John Malkovich in Stuttgart. Klicken Sie sich durch unsere Bilder. Foto: Leif Piechowski

Filmstar John Malkovich hat mit Barockorchester in der Liederhalle „The Infernal Comedy“ aufgeführt.

Stuttgart - „Wann hatten Sie zum letzten Mal Spaß beim Sex? Vor einer Stunde? Gestern? Letzte Woche?“ Solche Fragen, öffentlich gestellt, erzeugen meist peinliches Schweigen. Erst recht dann, wenn John Malkovich diese Frage im direkten Angesicht stellt.

Malkovich schlüpft in die Rolle von Jack Unterweger, stellt dessen Autobiografie vor – posthum, denn der Mörder, der in der Haft das Schreiben für sich entdeckte, nach vorzeitiger Begnadigung zum Liebling der Schickeria aufstieg und rückfällig wurde, nahm sich nach seiner erneuten Inhaftierung 1994 das Leben. Begleitet wird Malkovich von einem gut bestückten Barockorchester und zwei Sopranistinnen, die Opernarien aus dem 18. Jahrhundert vortragen – von Frauen in verzweifelten Situationen.

Dunkel ist die Bühne am Anfang dieses Abends, die Musiker sind nur als Konturen zu erkennen. Doch sie legen richtig los mit der Einleitung aus Christoph Willibald Glucks „Don Juan“: höchst erregte Violinen, die Bläser attackieren zum Sturm, der Dirigent Martin Haselböck hat die Wiener Akademie fest im Griff, behält das Klanggeschehen bei aller Furiosität fest unter Kontrolle.

Malkovich macht das sehr gestenreich

Dann Malkovichs Auftritt: Im lässigen weißen Anzug und mit Sonnenbrille gibt er zunächst den Dandy und plaudert locker drauflos, dass er eben aus Los Angeles komme, dass gute Parkplätze und optimale Verkehrsanbindung dort der Garant für Erfolg seien und dass überhaupt sein Verleger all den Aufwand hier zu verantworten habe. Der Verweis auf Arnold Schwarzenegger, einen weiteren Österreicher, der es in Amerika, wenn auch auf andere Art, zu Schlagzeilen gebracht hat, darf nicht fehlen.

Malkovich macht das sehr gestenreich, legt die Sonnenbrille ab, sucht den direkten Kontakt zum Publikum, etwa mit den eingangs erwähnten Fragen. Und wie seine Partner macht er dies ohne elektronische Verstärkung, kristallklar und deutlich füllt seine Stimme den großen Saal. Der Leinwandstar entwickelt hier eine ganz eigene Aura. Anders als in seinen Filmen steht ihm hier eigentlich nichts zur Verfügung – außer den Musikern im Hintergrund und den Solistinnen an seiner Seite sind es ein Tisch, ein Stuhl, ein paar Bücher, das für Lesungen obligatorische Wasserglas, eine Stehleuchte.

So auf sich gestellt, macht er zunächst einmal das, was man von einem Unterweger-Darsteller erwartet: Lasziv und ungeniert nähert er sich den Frauen, in diesem Falle den Sopranistinnen Bernarda Bobro und Martene Grimson. Der einen mit dem Kopf gen Unterleib und mit der übertriebenen Sorgfalt eines Arztes, wofür er Zärtlichkeit empfängt, der anderen löst er vorsichtig das Haar, was diese in große Verlegenheit bringt. Denn beide machen derweil ihre eigentliche Arbeit, singen Arien.

Anfangs zeigt sich Malkovich noch verwundert

Bobro beklagt ihr Schicksal als verachtete Braut in Antonio Vivaldis „Sposa son disprezzata“, und Grimson ist verzweifelt über ihre Position in einer Dreiecksbeziehung in Wolfgang Amadeus Mozarts „Vorrei spiegarvi, oh dio“. Beide meistern dies mit berückenden Stimmen und schönstem Schmelz. Malkovich indes zieht weiter, umkreist fingernd einige Musikerinnen des Orchesters. Den Solistinnen zieht er Büstenhalter über und erwürgt sie symbolisch damit in der Manier, wie es Unterweger getan hat. Hier vermisst man die Einblendung der Übersetzung ins Deutsche. Die Texte liegen zwar dem Programmheft bei, das aber in der Dunkelheit nicht gelesen werden kann und vom Bühnengeschehen ablenken würde.

Das Libretto von Regisseur Michael Sturminger ist abschweifend. Anfangs zeigt sich Malkovich noch verwundert über das Aufspielen des Orchesters, erzwingt auch mal ein Innehalten der Musiker und bekennt kurz darauf: „Normalerweise macht mich diese Art von Musik nervös. Das ist keine Äußerung zur Qualität des Orchesters oder des Dirigenten. Ich bin einfach diese Art von Musik nicht gewöhnt. Sie belastet mich körperlich, gerade wenn ich versuche zu denken.“ Solche Witzeleien spielen im weiteren Verlauf aber keine Rolle mehr, Malkovich genießt den künstlerischen Beistand.

Konzeptionell erinnert das Ganze an das „Judith“-Projekt, das die Staatsoper Stuttgart mit dem Stuttgarter Spezialistenensemble Il gusto barocco in der Spielzeit 2009/2010 mit dem Staatsschauspiel realisierte. Die Barockmusik von Antonio Vivaldi wurde damals mit dem späteren Drama von Johann Friedrich Hebbel und Gegenwartstexten von Sibylle Berg konfrontiert. Welten prallten da aufeinander, die zwar durchaus dasselbe Thema hatten – Gewalt gegen Frauen –, die aber in grundsätzlich verschiedenen Zungen sprachen, was Regisseur Sebastian Nübling auskostete.

Die Wahrheit könne er nicht erzählen, erklärt Malkovich

Diese Situation ist hier nicht gegeben, denn Malkovich alias Unterweger berichtet nicht über seine Taten, er parliert über sein Leben, postuliert vermeintliche Wahrheiten, die er kurz darauf wieder infrage stellt. Die Frauen haben ihm die Dinge eben zugetragen – Geld, Auto, Wohnung, Beruf –, wer sagt da nach 15 Jahren Gefängnis schon Nein („Nicht wenige andere wollten einfach einen Mörder ficken“); seine Mutter sei eine Prostituierte gewesen, der Großvater, bei dem er aufgewachsen ist, war Alkoholiker – das macht eine Biografie nun mal interessanter.

Geht es am Ende um die Wahrheit, also etwa um die Frage, ob Unterweger tatsächlich wieder rückfällig geworden ist, wird ausgiebig der Wikipedia-Artikel über ihn zitiert, der akribisch Indizien auflistet. Die Wahrheit könne er nicht erzählen, erklärt Malkovich gegen Ende, deshalb enthalte dieses Buch auch nur leere Seiten: „Damit hat mein Buch versagt, aber ich auch.“

Mit der Wikipedia-Rezitation verliert der Abend an Wirkung. Malkovich, der so vielschichtige Gestalten spielte wie den Verführer Vicomte de Valmont in dem Film „Gefährliche Liebschaften“ kann hier nicht brillieren. Die Barockmusiker sind da beredter: „Mitleidiger Himmel, halte ihn auf / und rette meinen Liebsten mit deiner Kraft“, verkünden sie etwa in einer Arie aus Carl Maria von Webers Oper „Helene“. Oder abschließend Mozart: „Hält dich des Todes grausamer Anblick nicht zurück? / Lässt du dich von einer Unglücklichen / nicht zum Mitleid bewegen?“