Am Landgericht Tübingen ging der Vergewaltigungsprozess gegen den als "Dr. Schenk" bekannten Hochstapler zu Ende. Foto: Martin Bernklau

Der falsche Arzt "Dr. Schenk" muss noch einmal ins Gefängnis. Langer Leidensweg für das Opfer.

Tübingen/Kreis Calw - Der als falscher Arzt "Dr. Schenk" einsitzende Sascha S. ist am Dienstag von der Großen Strafkammer des Landgerichts Tübingen zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt worden – wegen vier Vergewaltigungen einer minderjährigen Internet-Bekanntschaft in Stuttgart und nahe Calw aus der Zeit vor seiner Hochstapelei in München und Horb. Die junge Frau war eine Woche vor der Eröffnung der Hauptverhandlung in Australien gestorben.

Im Gerichtssaal flossen immer wieder Tränen, selbst bei Justiz-Angestellten im Dienst. "Auch Richter und Anwälte sind keine Maschinen", sagte der Vorsitzende am Ende ganz leise. Richter Ralf Peters hatte stellenweise Mühe, die Form und die Fassung zu bewahren. Er habe noch nie eine Hauptverhandlung erlebt, "in der so intensiv den Folgen einer Tat nachgegangen werden musste".

Seine Urteilsbegründung am Dienstag im Vergewaltigungs-Prozess gegen den 31-jährigen Sascha S. glich phasenweise sogar einer einfühlsamen Grabrede auf Madeleine K., die zwölf Tage vor der Eröffnung der Hauptverhandlung im fernen Australien offenkundig an den psychosomatischen Folgen der angeklagten Taten gestorben war.

Sascha S. war vor drei Jahren in einem spektakulären Verfahren als falscher Arzt "Dr. Schenk" in Horb und München verurteilt worden (wir berichteten). Die jetzt verhandelten Vergewaltigungen datieren viel früher, aus den Jahren 2007 und 2008. Erst fünf Jahre danach – der einsitzende Hochstapler Sascha S. war schon Freigänger mit Hoffnung auf Haftverkürzung – hatte eine von der Mutter eingeschaltete Anwältin Anzeige erstattet, nachdem die völlig aus der Lebensbahn geworfene Madeleine sich ihr offenbart hatte.

"Eine kaum fassbare Leidensgeschichte", so der Richter, musste da beleuchtet werden. In die dann neunköpfigen Familie des damals 16-jährigen Mädchens waren Drillinge geboren worden. Die – nach Richter Peters – hochbegabte, für Musik und Theater engagierte Calwer Gymnasiastin hatte daran zu knapsen, dass nicht ihr Vater, sondern der erste Mann ihrer Mutter ihr Erzeuger war (selbst da kam vor Gericht noch eine weitere Wendung zutage). Die beruflich bedingten Ortswechsel der Familie zwischen Schwaben, Australien und Nordrhein-Westfalen hätten Madeleine belastet. Trotzdem sei die Gymnasiastin "fröhlich, selbstbewusst und extrovertiert" geblieben. Bei ihren Freundinnen und auf Internet-Foren suchte das Mädchen Vertrautheit und Nähe, die in der großen Familie nicht mehr so leicht zu bekommen waren.

Sascha S. gewann so nach Auffassung des Gerichts offenbar ein Vertrauen, ohne es zielgerichtet zu erschleichen. Doch der erste wirkliche Kontakt endete in einer Katastrophe. Madeleine hatte sich bei ihrer Mutter zur Übernachtung bei einer Freundin abgemeldet und war mit Bus und Bahn zu einem DVD-Abend in die Stuttgarter Wohnung von Sascha S. ausgebüxt. Zwei weitere Mädchen waren zunächst auch dabei. Als die anderen weg waren und Madeleine schlafen gehen wollte, würgte Sascha S. nach Überzeugung des Gerichts die sexuell unerfahrene Jugendliche, zog ihre die Hosen aus und vergewaltigte sie trotz ihrer Gegenwehr brutal auf seinem Wasserbett. Sie habe Todesangst gehabt, sich nach ihren eigenen Aussagen danach "weggebeamt", so der Richter, und soll völlig verstört am nächsten Morgen die zuvor verschlossene Wohnung verlassen haben.

Danach, so zitierte der Richter die Aussagen der Mutter, habe sie ihre Tochter "nicht mehr wiedererkannt". Das Mädchen wandte sich mit – erst im Nachhinein klaren – Andeutungen an ihre Freundin, ihre Lehrerin, magerte binnen drei Monaten um 30 Kilo ab, kam in Behandlung und begann sich zu "ritzen". Schon vor dem erneuten Auftreten des Peinigers begann eine Odyssee zu vielen Therapeuten und Kliniken, wo oft nur eine alterstypische Ess-Störung wahrgenommen wurde.

Die Freundin Jenny aus Nordrhein-Westfalen war ihr offenbar Stütze und einzige Vertraute, als Sascha S., am Ende einer Beziehung zum (später verurteilten) Stalker geworden, wieder Kontakt mit Madeleine aufnahm, sie mit Drohungen und Vorwürfen zu Treffen nahe ihrem Wohnort erpresste und sie gefügig machte.

Einmal muss sich Madeleine im November 2008 auf den schon dunklen Waldplätzen noch mit Fluchtversuchen und handgreiflichem Widerstand gegen die Vergewaltigung im Auto gewehrt haben. Beim zweiten Mal hatte sie sogar ein Messer dabei. Nach dem dritten Mal soll sich das Mädchen kaum bekleidet in den Schnee gelegt haben, um zu sterben. Nach dem Beginn einer neuen Beziehung, so ist das Gericht überzeugt, verlor Sascha S. das Interesse an Madeleine und war sich sicher um deren Stillschweigen.

Die Staatsanwältin Rotraud Hölscher hatte in ihrem Plädoyer neuneinhalb Jahre Haft als Gesamtstrafe für die vier Vergewaltigungen gefordert. Während des Prozesses zog sich Sascha S. auf sein Schweigerecht zurück und äußerte sich mit keinem Wort zu den Vorwürfen. Sein Verteidiger Jens Rabe hatte auf einen Freispruch mangels Beweisen plädiert.

Die Aussagen der am Ende nicht mehr reisefähigen jungen Frau, teilweise auf Video einer australischen Ermittlungsrichterin dokumentiert, wertete die Große Strafkammer am Ende als "absolut glaubwürdig". Was Sascha S. über seinen Anwalt und in früheren Vernehmungen an entlastenden Versionen vorgelegt hatte, zerlegte der Richter in seiner Urteilsbegründung noch einmal in vielen Details stichhaltig als falsche Schutzbehauptungen.

Die Strafkammer gewichtete die Schwere der Taten anders als die Staatsanwältin. Die mit Drohungen geplanten drei Nachfolge-Vergewaltigungen setzte sie mit jeweils fünf Jahren an, für das erste traumatisierende Verbrechen – brutal, aber nicht geplant – fand sie ein Strafmaß von vier Jahren für tat- und schuldangemessen. Eine direkte strafrechtliche Schuld von Sascha S. für den Tod von Madeleine hielt der Vorsitzende für nicht nachweisbar. Die Einzelstrafen wurden zu neuneinhalb Jahren Haft zusammengefasst.