In Deutschland wollen die Frauen mit ihren Familien von vorne anfangen. Hilfe erfahren sie dabei durch Anneliese Spangenberg (Fünfte von rechts). Foto: Klossek Foto: Schwarzwälder Bote

Integration: Unterkunft für traumatisierte Jesidinnen schließt Ende des Jahres / Unvorstellbares erlebt

2014 beschloss die Landesregierung, traumatisierte Frauen aus dem Nordirak nach Deutschland zu holen. Einige von ihnen wurden in Königsfeld untergebracht. Nun steht die Einrichtung vor der Schließung, das Projekt läuft aus. Ein Besuch vor Ort.

Königsfeld. Ein schmaler Flur führt in das große, helle Wohnzimmer. An der Türschwelle liegen Kinderschuhe verstreut, in der Ecke steht ein oranges Sofa. Orientalische Teppiche bedecken den Boden, unterhalb des Fensters liegen Matratzen. "Wir sitzen am liebsten auf dem Fußboden", sagt eine der Hausbewohnerinnen und zuckt fast entschuldigend mit den Schultern. Sie setzt sich zu den anderen Frauen in den großen Kreis. Dann wird es still.

Dass sich die Frauen zu einem Gespräch bereit erklären, offen über ihre Schicksale sprechen, war vor einiger Zeit noch ein Ding der Unmöglichkeit, wie Anneliese Spangenberg erklärt. Sie hat die Frauen seit ihrer Ankunft im Dezember 2015 in der Einrichtung betreut. Seit nunmehr zweieinhalb Jahren ist sie die wichtigste Bezugsperson. Der Anker zu einer neuen Welt, die eine bessere Zukunft verspricht – und gleichzeitig völlig fremd ist.

In ihrer Heimat haben die Jesidinnen Unvorstellbares erlebt. Massenexekutionen, Vergewaltigungen, Sklaverei. Viele ihrer Familienmitglieder wurden vom IS getötet, andere sind noch heute in Gefangenschaft. "Wir sind hier, aber unsere Familie ist im Irak. Wir dürfen sie nicht herholen", sagt eine der Frauen. Täglich informieren sie sich über die Vorkommnisse im Heimatland, warten auf Neuigkeiten.

Die Ungewissheit, wie es dem Rest der Familie geht, wiegt schwer. Gleichzeitig müssen sie sich an ihr neues Leben in Deutschland gewöhnen. Ein Land, in dem Schulpflicht herrscht, Männer und Frauen gleichberechtigt sind, es gilt, Regeln zu befolgen. "Im Irak hatten wir keine Regeln", meint ein Jugendlicher. Man müsse sich an vieles gewöhnen. Alltägliche Dinge wie Arztbesuche oder einkaufen werden dabei zur Herausforderung. "Am Anfang war es sehr schwer", bilanziert eine der Frauen.

Für Spangenberg war es im Rahmen ihrer Arbeit wichtig, keinen Druck auf die Jesidinnen auszuüben. "Ich habe erlebt, dass Deutschland ein Land ist, in dem man erwartet, dass eine Leistung erbracht wird", erklärt die Leiterin. Die Integration in eine völlig fremde Welt mit einer anderen Kultur könne allerdings nicht so schnell vonstatten gehen – und daure auch nach der mittlerweile hier verbrachten Zeit weiter an.

Während anfangs viel Zeit im Haus verbracht wurde, bewegen sich die Frauen mittlerweile vermehrt in der Gesellschaft. "Wir sind auf dem richtigen Weg", meint Spangenberg. Alle lernen Deutsch, die Kinder und Jugendlichen besuchen die Schule und sind zum Teil Mitglieder in den örtlichen Sportvereinen. "Sprachlich entwickeln sich die Kinder sehr schnell", erklärt sie. So wie die 13-jährige Suad. Durch den IS wurde sie zur Waise, den Verlust ihrer Eltern verarbeitet sie, in dem sie ihnen Briefe in deutscher Sprache schreibt. "Damit fertig zu werden, ist ein langer Weg", betont Spangenberg.

Unterstützung erhielten die Jesidinnen bei der Verarbeitung ihrer Traumata durch die Michael-Balint-Klinik. Die ärztliche Versorgung in Königsfeld war laut Bürgermeister Fritz Link einer der Gründe, weshalb Königsfeld den Zuschlag für die Unterbringung erhalten hatte. "Für uns war ganz entscheidend, dass wir, wenn wir hier eine besondere Kompetenz haben, etwas tun", meint Link. "Wenn wir diese Infrastruktur schon haben, soll es auch den Menschen zugute kommen." Auch Privatpersonen engagierten sich ehrenamtlich, gaben etwa Nachhilfe oder spendeten Geld für Ausflüge.

Die Frauen, das zeigt sich im Laufe des Gesprächs, sind dankbar. "Deutschland ist gut, wir sind glücklich", sagt eine der Frauen und lächelt. "Hier sind wir sicher." Da das Projekt Ende des Jahres ausläuft, suchen die Irakerinnen nun nach eigenen Wohnungen in Königsfeld. Von den 13 Frauen und 17 Kindern und Jugendlichen sind einige bereits aus der Unterkunft ausgezogen, andere sind noch auf der Suche. Auch für Anneliese Spangenberg geht im Dezember eine Aufgabe zu Ende, die sie tagtäglich forderte. "Es war sehr intensiv", sagt sie rückblickend. "Ich wollte die Zeit aber nicht missen."

Nach einer knappen Stunde löst sich die Runde auf. Manche Frauen müssen arbeiten gehen, andere das Abendessen vorbereiten. Das Leben in Deutschland geht für sie wieder seinen gewohnten Gang – fernab von den Grauen des Krieges im Irak.