Als er sich die Anstaltskleidung der JVA in Rottenburg anziehen soll, wird ein 26-jähriger Häftling gewalttätig. Beim Prozess am Amtsgericht bringt er mit seinem Verhalten sogar den Richter auf die Palme, dem Staatsanwalt zeigt er einen Vogel.
Angekettet an einen Polizisten und zusätzlich mit Handschellen gefesselt betritt der 26-jährige Angeklagte den Saal im Amtsgericht in Rottenburg. Einen weiten Weg hat er nicht gehabt, denn derzeit ist er als Häftling in der JVA nebenan, wo er eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt. Angeklagt ist der junge Mann wegen des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte im Juni vergangenen Jahres.
Erst einen Tag vor dem Angriff auf vier Beamte war der Gefangene in der JVA in Rottenburg eingetroffen. Am folgenden Morgen sollte er in der Kleiderkammer des Gefängnisses mit der Anstaltskleidung eingekleidet und zuvor noch körperlich durchsucht werden. Weil er sich dagegen gewalttätig wehrte, mussten die Beamten die Anweisung schließlich unter Zwang durchsetzen.
Im Umkleideraum der JVA
Einer der Beamten aus der JVA, der als Zeuge vor Gericht aussagt, berichtet über den Vorfall: „Er ist sehr aufgebracht in die Kammer gekommen und hat undeutliche Dinge von sich gegeben. Vier Kollegen waren mit ihm im Umkleideraum. Er hat um sich geschlagen und es ist ein Stück weit eskaliert. Ich hab ihn dann von hinten gepackt und bin mit ihm auf den Boden, er ist auf mich drauf gefallen. Er hat am Boden noch gekratzt und gebissen.“ Die Wärter halten den aufgebrachten Gefangenen an Händen und Füßen fest. Ein weiterer Beamter berichtet: „Er hat mir in den Unterarm gebissen und versucht, mir mit seinem langen Fingernagel in den Ellbogen zu stechen.“
Verletzungen sind zu sehen
Auf Fotos, die der Richter sich anschaut, sind die Verletzungen durch den Biss und das Stechen mit dem zwei bis drei Zentimeter langen Fingernagel deutlich zu erkennen. „Ich habe mir danach dreimal Blut abnehmen lassen, um zu sehen, ob ich mich mit irgendetwas infiziert habe, doch es war alles negativ“, berichtet der JVA-Beamte.
Verständigung nicht möglich
Eine Verständigung mit dem Gefangenen sei in der JVA nicht möglich gewesen. Man habe zuerst auf Deutsch, dann auf Englisch versucht zu erklären, dass er sich für eine körperliche Durchsuchung ausziehen müsse, bevor er die Anstaltskleidung anziehen kann. „Ich hatte das Gefühl, dass er mich nicht ganz verstanden hat. Er hat die ganze Zeit irgendwelche Sachen erzählt in englisch-gambisch, was ich nicht verstanden habe“, berichtet einer der Wärter.
Baseballkappe muss er ablegen
Ähnlich verhält sich der Angeklagte während der Verhandlung vor Gericht. Dort kann er immerhin seine eigene Kleidung tragen. Lediglich die Baseballkappe muss er auf eine Mahnung des Richters hin abnehmen. Mit gesenktem Kopf murmelt er Sätze vor sich hin, die englisch klingen, doch schwierig zu verstehen sind. Der vereidigte Übersetzer hat immer wieder große Schwierigkeiten, den gambischen Dialekt des Mannes zu verstehen. Nur eines bringt der Angeklagte sicher zum Ausdruck: Er verstehe überhaupt nicht, warum er in Handschellen vor Gericht sitzen müsse. Die Beamten im Gefängnis hätten ihn angegriffen und mit ihm gekämpft.
Kaut er auf einem Kaugummi?
Immer wieder erhält der junge Mann vom Richter die Chance, selbst etwas zu sagen oder eine Frage an die Zeugen zu stellen. Doch es scheitert an der Kommunikation. Als er schließlich gefragt wird, ob er den Antrag seiner Pflichtverteidigerin auf Einspruch gegen eine fünfmonatige Haftstrafe zurücknehmen möchte, kommt es zu einer fast schon tumultartigen Szene: Der Angeklagte deutet mit dem Zeigefinger auf seinen anscheinend vollen Mund und gibt Laute von sich, als kaue er gerade an einem überaus großen Kaugummi. Da reißt dem Richter der Geduldsfaden: „Schlucken Sie es!“, donnert er in Richtung des Angeklagten.
Den Vogel gezeigt
Da der Angeklagte seinen Antrag nicht zurückzieht, ist der Staatsanwalt mit seinem Plädoyer an die Reihe. Er sagt: „Ich kann mir vorstellen, welche Herausforderung die Beamten hatte. Es liegt wohl ein gravierendes Problem vor.“ Warum der Angeklagte sich so verhalte wie er sich verhält, könne er sich nicht erklären. Da der Angeklagte keine Einsicht zeige, plädiert der Staatsanwalt für eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, eine Bewährung sei möglich. „Wenn er irgendwo sesshaft wird, könnte er Bewährungshelfer bekommen. Arbeitsstunden sind nicht möglich, weil er sich nicht verständigen kann. Den Vogel kann er mir zeigen. Diese Geste scheint es auch außerhalb von Europa zu geben.“
Das Urteil
Der Richter fällt schließlich folgendes Urteil: Acht Monate Haftstrafe, ausgesetzt zur Bewährung. Die Bewährungszeit beträgt zwei Jahre. Der Richter sagt: „Vor dem Hintergrund, wie Sie sich hier präsentiert haben, war eher die Frage, ob eine Bewährung möglich ist. Ihr Verhalten war vollkommen unverständlich. Sie zeigen keinerlei Unrechtseinsicht. Wenn die Staatsanwaltschaft keine Bewährung gefordert hätte, wäre ich dem gefolgt. Ich wollte die Staatsanwaltschaft aber nicht überbieten.“