Schiedsrichter Knut Kircher gibt die Richtung vor: „Man muss zu seinen Fehlern stehen“. Foto: AP

Knut Kircher über die Fehler der Schiedsrichter, einheitliche Regelauslegung und den VfB.

Stuttgart - Die 21 Bundesliga-Schiedsrichter treffen sich von Freitag bis Sonntag in Mainz zu ihrer Halbzeittagung. Dort wird aufgearbeitet, was in der Vorrunde schiefgelaufen ist - unter anderem geht es um die einheitliche Regelauslegung. "Da könnte das eine oder andere neu justiert werden", sagt Referee Knut Kircher.

Herr Kircher, machen Schiedsrichter in der Fußball-Bundesliga mehr Fehler als früher?

Nein.

Nein?

Zumindest nicht aus meiner persönlichen Empfindung heraus. Fundierte Zahlen habe ich allerdings nicht.

Es gab in der Vorrunde doch kaum einen Spieltag, an dem nicht heftig über Schiedsrichter-Entscheidungen diskutiert wurde.

Stimmt, aber das heißt ja nicht, dass mehr Fehler gemacht wurden.

So aber haben es viele wahrgenommen.

Mag sein, aus meiner Sicht ist das aber ein Stück weit eine Folge der WM in Südafrika, in der ja auch sehr viel über Schiedsrichter diskutiert wurde. Das hat sich fortgesetzt. Und noch etwas spielt eine Rolle.

Was?

Im Fußball stecken enorm viele Emotionen drin, Spieler und Vereine stehen unter immer größer werdendem Druck. Bleiben sie hinter den Erwartungen zurück, suchen sie nach Gründen. Dann wird auch mit uns Schiedsrichtern kritischer umgegangen, als wenn es gut läuft. Dass sich da Emotionen entladen, ist ganz normal.

Denken Sie dabei an den VfB Stuttgart oder 1899 Hoffenheim?

Ich denke an keinen bestimmten Verein.

"Wir sind keine Roboter"

Die Verantwortlichen beider Clubs haben vorgerechnet, wie viele Punkte mehr sie ohne Fehlentscheidungen geholt hätten.

Solche Hochrechnungen gibt es jede Saison. Aber wir hatten auch schon Spielzeiten, da lief es zum Beispiel beim VfB genau andersherum. Darüber hat sich dann natürlich niemand beschwert.

Beeinflusst es Sie, wenn Vereine ständig darüber klagen, benachteiligt zu werden?

Nein, ich pfeife deshalb Spiele dieser Clubs nicht anders. Aber der Druck auf den Schiedsrichter erhöht sich in solchen Spielen, er steht noch mehr im Fokus. Das darf einem nichts ausmachen. Wir lernen in unserer Ausbildung, Druck durch Meditation abzubauen.

Sie lernen auch, die Regeln einheitlich auszulegen. Warum beurteilen Referees ähnliche Szenen trotzdem oft höchst unterschiedlich?

Es gibt 21 Bundesliga-Schiedsrichter, jeder hat für seine Entscheidungen einen vorgegebenen, recht engen Korridor. Und dennoch gibt es 21 unterschiedliche Wahrnehmungen. Wenn ich eine Telefonkonferenz mit 21 Journalisten mache und jeder meine Antworten auf die Fragen hört, dann unterscheiden sich die Texte trotzdem in Nuancen 21-mal. So ist es auch bei uns. Wir sind keine Roboter - und sogar bei denen gibt es im Ergebnis Toleranzen.

Trotzdem ist schwer verständlich, warum der eine Schiedsrichter bei einem Trikotzupfer im Strafraum auf Elfmeter entscheidet und der andere nicht.

Das ist ein gutes Beispiel. Ich kann meinen Fokus bei einem Eckball oder Freistoß nur auf zwei, höchstens drei Pärchen im Strafraum richten. Mehr geht nicht. Wird ein Stürmer des vierten oder fünften Pärchens gefoult, habe ich Pech gehabt.

Okay, Punkt für Sie. Nehmen wir ein anderes Beispiel. Ein Schiedsrichter lässt einen Elfmeter wiederholen, weil die Spieler zu früh in den Strafraum gelaufen sind. Zehn andere lassen in einem solchen Fall weiterlaufen.

Punkt für Sie. Die einheitliche Regelauslegung wird deshalb bei unserer Halbzeittagung sicher ein Schwerpunktthema sein. Auch ich habe den Eindruck, da könnte das eine oder andere neu justiert werden.

Bekommen Sie eigentlich mit, wenn einer Ihrer Kollegen gepatzt hat?

In erster Linie schaut man natürlich auf die eigenen Fehler und auf Dinge, die es bei einem selbst zu optimieren gibt.

Eine sehr diplomatische Antwort.

Ja (lacht). Zusätzlich wollen wir uns aber natürlich auch in der Gesamtheit verbessern und vermeiden, dass derselbe Fehler zweimal gemacht wird.

"Man muss zu seinen Fehlern stehen"

Wie muss man sich das vorstellen?

Es gibt schon länger eine Internet-Plattform für Schiedsrichter. Dort werden von den Verantwortlichen Herbert Fandel, Eugen Strigel, Hellmut Krug, Lutz Michael Fröhlich und Lutz Wagner nach jedem Bundesliga-Spieltag umstrittene Szenen reingestellt und kommentiert. Es wird aufgearbeitet, was vorgefallen ist. Es gibt Lob, aber natürlich auch Hinweise, wie man sich verbessern kann.

Wie oft waren Sie in der Vorrunde zu sehen?

Einmal. Beim Spiel zwischen Schalke 04 und Werder Bremen habe ich ein Tor von Raól gegeben, obwohl es Abseits war.

Fühlt man sich da an den Pranger gestellt?

Nein, das ist ja alles intern. Außerdem muss man zu seinen Fehlern stehen. Und gut an dieser Sache ist, dass die Kollegen draus lernen können. Das ist nachhaltig.

Die Kritik und die Anfeindungen in der Öffentlichkeit schmerzen also mehr?

Ein Schiedsrichter braucht ein dickes Fell, und das legt man sich auch zu. Zu persönlich darf man solche Kritik nicht nehmen.

Aber Ihre Nummer steht nicht im Telefonbuch.

Richtig. Das geht aus Eigenschutz nicht. Allerdings sind die Leute sehr kreativ, wenn es darum geht, einen zu erreichen. Da wird an den DFB geschrieben oder die Homepage des Heimatvereins genutzt. Aber da muss man drüber stehen.

Was motiviert Sie?

Teil des Fußballs zu sein. Und meinen Teil zu einem tollen Spiel beitragen zu können. Wir Schiedsrichter sehen uns nicht als Buhmänner des Fußballs, auch wenn wir immer wieder dazu gemacht werden.