Portrait: Alexander Pick ist seit kurzem im Ruhestand und will sich zum Pilzfachmann ausbilden lassen

Von Jürgen Renner

Polizeipräsident Alexander Pick aus Jungingen ging Ende Juli in den Ruhestand. Wobei Unruhestand wohl das treffendere Wort wäre, denn der 60-Jährige ist voller Tatendrang. Von Zurücklehnen also keine Spur.

Jungingen. Allerdings haben sich die Prioritäten doch entscheidend verschoben. Anstatt morgens ins Präsidium nach Reutlingen zu fahren, genießt er jetzt die Zeit mit seinen beiden Enkeln. Der eine ist eineinhalb Jahre alt. "Mit ihm marschiere ich durch den Ort und zähle Wau-Waus." Der Zielwert sei fünf, wenn es – wie geschehen – auch schon mal neun Wau-Wau’s – also Hunde – wurden, sei das eine tolle Ausbeute. Zahlenlastig war auch seine bisherige Tätigkeit. "Ich bin ein Gegner der betriebswirtschaftlichen Gängelung. Es darf nicht sein, dass die Frage gestellt wird, wie viel die Aufnahme eines Einbruchs kostet", sagt der Polizeipräsident a.D, der in Reutlingen auch für die Kreise Tübingen, Esslingen und seit Januar des Jahres zusätzlich den Zollernalbkreis zuständig war.

Neben den Enkeln steht natürlich jetzt die ganze Familie mehr im Fokus, danach kommt sein – man könnte meinen unerschöpfliches – Reservoir an Geschriebenem, das nun in Büchern zusammengefasst und auch veröffentlicht werden soll. Einige Fragmente für Krimis und Romane habe er bereits in petto. 150 Gedichte und Kurztexte wurden zu seinem 60. Geburtstag Ende November 2019 bereits in Buchform festgehalten. Das Werk haben seine Töchter via Books-on-demand rausgebracht. Und eine Tochter habe schon mit Nachdruck ihm klargemacht, dass er nun künftig unter die Buchautoren gehen soll. "Ich hatte immer schon gerne die deutschen Klassiker gelesen, wie etwa Goethes Faust, und hatte früher auch überlegt, ob ich Germanistik studiere", erklärt Pick.

Ruhestand in den ersten Tagen "skurril"

Bleibt noch eine weitere Passion: Die Natur. Pick ist gerne im Wald unterwegs und will sich nun zum Pilzfachmann ausbilden lassen. Passenderweise hat ihm seine Reutlinger Dienststelle zum Abschied den Besuch eines zweitägigen Pilzkundeseminars geschenkt.

Der Eintritt in das Rentnerdasein beschere ihm ein völlig neues Lebensgefühl, sei aber gewöhnungsbedürftig. "In den ersten Tagen war es schon skurril, wenn man davor 16 Jahre Führungsverantwortung hatte", erzählt Pick. Er sei andauernd auf Stand-By und in einem latenten Alarmzustand gewesen, während er jetzt aufwacht und der komplette Tag ihm gehöre. "Aber ich ertappe mich, wie ich Polizeimeldungen lese", gesteht er ein. Ganz abschalten kann er also noch nicht. Und wird er auch nicht. An der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen, dessen Leiter er von 2002 bis 2016 war, wird der Junginger mit Professorentitel einen Lehrauftrag für das Fach Kriminologie annehmen. "Ich freue mich, mich mit jungen Menschen zu beschäftigen."

Als er jung war, ging es für ihn gleich nach dem Abitur zur Polizei. "Der öffentliche Dienst hatte für mich damals die Sicherheitskomponente. Ich bereue keine Minute. Das reicht für mehrere Leben, was ich alles erleben durfte. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und hatte immer das Bedürfnis, bei den Guten zu sein", sagt Pick. Es sei faszinierend, was sich hinter der bürgerlichen Fassade verberge. Da sein Großvater, der 1944 während des Zweiten Weltkriegs starb, bei der Polizei war, hatte er schon Berührungspunkte.

Im Juli 1978 begann seine Laufbahn, also in einer Zeit, als die RAF (Rote Armee Fraktion) gerade ihre Hochphase hatte. Sechs Jahre später wurde er mit 24 Jahren jüngster Kriminalkommissar im Land. "Der Bereich Wirtschaftskriminalität hat mich damals gereizt", sagt er zurückblickend. So manches Erfolgserlebnis, wenn beispielsweise ein Millionenbetrüger überführt und dessen Ferrari auf einen Tiefladen gehievt wurde, habe in ihm Genugtuung ausgelöst. 1987 wurde er Sacharbeiter für kriminalpolizeiliche Angelegenheiten im Innenministerium. Im gleichen Jahr das Highlight: In fünf Wochen habe er als Ghostwriter für den damaligen (und 2002 in Tübingen gestorbenen) Innenminister Dietmar Schlee das Buch mit dem Titel "Drogen rauben unsere Kinder" geschrieben. "Das war an der Grenze des Machbaren", gibt er freimütig zu. 1992 bis 1997 war er Dozent für Kriminalistik und danach zwei Jahre Referent für Innenpolitik und Wohnungsbau unter dem früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel.

Jährlich schreibt er der Kanzlerin einen Brief

"Eine hochspannende Zeit", denkt Pick gerne daran zurück. Ab 2002 wurde er dann, wie bereits erwähnt, Hochschulleiter in Villingen-Schwenningen und schließlich ab 2014 Doppelpräsident, weil er fortan auch noch für das Polizeipräsidium in Tuttlingen verantwortlich war. Somit war er auch in den Doppelmord in Albstadt mit der Soko Kreuzbühl im April 2014 involviert und konnte eine Woche später den Reichsbürger in Hechingen festnehmen lassen, ehe dieser Selbstmord beging. "39 Jahre hatte ich keine Uniform, nur die vergangenen drei Jahre", betont er.

Der Bundeskanzlerin Angela Merkel schreibe er jedes Jahr einen Brief und schildere ihr die aktuelle Situation aus seiner Sicht. Er sei ein Verfechter der Freiheit und Demokratie und beachtete mit Bestürzung, wie viele Menschen kein Interesse an der objektiven Wahrheit hätten und sich somit deren eigenes Weltbild verfestige. "Wir leben in einer spätrömischen Dekadenz. Das macht mir Sorgen. Deshalb werde ich weiterhin den Mund aufmachen", meint er über gewisse Veränderungen der Gesellschaft, die ihm überhaupt nicht gefallen. So nehme de Respektlosigkeit und Gewalt gegenüber der Polizei zu. In den vergangenen fünf Jahren sei jeder dritte Polizist durch einen Angriff verletzt worden. Auch solche Zahlen machen ihn nachdenklich. Ein Hoffnungsschimmer sei deshalb, dass der Beruf des Polizisten bei den jungen Leuten trotzdem aktuell sehr attraktiv sei. "Es gibt fantastisch gute und begabte Leute. Ich beneide meinen Amtsnachfolger (Anm. d. Red: Udo Vogel), denn die personelle Talsohle ist damit bald durchschritten."

Was ihn auch beschäftigt, ist das Thema Migration und dazu hat er auch seine eigene Meinung. Die Kriminalität der Ausländer sei deren Lebenssituation geschuldet. Wenn ein Deutscher sich in der gleichen wie ein Syrer befinde, würde sich Ersterer genauso verhalten, glaubt er.

Und nicht zu vergessen: Pick sitzt seit Mai vergangenen Jahres wieder im Junginger Gemeinderat, dem er schon 22 Jahre angehörte, zudem war er auch schon stellvertretender Bürgermeister. "Mit großem Engagement sei er bei der Sache, wie er selbst sagt. Und hat sich ein Thema auf die Fahnen geschrieben: Die Seniorenbetreuung. "Da hat Jungingen ein Defizit, viel zu viele Bürger müssen im Alter den Ort verlassen."

Sagt Pick, der Mann im Unruhestand.