frage von Kauder, Wahlkreisabgeordneter und Unionsfraktionschef in Berlin, zu beantworten.

Womit wir bereits beim Thema wären: der Sicherheit an Bahnübergängen.

In Talhausen, einem Ortsteil von Epfendorf, hat sich eine illustre Runde eingefunden: Neben Kauder ist der CDU-Landtagsabgeordnete Stefan Teufel gekommen, ebenso Eckart Fricke, der Konzernbevollmächtigte der Deutschen Bahn AG für Baden-Württemberg, Udo Becker, Leiter Produktionsdurchführung Freiburg DB Netz, und der Epfendorfer Bürgermeister Peter Boch.

Das Dorf hat Anfang des vergangenen Monats traurige Berühmtheit erlangt. Ein Personenzug war gegen einen Tieflader geprallt, der auf den Bahngleisen liegengeblieben war. Über 30 Personen wurden dabei zum Teil schwer verletzt. Dass der Unfall noch einigermaßen glimpflich ausging – es gab keine Toten zu beklagen – ist der schnellen Reaktion und dem beherzten Eingreifen Karlheinz Binders zu verdanken. Er war dem Zug entgegengerannt und hatte vor der Gefahr gewarnt. So konnten sich der Lokführer und eine weitere Begleitperson in das Zuginnere flüchten und die Fahrgäste warnen.

Seitdem und seit einem weiteren, einem tödlichen Unfall in Albstadt-Laufen (Zollernalbkreis) einige Zeit später, wird über die Sicherheit der Deutschen Bahn diskutiert, zuweilen kontrovers.

Unbestritten ist: Der Lastwagen hätte nie und nimmer auf dieser Gemeindestraße unterwegs sein dürfen. Sie ist für Fahrzeuge von maximal 3,5 Tonnen zugelassen, der Tieflader wog mitsamt Ladung 48 Tonnen. Auch über die Brücke hätte er nicht fahren dürfen. Die dortige Tonnagenbeschränkung liegt bei 24 Tonnen. Der Lastwagenfahrer Anfang Juli hat es dennoch getan.

Verkehrsteilnehmer kümmern sich wenig um Verbotsschilder

Er ist nicht der einzige. Volker Kauder und die Bahnvertreter werden Zeugen, wie ein weiterer Lkw die Bahngleise passiert. Auch er hätte nicht darüber fahren dürfen. Und dann das: Eine Familie auf dem Rad quert bei Rot den Übergang. Der Clou: Der Lastwagen der Abfallbeseitigungsfirma kehrt zurück. Kauder perplex: "Der kommt schon wieder."

Das ist die eine Erkenntnis des Vor-Ort-Termins: Die Verkehrsteilnehmer kümmern die Verbotsschilder und die Verkehrsregeln in Talhausen offensichtlich wenig: Robert Häring, ein Verfechter der Sichtweise der Deutschen Bahn, bringt das schier zur Verzweiflung, als der eine Brummifahrer mitten auf den Bahngleisen anhält, um mit den Herren in den Anzügen auch noch ins Gespräch zu kommen. "Was, wenn der jetzt seinen Motor abwürgt, er nicht mehr rechtzeitig runterkommt und sich ein Zug nähert?"

Rund 70 Züge passieren täglich den dortigen Streckenabschnitt, dabei sind sie 110 Stundenkilometer schnell. Während des Gesprächs gehen alle paar Minuten die Schranken herunter, rauscht ein roter Zug vorbei.

Häring gibt dem Fahrer mit heftigen Ruderbewegungen seiner Arme unmissverständlich zu verstehen, dass er schleunigst weiterfahren soll. Nicht dass genau das passiert, was zukünftig verhindert werden soll: ein Zugunglück.

Kauder hatte zu diesem Gespräch eingeladen. Er will von der Bahn erfahren, was man in Talhausen konkret tun könne, damit es nicht mehr zu einer solchen Situation wie Anfang Juli kommt.

Die Bahn hatte auf Anfrage des Schwarzwälder Boten in der Vergangenheit mit schöner Regelmäßigkeit darauf verwiesen, dass sie sich strikt an Gesetz und Ordnung halte und sie keinen Anlass sehe, etwas zu unternehmen.

Auf dieser Basis argumentieren auch die Bahn-Verantwortlichen Fricke und Becker. Sie verweisen auf die Sicherungssysteme in Talhausen und betonen, die Anlage sei doppelt gesichert, bei Ausfall eines Bauteils gebe es gar eine Rückfallebene.

Fricke erklärt des Weiteren, die Unfallzahlen an Bahnübergängen seien rückläufig. Zuletzt habe es 193 Unfälle gegeben, vor Jahren noch seien es 600 gewesen. Und auch dieser Hinweis darf nicht fehlen: "Leider seien 95 Prozent der Fälle auf das Fehlverhalten Dritter zurückzuführen", so der Konzernbevollmächtigte. Also auf die anderen, die Auto- und Lastwagenfahrer sowie Fußgänger.

Das ist die Kernbotschaft der Bahn: Die Straßenverkehrsteilnehmer müssten sich eben korrekt verhalten. Bei Rotlicht dürfe man eben nicht über den Übergang fahren.

Bahnkritiker und Verkehrsexperten wie Franz Schilberg hingegen bemängeln, dass an etlichen Bahnübergängen die Kuppen zu stark ausgebildet seien.

Dabei empfiehlt auch das Eisenbahnbundesamt als Aufsichtsbehörde in einem Schreiben vom April dieses Jahres vor dem Hintergrund des hohen Gefahrenpotenzials, das von liegengebliebenen Fahrzeugen ausgehen könne, "Gefahrenraum-Freimeldeeinrichtungen" stärker einzusetzen, um mögliche Schäden und Folgen zu minimieren. Aber auch hier widerspricht Fricke auf Nachfrage. Wenn man technisch aufrüste, ist die Frage, was das koste, wie zuverlässig die Systeme seien, was sie taugten. Fragen, die sich die Bahn offensichtlich aber noch gar nicht gestellt hat, denn Antworten darauf hat sie nicht.

Und nun folgt die zweite Erkenntnis des Treffens: Es wird was passieren. Das teilt Bürgermeister Peter Boch mit. Die Kuppe in Talhausen soll nun doch abgeflacht, neue Verkehrsschilder sollen aufgestellt, der Verkehr nur für Anlieger freigegeben werden. Und klar: Es bleibt bei der Beschränkung von maximal 3,5 Tonnen für Fahrzeuge. Innerhalb der nächsten drei Wochen solle ein Gutachten klären, was genau zu tun ist und was das kosten werde. Kauder und Teufel sagen zu, sich um entsprechende Finanzmittel zu kümmern.

Talhausen bleibt zunächst ein Einzelfall, an anderen Bahnübergängen wird sich deswegen so schnell nichts tun. Selbst, wenn Kauder ankündigt, er wolle die Bundesregierung auffordern, sich der Sache grundsätzlich anzunehmen.

Kauder ist mit dem Ergebnis zufrieden. Beeindruckt indes ist er von der schludrigen Verkehrsmoral. Es müsse seit Jahren bekannt sein, dass hier was im Argen liege, äußert der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag. Das könne man so nicht lassen, da müsse was getan werden, sagt er, bevor er sich aufmacht.