Viele Besucher verfolgten die Präsentation des Klinikgutachtens im Kreistag. Foto: Fritsch

GÖK stellt Gutachten zur Zukunft der Kliniken vor: Experten schlagen Neubau eines 100-Betten-Hauses in Calw vor.

Kreis Calw - Das mit Spannung erwartete Gutachten zur strategischen Neuausrichtung der Krankenhäuser ist da. Die Gutachter von GÖK Consulting empfehlen, die Klinik Nagold zum Schwerpunktkrankenhaus mit 269 Betten mit Grund- und Regelversorgung inklusive ausgewählter Schwerpunkte zu machen und in Calw ein 100-Betten-Haus für die Grund- und Regelversorgung neu zu bauen.

Das Interesse an dem Gutachten zur Zukunft der Kreiskliniken war enorm. 370 Bürger – 170 im Sitzungssaal und weitere 200 in der Cafeteria des Landratsamtes – lauschten gestern zwei Stunden lang den Ergebnissen der Gutachter aus Berlin.

Jörg Risse von der GÖK Consulting ging in seiner Präsentation erst einmal auf den Ist-Zustand ein. Und der stellte für die beiden Kliniken bei einem Umsatz von 61,5 Millionen Euro im Jahr 2012 einen Verlust von 6,26 Millionen Euro fest. Zwar konnte man die Zahl der behandelten Fälle steigern, allerdings nahm die Schwere der Fälle und damit auch die Höhe der fallbezogenen Entlohnung ab. Darüber hinaus fraßen auch die steigenden Personalkosten die steigenden Erlöse auf. Zudem nahm die Zahl der Vollkräfte deutlich stärker zu als die Produktivität. Beide Häuser haben demnach klare Überkapazitäten. Das 191-Planbetten-Haus in Calw hatte 2012 29 Betten zu viel, um wirtschaftlich zu arbeiten, das 219-Betten-Haus Nagold 20 Betten zu viel.

In der Grundversorgung haben beide Häuser einen nur relativ geringen Marktanteil. In Calw nutzen nur gut 30 Prozent die entsprechenden Angebote des Klinikums, der Rest geht zu Wettbewerbern. In Nagold liegt der Marktanteil des Krankenhauses sogar noch etwas darunter. In der Schwerpunktversorgung liegt man bei einem Marktanteil von etwas mehr als 40 Prozent in Calw und Nagold.

Risse zeigte auf, wie sich die finanzielle Situation bis 2020 weiter entwicklen würde, würde man die Entwicklung so weiter laufen lassen wie bisher. In sieben Jahren läge dann das jährliche Minus bei zehn Millionen Euro. Aufbauend auf diesen Zahlen untersuchte GÖK Consulting drei Szenarien auf ihre Zukunftstauglichkeit im Sinne der von der Bürgerbeteiligung und dem Landkreis Calw vorgegebenen Bedingungen:

Szenario 1: Dieses Szenario geht von zwei 80-Betten-Häusern der Grund- und Regelversorgung an den beiden Standorten aus – mit Innerer Medizin, Chirurgie, Anästhesie und Intensivmedizin sowie der Gynäkologie und einem Therapiezentrum. Dazu käme noch ein Facharztzentrum an beiden Standorten. Doch bei dieser Variante würden den Krankenhäusern 11 000 Fälle oder 50 Prozent der Erlöse verloren gehen. Damit wäre das Ergebnis im Jahr 2020 schlechter als bei der Beibehaltung des Status quo. Die Verluste würden sogar auf 13 Millionen Euro steigen. Deswegen kommt dieses Szenario für die Gutachter nicht in Frage.

Szenario 2: Dieses Szenario befasst sich mit der so genannten Einhäusigkeit, dem Neubau eines zentralen Klinikums an einem neuen Platz. Die Gutachter gingen von einem fiktiven neuen Standort in Wildberg, der geografischen Mitte zwischen Calw und Nagold, und einem Haus mit 340 Betten aus. Ein solches Klinikum, das eine dreistellige Millionensumme an Baukosten verschlingen würde, könnte zwei Stationen für die Chirurgie und der Inneren Medizin, eine Gynäkologie, eine Urologie, eine Neurologie mit Schlaganfallversorgung sowie eine Anästhesie und Intensivstation enthalten, darüber hinaus eine Tagesklinik Onkologie, ein Therapiezentrum, eine Kurzzeitpflege sowie ein großes Facharztzentrum. An so einem zentralen Standort könnte man zwar 17 000 Fälle behandeln, doch eine anzustrebende Lösung ist das für die Gutachter nicht. Die Variante sei zwar besser als der Status quo, führte Jörg Risse aus, doch angesichts der hohen Zinsen und Abschreibungen wäre auch sie nicht auf Dauer wirtschaftlich.

Szenario 3: Diese Variante favorisieren die Experten und Gutachter der GÖK Consulting eindeutig. Sie sieht vor, die Grund- und Regelversorgung an beiden Standorten beizubehalten, allerdings Nagold zum Schwerpunktkrankenhaus mit 269 Betten und ausgesuchten Spezialisierungen auszubauen. So soll etwa der Schwerpunkt der Orthopädie und der Neurologie von Calw nach Nagold verlagert werden. Gleichzeitig schlagen die Gutachter vor, das 100 Jahre alte Krankenhaus in Calw stillzulegen und für 30 Millionen Euro eine neue 100-Betten-Klinik zu erstellen. Beide Krankenhäuser bekämen ein angegliedertes Facharztzentrum, in dem die externen Mediziner die Ausstattung des Klinikums mitnutzen könnten. Unklar blieben die Formulierungen zur Geburtshilfe in Calw und Nagold. In Calw solle man sie solange weiterbetreiben, wie die Belegärzte vor Ort seien, im Fall von Nagold empfahl der Gutachter eine Kooperation mit dem benachbarten Herrenberg.

Als ein Hauptargument für die Verlagerung des Schwerpunkts nach Nagold nannte Risse, dass man dort deutlich mehr neue Patienten gewinnen könne als in Calw, das in seiner Nähe deutlich mehr potente Konkurrenz – etwa die Sana-Klinik Bad Wildbad – habe. Die Gutachter rechnen in diesem Szenario mit fast 19.000 Fällen, die man in den Kliniken des Kreises Calw pro Jahr behandeln könne. 2100 Patienten würden dabei von Calw nach Nagold wandern, 2000 gingen Calw an andere Mitbewerber verloren. Sollte das Konzept so umgesetzt werden, gehen die Experten im Jahr 2020 von einem geringen Ergebnis-Überschuss von gut einer Million Euro aus – und in dieser Berechnung seien auch die in Nagold nötigen Investitionen von fast 40 Millionen Euro mit eingerechnet, betonte Risse.

Auch der Calwer Neubau rechne sich. Allein aus den ohnehin nötigen 17 Millionen für die Grund-Sanierung des Altbaus und den zu erwartenden Landeszuschüssen ließe sich dieser Bau realisieren. Dabei seien die ebenfalls am Altbau nötigen Investitionen in den Brandschutz noch gar nicht mit einbezogen. Sorgen um die Attraktivität eines verkleinerten Standorts Calw machen sich die Gutachter nicht. Die sei durch den Neubau durchaus gegeben.

Seite 2: Stimmen zum Krankenhaus-Gutachten

Calws Oberbürgermeister Ralf Eggert wollte zum Inhalt des Gutachtens gestern Abend gar nichts sagen. Er brauche noch etwas Zeit, um hinter alle Details zu kommen. Auf keinen Fall wolle er in Populismus verfallen. Eggert erneuerte aber seine Aussage, dass die Zeit bis zur Entscheidung im Kreistag viel zu knapp bemessen sei. Und das Bürgerforum, das keinesfalls einen Querschnitt der Bevölkerung darstelle, könne sich Ende der Woche in Schönbronn auch nur ein paar Stunden lang mit der schwierigen Materie befassen. Das reiche auf keinen Fall aus, um für den Kreistag eine inhaltlich vernünftige Empfehlung zu formulieren.

"Die vorgestellten Zahlen stimmen nicht", sagte der Calwer Steuerberater und Krankenhausexperte Bernd Neufang. Die Rechnung, dass zwei Krankenhäuser ein besseres Ergebnis schreiben als ein neues in Wildberg, geht seiner Meinung nach nicht auf. Und im Falle von Calw sei nicht berücksichtigt worden, dass durch den Weggang der Chefärzte Martin Manner sowie Konrad Bäuerle in den Jahren 2011/2012 eine besondere Situation eingetreten sei. Auffallend ist nach Neufangs Meinung auch, dass seit der Etablierung des Klinikverbunds die Verwaltungskosten merklich gestiegen seien. Und diese Kosten würden jetzt den Krankenhäusern aufgedrückt.

"Da raucht einem ja der Kopf", meinte der Calwer Bürger Franz Marschall. Wenn Nagold zum Schwerpunkt-Krankenhaus werde, würde er sich ganz ernsthaft Gedanken machen, ob er im Falle eines Falles nicht lieber nach Sindelfingen geht. Weiter weg liegen würde dieses Haus ja schließlich nicht.

Neuweilers Bürgermeister Martin Buchwald will erst einmal alles sacken lassen und sich vor allem Zeit nehmen, sich mit dem Gutachten näher auseinander zu setzen.

Seinem Kollegen aus Bad Teinach-Zavelstein, Markus Wendel, ist klar, dass von der Zukunft der Krankenhäuser im Kreis Calw natürlich alle Bürger des Kreises betroffen sind. Er wünscht sich eine Lösung, die über das Jahr 2020 hinausgeht. "Wir können es der Kreisbevölkerung nicht vermitteln, wenn wir alle zehn Jahre alles wieder über den Haufen werfen", so Wendel.

Die Calwer Stadträtin Evelin Menges wollte zum vorgestellten Gutachten gestern auch nichts sagen. Sie hat schlicht manches nicht verstanden – rein akustisch: "Beim Vortrag wurden vom Redner immer wieder Endungen verschluckt. Und es wurden auch Begriffe verwendet, die sich vielleicht nicht jedem Normalsterblichen erschließen. Menges: "Bei einem so wichtigen Thema wie der Zukunft der Krankenhäuser erwarte ich eine ganz klare Sprache."