Johanna von Bibra und Jakob Gruchmann. Foto: Kosowska-Németh

Die jüngste „Stunde der Kirchenmusik“ in der Altensteiger Stadtkirche war ein tief ergreifendes Erlebnis für das Publikum.

Der Projektchor der Freudenstädter Familie von Bibra führte die „Psalmenpassion“ für Sopran, Chor und Streicher des zeitgenössischen Komponisten Jakob Gruchmann auf. Da das Auftragswerk einen musikalischen sechsteiligen Monolith darstellt, verzichtete der Liturg Klaus-Peter Lüdtke auf gewohnte Lesungen und Gebete.

Die „Psalmenpassion“ umfasst einige Ereignisse aus der Leidensgeschichte Jesu – ab dem letzten Abendmahl bis zum Tod am Kreuz – und stellt die Zeugnisse der Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas den alttestamentarischen Psalmen-Verheißungen als Beweis für Erfüllung des biblischen Plans der Erlösung gegenüber. Im künstlerischen Zentrum des Werkes steht das überlieferte, in einen Musik-Kokon eingeschlossene Wort.

Die Uraufführung der „Psalmenpassion“ fand 2017 in Österreich statt, die deutsche Premiere erlebten die Zuhörer in Altensteig. Neben zahlreichen Zuhörern erschien auch der preisgekrönte Autor der „Psalmenpassion“ und der über 300 anderen Werken, der Professor für Musiktheorie an der Gustav Mahler Privatuniversität Klagenfurt Gruchmann. Der geborene Salzburger sang im Chor mit und übernahm zeitweise die künstlerische Führung von Dirigentin und Solistin Johanna von Bibra.

Gesamtleiterin und Sängerin

Die junge Künstlerin bewährte sich hervorragend in ihrer simultanen Rolle als Gesamtleiterin und Sängerin. Sehr kompetent und einfühlsam führte sie den fünfstimmigen, knapp 20-köpfigen Chor, in dem auch sechs Angehörige der Großfamilie von Bibra mitwirkten. Während des Solo-Singens wandte sie sich mit Gesicht zum Publikum und ihre edle und emotionsgeladene Sopranstimme entfaltete einen strahlenden Glanz von lyrisch-dramatischer Überzeugungskraft.

Sowohl Chorsänger als auch das Streichquintett folgten jedem Wink der Dirigentin und betteten die Texte in ein suggestives und kontrastreiches Klangbild ein. Die Musik beleuchtete grell oder schemenhaft das gesungene Geschehen, unterstrich die Dramatik, erzeugte Spannungen und rief entsetzliche Szenen des Leidenswegs und Martyriums Christi am Kreuz vor die Augen.

Freude bringendes Halleluja

Nach dem finalen, Hoffnung und Freude bringenden Halleluja brauchten die Zuhörer eine Weile, um die überwältigende Fülle an Emotionen zu verarbeiten und aufgewühlte Gemüter zu beruhigen. Dann würdigte ein frenetischer Applaus sowohl den künstlerischen als auch interpretatorischen Wert der Aufführung. Wie ein Konzertbesucher bemerkte, war es auch eine „ganz neue Erfahrung“. Diese verdankte das Publikum den Organisatoren der 123. Stunde der Kirchenmusik, Susanne und Eberhard Schuler-Meybier.