Für den angehenden Hausarzt Ingo Claßen (links) und seine Kollegen, die sich gestern auf Einladung des Klinikverbunds Südwest über die Möglichkeiten einer Ansiedlung als Hausarzt im Kreis Calw informierten, kommt es vor allem auf die "nichtmedizinischen Aspekte" bei der Standortwahl an. Foto: Kunert

Bis 2020 müssen rund 50 Mediziner-Stellen besetzt werden. Landkreis wirbt, Gemeindetag fordert Rechtsanspruch.

Kreis Calw/Bad Wildbad - Gleich zwei Veranstaltungen beschäftigten sich gestern im Kreis Calw mit dem Thema Hausarztversorgung im ländlichen Raum. Während im Landratsamt um Mediziner geworben wurde, forderte der Gemeindetag im Anschluss an eine Vorstandssitzung in Bad Wildbad einen Rechtsanspruch auf einen Hausarztsitz in jeder Gemeinde.

Hausärzte werden vor allem im ländlichen Raum immer knapper – und dadurch auch begehrter. Der Klinikverbund Südwest lud deshalb gestern potenzielle Kandidaten für diese Mediziner-Stellen zu einem Informationsbesuch ins Calwer Landratsamt ein.

Dort hatten sich fast alle Bürgermeister aus dem Kreis Calw zu einem sogenannten "Land-Tag" versammelt, um die tatsächlich erschienenen, rund zwei Dutzend neugierigen Mediziner über die Vorzüge der Region und die hohe Lebensqualität im Nordschwarzwald zu informieren – wobei Frank Wiehe als Erster Landesbeamter und Stellvertreter des Landrats in seiner Begrüßung die zentrale Bedeutung der Hausarztsituation für die Kommunen heraushob. Das wichtigste Pfund, mit dem der Kreis Calw bei der Werbung um die Gunst des Hausärzte-Nachwuchs wuchern könne: "Eine herausragende Lebensqualität und hohen Freizeitwert, mit attraktiven Jogging-Strecken vor jeder Haustür."

Und tatsächlich bestätigte beispielsweise Ingo Claßen, einer dieser angehenden Hausärzte, die mit dem Gedanken spielen, demnächst eine Landarztpraxis zu übernehmen, dass es vor allem auf die "nichtmedizinischen Aspekte" bei der Standortwahl ankomme.

"Mir persönlich geht es um guten Lebensraum für die Familie, um attraktive Bildungsangebote für die eigenen Kinder und ein schneller Zugang zu echter Natur", so Claßen, der derzeit in einer großen Gemeinschaftspraxis in Tübingen beschäftigt ist. In seinem persönlichen Fall sei auch eine gute Erreichbarkeit von Tübingen entscheidend, um den Kontakt mit dem bestehenden Freundes- und Bekanntenkreis aufrecht erhalten zu können.

Doch selbst wenn alle zwei Dutzend Mediziner, die zu diesem ersten Land-Tag nach Calw kamen, später auch einmal wirklich im Landkreis ihre Zelte aufschlagen würden, "bleibt das nur ein Tropfen auf den heißen Stein", wie Frank Wiehe vor Beginn der Veranstaltung deutlich machte: "Wir brauchen bis zum Jahr 2020 über 50 neue Hausärzte im Kreisgebiet. Das sind gerade mal noch sechs Jahre."

Bundesweit fehlten mehr als 7000 Hausärzte, was deutlich mache, was für ein gewaltiger Wettbewerb um den Ärztenachwuchs derzeit herrsche.

Im Kreis Calw versuchte man gestern daher mit einem Schaulaufen der verschiedenen vorhandenen medizinischen Einrichtungen und einem kleinen, auch kulinarischen Ausflug durch die Höhepunkte des Kreises mit Kloster Hirsau und Bad Wildbader Bergbahn aufzutrumpfen.

Sogar der erst ab heute für die Bevölkerung freigegebene nagelneue Baumwipfelpfad in Bad Wildbad wurde extra für einen Rundgang der angereisten Mediziner geöffnet. "Wie Sie sehen, lassen wir nichts unversucht, Sie für den Kreis Calw zu begeistern", so Wiehe in einer ungewohnten Rolle als Reiseführer.

Nicht mehr sonderlich überzeugt vom Sinn solcher Werbeveranstaltung um den Ärztenachwuchs ist man allerdings beim baden-württembergischen Gemeindetag. Deren Präsident Roger Kehle stellte vor Pressevertretern klar: "All diese Einzelmaßnahmen der Kommunen und auch der Ärzteverbände sind gut, aber sie haben kein echtes Potenzial, das Problem der Hausarztversorgung in der Fläche auf Dauer in den Griff zu kriegen."

Der deshalb geforderte Rechtsanspruch für Gemeinden auf einen Hausarztsitz, der dann von den Kassenärztlichen Vereinigungen umzusetzen sei, solle "neue Bewegung" in die politische Diskussion bringen – "und für jede einzelne Kommune echte Lösungsperspektiven."