Jennifer Mauch (links) und Britta Straub sind Pflegekräfte beim Klinikverbund Südwest. Foto: Klinikverbund

Zum Tag der Pflege sprechen zwei Pflegefachkräfte aus dem Klinikverbund Südwest, einem Zusammenschluss der Krankenhäuser der Landkreise Böblingen und Calw, offen darüber, wie sie die vergangenen 15 Monate erlebt haben.

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Kreis Calw/Kreis Böblingen - Jennifer Mauch, die an den Kliniken Calw die Bereichsleitung in der Kardiologie und der Covid-Station innehat, und Britta Straub, die in der hämato-onkologischen Station in den Kliniken Sindelfingen arbeitet, sind beide auf ganz unterschiedliche Weise vom Pandemiegeschehen betroffen.

In den letzten 15 Monaten wurden allein im Klinikverbund Südwest über 3600 stationäre Covid-Patienten behandelt. Wie haben Sie das erlebt?

Jennifer Mauch (JM): Es war schon ein bisschen beängstigend, wir wussten ja nicht, was da auf uns zukommen würde. Ziemlich bald waren wir durchgängig voll belegt. Die Struktur der Station wurde komplett geändert. Es wurden neue Standards eingeführt, neue Überwachungsbögen, die Patientenbeobachtung wurde intensiver, weil sich der Zustand eines Covid-Patienten sehr schnell ändern kann. Körperlich ist die Arbeit auf der Covid-Station anstrengender: In der Schutzkleidung schwitzt man ziemlich stark. Auch die psychische Belastung ist höher, denn die Patienten sind alleine, es kommt kein Besuch. Ich habe mich manchmal nicht als Pflegekraft gefühlt, sondern als Tochter oder Enkelin. Auch für sterbende Covid-Patienten war man die einzige Bezugsperson.

Britta Straub (BS): Auf der Hämato-Onkologie bin ich am anderen Ende des Geschehens. Aufgrund der Hochdosis-Chemotherapien sind die Patienten höchst infektionsgefährdet und dürfen nicht mit Keimen in Berührung kommen. Da sie in der Regel isoliert sind, ist die Arbeit mit Maske und Schutzkittel für uns nichts Neues. Corona überlagert viel, man darf aber nicht die anderen, ebenfalls lebensgefährlichen Erkrankungen vergessen. Für das Pflegepersonal bedeutet das alles eine enorme Belastung.

Was haben Sie im letzten Jahr am meisten vermisst im Hinblick auf Corona? Wie hat sich Ihr Leben durch die Pandemie verändert?

BS: Meine Freizeit hat sich auf Null reduziert – alles weg. Dadurch ist mir der Ausgleich zur Arbeit auf Station abhandengekommen. Ich merke, dass ich langsam mit meiner Geduld am Ende bin, besonders mit Menschen, die sehr lässig mit den Hygieneregeln umgehen, weil die Pandemie deshalb länger dauert. Ich hoffe, dass alle sich mal zusammenreißen, damit wir das Thema hinter uns lassen können.

JM: Ich bewege mich nur noch zwischen Arbeit und Zuhause. Die Kontakte sind auf ein Minimum eingeschränkt. Ich verstehe die Leute, die nach einem Jahr sagen, sie können nicht mehr. Aber wenn ich dann die Covid-Patienten sehe, denen es wirklich schlecht geht, denke ich: Jetzt reißt euch doch bitte noch ein oder zwei Monate zusammen! Auch ich habe manchmal gedacht, ich kann nicht mehr. Aber jetzt, wo die Impfungen an Fahrt aufnehmen, hoffe ich, dass wir uns langsam der Ziellinie annähern. Mich impfen zu lassen, war daher für mich selbstverständlich. Ich tue es ja nicht nur für mich, sondern auch für meine Patienten wie auch meine Angehörigen.

BS: Das sehe ich genauso. Ich hatte von Anfang an die Befürchtung, dass es lange dauert. Was mich aber wirklich erschütterte, war, dass keiner einen Plan hatte, wie man mit einer Pandemie umgeht. Nach MERS und SARS muss doch klar gewesen sein, dass so etwas irgendwann einmal kommen würde! Man hat kreativ Lösungen gefunden, bei uns im Verbund war relativ schnell alles abgesperrt und geregelt. Das lief super, aber es gab auf Bundesebene kein fertiges Konzept für den Katastrophenfall. Stattdessen sind wir gefühlt bei Null gestartet. Das hat mich geschockt.

Anlässlich des heutigen Tages der Pflege denkt man zurück: Der Applaus auf den Balkonen ist längst verhallt, umgesetzt wurde von den Versprechungen nicht sehr viel. Was wünschen Sie sich von Gesellschaft und Politik?

BS: Ich wünsche mir mehr Verständnis für unsere Situation als Pflegekraft. Wir sind doppelt betroffen, im beruflichen Alltag und privat. Daran denkt zum Beispiel so mancher Besucher nicht. Mir fehlen aber Zeit und Kraft für die sinnlosen Diskussionen zum Beispiel um Besuchszeiten oder den Mundschutz, der auch im Patientenzimmer aufgelassen werden muss. Wir machen die Regeln nicht zum Spaß und ich wünsche mir, dass das respektiert wird. Außerdem glaube ich nicht, dass Politiker Einblick haben in das tatsächliche Geschehen. Es wird viel geworben, mit mehr Geld und mehr Personal. Der Spruch: "Jeder kann pflegen" stimmt aber nicht. Pflege ist eine Profession und nicht eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Bis qualitativ hochwertige Mitarbeiter zur Verfügung stehen, vergehen Jahre. Schnelle Lösungen, wie die Politik sich das vorstellt, gibt es nicht.

Haben Sie eine Idee, wie man das lösen könnte?

BS: Man muss den Beruf attraktiver machen. Klarstellen, wie wichtig und verantwortungsvoll diese Arbeit ist und auch die emotionale Seite ansprechen: Wenn Patienten zufrieden sind und sich bei einem gut aufgehoben fühlen, dann ist das ein Geschenk, und man hat wirklich was geleistet.

JM: Ich denke, die Pflege muss auf jeden Fall lauter werden, ohne sie würde im Krankenhaus nichts laufen. Das müssen die Pflegekräfte nach außen tragen.

BS: Mich stört auch das mangelnde Ansehen in der Gesellschaft. Ich habe lange Jahre in England gearbeitet. Wenn man da sagt, man ist eine "Nurse", haben die Leute richtig Ehrfurcht, weil sie wissen, was wir leisten. Das ist in Deutschland leider nicht so.

Da es kaum Besuche geben darf, kommt Pflegekräften häufiger auch diese emotional aufgeladene Rolle zu. Wie gehen Sie damit um?

JM: Bei Patienten, die keine Besuche bekommen, war das auch schon vor Corona so. Auch die Sterbebegleitung ist intensiver, weil man die einzige Kontaktperson ist. Dann sitzt man am Bett und hält die Hand und ist einfach nur traurig, weil man weiß, daheim ist die Frau, die ihn jetzt nicht besuchen darf. Mein erster verstorbener Covid-Patient war für mich ganz schlimm. Man muss diese Patienten in Leichensäcke packen und den Reißverschluss zumachen. Für mich gehört es immer dazu, die verstorbenen Patienten für die Angehörigen zu richten, als Abschluss und um die Würde des Menschen zu bewahren. Ich richte verstorbene Covid-Patienten trotzdem und kämme ihnen die Haare. Zum Glück ist man damit nicht allein, sondern hat seine Kollegen. So eine Zeit gemeinsam durchzumachen, schweißt das Team zusammen.

Sie lieben beide ihren Beruf: Warum machen Sie das trotz allem immer noch gern?

BS: Ich freu mich, wenn die Patienten das Gefühl haben, ich betreue sie gut, sie können mir vertrauen, fühlen sich sicher. Das gibt mir das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben und das ist sehr befriedigend.

JM: Für mich ist der Pflegeberuf einer der schönsten Berufe, weil man so viel zurückbekommt und das Gefühl hat, sinnvolle Arbeit zu leisten. Ich darf jeden Tag was anderes machen, Neues dazulernen und mit Menschen arbeiten. Deshalb bin ich froh, den Weg so gewählt zu haben. Auch die Arbeit mit den Kollegen, die trotz aller Belastungen ihr Lachen nicht verlieren – davon ein Teil zu sein, macht mich stolz.