Die Landesvorsitzende der Grünen, Lena Schwelling Foto: dpa/Marijan Murat

Eigentlich galt der Streit der Grünen über Homöopathie als befriedet. Jetzt aber legen führende Grüne aus dem Südwesten von vorne los.

Die Einsicht folgte auf dem Fuße: „Es gibt Themen, zu denen sich Politiker*innen öffentlich besser nicht äußern, denn es lässt sich damit nicht nur nichts gewinnen, sondern man landet in der Wahrnehmung vieler auch direkt in einer Schublade voller Vorurteile“, schrieb die Grünen-Landesvorsitzende Lena Schwelling am Wochenende beim Kurznachrichtendienst Twitter. Sie hat es trotzdem gemacht – und damit eine Debatte über Homöopathie innerhalb der Partei weiter entfacht.

 

Im Kreuzfeuer der Bundesgrünen

Am Samstag beklagte Schwelling in einem Interview den „Kreuzzug“ gegen die Homöopathie. Unserer Zeitung sagte sie später: „Die Homöopathie ist kein Bereich, in den sich die Politik einmischen muss.“ Und weiter: „Wir tun uns als Gesellschaft keinen Gefallen, wenn die Politik in alle persönlichen Lebensentscheidungen eingreift.“ Angesichts der geringen Gesamtkosten verstehe sie die Aufregung nicht, sagte Schwelling weiter. Tatsächlich gaben die gesetzlichen Krankenkassen für die freiwilligen Zusatzleistungen im Jahr 2020 rund 45 Milliarden Euro für Arzneimittel aus – 6,7 Millionen Euro davon waren für homöopathische Mittel. „Das Thema ist seine Aufregung nicht wert“, findet die grüne Landeschefin.

Ja zu Esoterik, Nein zur Wissenschaft?

Doch genau die hat Schwelling verursacht. Erst kritisierte die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Ärztin Paula Piechotta sie für ihre Äußerungen auf Twitter und warf ihr vor, sich „sich schützend vor Esoterik, aber gegen wissenschaftsbasierte Entscheidungen der Ärztekammer und grüne Beschlusslagen“ zu stellen. Die Grünen hatten sich nach langen Debatten im Jahr 2020 zur evidenzbasierten Medizin bekannt. „Wenn man klinische Studien nicht bewerten kann bez. ihrer Validität, sollte man sich vielleicht nicht zu ihnen äußern“, ätzte Piechotta.

Eine Frage der Evidenz

Am Montag legte die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang nach: „Wir haben einen Parteitagsbeschluss, der ist im Rahmen des Grundsatzprogramms entstanden, und zu dem stehe ich auch als Bundesvorsitzende.“

Im grünen Grundsatzprogramm heißt es, Leistungen, die medizinisch sinnvoll und gerechtfertigt sind und deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist, müssen von der Solidargemeinschaft übernommen werden. Selbst Krankenkassen wie die AOK, die homöopathische Mittel freiwillig übernimmt, räumen ein: „In hochwertigen wissenschaftlichen Studien zeigte sich keine Wirksamkeit der Homöopathie, die über einen Placebo-Effekt hinausgeht.“

Lena Schwelling hingegen sieht sich nicht im Widerspruch zur grünen Programmatik. Denn Homöopathie sei schließlich nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen eingeschlossen, sondern eine freiwillige Zusatzleistung. Stattdessen verweist sie auf eine andere Stelle in den Grünen-Grundsätzen – nämlich die Wahlfreiheit zwischen unterschiedlichen qualitätsgesicherten Angeboten und Therapien.

Ist Kontrolle besser?

Ähnlich hatte Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) argumentiert. Der Debatte vorausgegangen war ein Entschluss der Südwest-Landesärztekammer, dass die Zusatzqualifikation Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung gestrichen wird. Damit folgen die hiesigen Mediziner der Entscheidung aus zwölf anderen Bundesländern. Endgültig entschieden wird erst im Herbst.

Lucha meldete dagegen Bedenken an: „Es gibt auch in Baden-Württemberg keinen Zwang zu irgendeiner Behandlung – auch nicht zu einer homöopathischen. Wenn sich aber jemand dafür entscheidet, soll sie oder er nach besten, qualitativen Gesichtspunkten behandelt werden.“ Später sagte er, er habe die Sorge, dass man, wenn sich die Ärztekammer aus dem Segment zurückziehe, denen Tür und Tor öffne, „die dem Voodoo sehr nahe stehen“. Ähnlich äußerte sich Schwelling.

Lucha glaubt an Homöopathie

Debatte beim Landesparteitag

Eine gewisse Sympathie für homöopathische Behandlungen verhehlen weder Lucha noch Schwelling. Lucha sagte jüngst auf die Frage, ob er an die Wirksamkeit der Homöopathie glaube: „Ja.“ Ob das am Ende Einfluss auf das Verfahren bei der Ärztekammer hat, ist aber fraglich. Luchas Ministerium hat zwar die Rechtsaufsicht über die Ärztekammer und muss die Änderungssatzung prüfen. Allerdings steht nur die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zur Debatte, nicht die Inhalte.

Die Diskussion bei den Grünen hingegen dürfte spätestens beim Landesparteitag Ende September weitergeführt werden. Der Tübinger Grüne Marin Pavicic-Le Déroff fordert in einem Antrag, die Satzungsänderung der Ärztekammer zu unterstützen. Der Streit bei den Grünen über die Homöopathie dürfte also noch nicht ausgestanden sein.