Die Kfz-Sachverständige und Prüfingenieurin Susanne Wolf bei der Schadenaufnahme. Foto: Wolf

Sie erstellen Gutachten für Geschädigte oder Gerichte, die helfen, die Schuldfrage zu klären. Viele Gutachter sind aber nicht ausreichend qualifiziert.

Sie hatte ihre Geldbörse vergessen. Sie wollte umkehren und das Portemonnaie holen, also wechselte sie die Fahrbahn. Plötzlich krachte ein anderer Pkw in ihre Beifahrerseite. Die Fahrerin wurde schwer verletzt, der Fahrer des anderen Wagens stieg mit einigen blutigen Schrammen aus seinem zerbeulten Fahrzeug. Nur wenige Tage nach dem Unfall begann ein Streit um die Schuldfrage. Hatte die Frau beim Fahrbahnwechsel einen Fehler gemacht? Das zumindest unterstellte die Versicherung des anderen Fahrzeugs der Fahrerin. Deren Versicherung wiederum behauptete, der Mann sei zu schnell gefahren. Es kam zur Gerichtsverhandlung. Der Mann legte ein Gutachten vor, das ihm bescheinigte, nur 60 Kilometer pro Stunde gefahren zu sein. Die Frau ließ ihrerseits eines anfertigen - und beauftragte Jürgen und Susanne Wolf. Beide sind Kfz-Sachverständige, sie ist zudem Prüfingenieurin, er Kfz-Gutachter. Sie berechneten anhand der Unfalldaten, wie schnell der Mann tatsächlich unterwegs gewesen war. Faktoren der Geschwindigkeitsberechnung sind Länge der Bremsspur, Eindrücktiefe des Blechs und Versatz des Fahrzeugs - das wurde immerhin 20 Meter quer stehend weggeschoben. Jürgen Wolf kam auf viel zu schnelle 100 Kilometer je Stunde.

 

Spezialisierung in der Fahrzeugelektronik

Sicherheitshalber ließ er seine Berechnung von seiner Frau überprüfen - und von einem Kollegen. Beide kamen zu dem gleichen Ergebnis. Wie der Prozess ausgegangen ist, weiß Wolf nicht. 'Ein Sachverständiger unterstützt das Gericht, und es ist der Richter, der das Urteil spricht', sagt er. Wolf (51) wusste schon mit 15 Jahren, dass er Kfz-Sachverständiger und Ingenieur werden will. Konsequent arbeitete er auf sein Ziel hin: Seine Lehre zum Kfz-Mechaniker schloss er mit Auszeichnung ab, zur mittleren und Hochschulreife kam er über den zweiten Bildungsweg. Schließlich studierte er an der Fachhochschule Darmstadt zuerst Maschinenbau, dann Kunststofftechnik. 'Es war abzusehen, dass Kunststoffe einen immer höheren Anteil im Auto einnehmen werden', sagt er. 1993 war Wolf doppelter Ingenieur und hatte eine Stelle in einem Ingenieurbüro für Kfz-Gutachten. Dort machte er berufsbegleitend die Ausbildung zum Kfz-Sachverständigen. Diese Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Jeder kann sich so nennen. Rund 10 000 Kfz-Sachverständige gibt es in Deutschland, schätzt Elmar Fuchs, Geschäftsführer vom Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen (BVSK) in Potsdam. Etwa 3000 bis 4000, so eine weitere Schätzung von ihm, haben aber keine geeignete Eingangsqualifikation, wenn sie die Grundausbildung zum Kfz-Sachverständigen machen. Die wird beispielsweise von der AWG angeboten, einer Bildungseinrichtung seines Verbands. Dauer: rund neun Monate. Kosten: um die 5000 Euro.

Bei Dekra, Tüv und GTÜ sind Kfz-Sachverständige angestellt. Diese Unternehmen und der BVSK setzen den Kfz-Meisterbrief oder ein Ingenieurstudium in Verbindung mit der Zusatzausbildung voraus, damit jemand als Kfz-Sachverständiger arbeiten oder Mitglied im Verband werden darf. 'Langfristig wird der Sachverständige früherer Prägung, der relativ einfach gelagerte Blechschäden begutachtet, keine Perspektive haben', sagt Fuchs. Die Zukunft des Berufs liege in der weiteren Spezialisierung, etwa der Fahrzeugelektronik. 'Gute Berufschancen haben Ingenieure, die den Weg des Prüfingenieurs einschlagen.' Das ist auch eine Fortbildung, die das Trio Tüv, Dekra und GTÜ anbietet. Unfallanalytik ist ein separater Bereich, auch dafür gibt es um fangreiche Qualifizierungsmaßnahmen. Und wer für Gerichte Gutachten erstellt, sollte öffentlich bestellt und vereidigt sein. Jürgen Wolf ist das von der IHK Darmstadt. 1998 machte er sich in Bensheim selbstständig. Zwei Jahre später stieg seine Frau mit ein. Auch sie ist doppelte Ingenieurin derselben Fachrichtungen, Kfz-Sachverständige und Prüfingenieurin. Und sie ist die einzige Frau aus Baden-Württemberg, die Mitglied beim BVSK ist. Der Beruf wird überwiegend von Männern ausgeübt. Hat man es da als Frau schwer? 'Ich werde als Frau und Ingenieurin voll und ganz von den Auftraggebern respektiert', sagt Susanne Wolf. Die Ausbildung zur Prüfingenieurin hat sie bei der GTÜ gemacht. Dauer: ebenfalls neun Monate. Kosten: rund 16 000 Euro. Prüfingenieure müssen noch einmal andere Qualifikationen mitbringen.

Besonders lukrativ sind die Gutachten

Das Paar betreibt heute zwei Büros, in Plankstadt und in Bensheim in der Nähe von Darmstadt. Mitarbeiter beschäftigen sie keine. Während Susanne Wolf vor allem Hauptuntersuchungen von Motorrad, Pkw und Bus sowie Schadengutachten bei Haftpflichtschäden durchführt, hat sich Jürgen Wolf auf Gutachten für Gerichte spezialisiert. Die Hauptuntersuchungen führt sie in Autowerkstätten durch, Schadengutachten werden in der Regel bei den Geschädigten gemacht, wenn es keine schweren Unfälle sind. Ansonsten auch in Werkstätten. Besonders lukrativ sind die Gutachten. Wolfs Schwerpunkt sind vor allem Wertgutachten. 'Dabei ermittle ich den Wert eines Fahrzeugs zu einem vorgegebenen Stichtag. Das ist wichtig beispielsweise bei einer Insolvenz oder auch einer Scheidung', erzählt er. Ein anderes Aufgabengebiet sind Motorschäden. Hier geht er der Frage nach, ob der Schaden beim Kauf des Fahrzeugs bereits vorhanden war oder erst später aufgetreten ist. 'Wenn der Schaden vorher da war, hat der Kunde Anspruch auf Entschädigung.' Letztendlich geht es bei Kfz-Sachverständigen ums Geld. Generell müssten sie aber immer korrekt, neutral und zuverlässig sein. Der Beruf beeinflusse übrigens das eigene Fahrverhalten im Straßenverkehr. Wolf fahre sehr defensiv, sagt er. Und wie gehen die beiden mit Auftraggebern um, die gerne Geld von der Versicherung hätten - aber die Fakten offensichtlich dagegensprechen? 'Versuche, Versicherungen zu betrügen, wird es immer geben', sagt sie. Allerdings seien die Beweise meist klar. Die meisten Menschen machen sofort am Unfallort Bilder mit dem Smartphone. Das erleichtere die Arbeit. Vor allem bei nicht plausiblen Schilderungen des Unfallhergangs.