Es wird einsam um die Kirche: Der Kölner Dom ragt hinter Steinen im ausgetrockneten Flussbett des Rheins empor. Mehr als eine halbe Million Menschen sind 2022 aus der katholischen Kirche ausgetreten, wie die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) mitteilte. Foto: dpa/Oliver Berg

Die Austrittszahlen der katholischen Kirche in Deutschland sind noch desaströser als befürchtet. Wie sieht ihre Zukunft aus? Fraglich, meint unser Kommentator.

522 821: So viele Gläubige sind 2022 aus der katholischen Kirche ausgetreten. Mehr als ein halbe Million Christen, die ihrer Glaubensgemeinschaft den Rücken gekehrt haben. Ein neuer Rekord nach dem Rekordjahr 2021 mit „nur“ 359 338 Austritten.

 

Die in ihrer unbestreitbaren Objektivität brutale Statistik vermittelt das Bild einer Organisation, die im freien Fall – ja im Sturzflug begriffen ist. Die katholische Kirche mehr noch als die protestantische, die rund 380 000 Austritte zu verzeichnen hat. Addiert sind das unglaubliche 900 000 Menschen, die ihr offizielles Christsein ad acta gelegt haben.

Die Zahlen belegen die Fakten

Diese Zahlen belegen die seit langem bekannten und nicht mehr länger zu leugnenden Fakten: Die Kirchenbindung in Deutschland erodiert, das Gemeindeleben erlahmt, das christliche Profil der Gesellschaft verblasst. Und das in einem Ausmaß und Tempo, wie es selbst notorische Pessimisten kaum für möglich gehalten hätten.

Es war schon immer ein Irrtum zu glauben, dass die Standfesten bleiben und nur die „Karteileichen“ gehen würden. Es gibt kein „Gesundschrumpfen“, die Spreu trennt sich nicht vom Weizen. Stattdessen ist es so, wie der Theologe Karl Rahner schon in den 70er Jahren feststellte: Der Glaube verdunstet – und mit ihr die Kirche.

Oder wie Thomas Schüller, der katholische Kirchenrechtler aus Münster, formuliert: „Die katholische Kirche stirbt einen quälenden Tod vor den Augen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit.“

Die katholische Kirche erlebt ihr Ragnarök

Man muss nicht allzu tief in der kirchlichen Soziologie graben, um die Gründe für diesen scheinbar unaufhaltsamen Niedergang auszumachen: sexueller Missbrauch durch Kleriker, Vertuschung und Verheimlichung durch kirchliche Obere, entlarvende Missbrauchs-Gutachten. Ein verstorbener Papst (Benedikt XVI.), dem höchstpersönlich Vertuschung zur Last gelegt wird . Ein Kardinal (Rainer Maria Woelki aus Köln), der mit Lügen-Vorwürfen überhäuft wird.

All das und vieles mehr wirkt wie ein Brandbeschleuniger, der aus lokalen Feuern ein Flächenbrand werden lässt. Die katholische Kirche in Deutschland erlebt – mythologisch gesprochen – ihr Ragnarök, wie der Untergang der Welt und der Götter in der altnordischen Sagenwelt heißt.