Was Sie an dieser Stelle lesen, ist nicht wie gewohnt der Leitartikel. Ich blicke von der Froschleiter..

Was Sie an dieser Stelle lesen, ist nicht wie gewohnt der Leitartikel. Ich blicke von der Froschleiter.

In der Stadt ist es schön, wenige Tage vor Weihnachten. Im Tal ist sie wie immer eine Baustelle, aber auf den Hügeln weiß.

Wir sind eine bunte Stadt.

Am Morgen ging ich zum Kiosk am Charlottenplatz. Ich kaufte mir Zeitungen aus unseren moralisch verkommenen Nachbarstädten Berlin und München, als ich auf einem verlassenen Stehtisch ein seltsames Arrangement entdeckte. Einen Flachmann der Firma Jägermeister neben einer Tüte H-Milch. Ich prüfte das Stillleben aus der Nähe und sah die Botschaft. Kurz vor Weihnachten hatte einer mit Blick auf sein Verfallsdatum Prioritäten gesetzt:Der Flachmann war leer, die Milchtüte voll.

Der Chef der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS), wenn Sie wissen, was ich meine, hat gesagt, die ZDF-Vorabendserie "Soko Stuttgart" zeichne ein positives Bild von der Region: "Charmant, modern und dynamisch." Daraufhin habe ich mir eine DVD besorgt und gesehen, wie unsere Spaghettis in Stuttgart Mafia spielen. Am Ende schoss ein Bullenmilchbart dem Schankwirtschurken in die Schulter. "Das pfuzgert", hätte der Humorist Oscar Heiler gesagt.

Krippenspiele in unseren verfallenen Schulhäusern kommen professioneller daher. Das spielt hier keine Rolle. Es ist nicht der Job von ZDF-Flachmännern, den Charme der Stadt zu versprühen. Das müssten von Amts wegen der Oberbürgermeister und der Ministerpräsident tun. Der eine aber orientiert sich charismatisch an der H-Milch-Tüte auf dem Stehtisch, und der andere hängt so lange bei italienischen Schankwirten ab, bis man ihn von der Karriereleiter nach Brüssel schießt. Respekt. Mancher Politiker hält länger durch als H-Milch.

Gelegentlich werde ich von politischen Beobachtern über die Kriterien guten Humors aufgeklärt. Erfahrene Politiker angesichts einer weißen Weihnacht mit H-Milch-Tüten zu vergleichen, das sagt uns die Leitkultur, ist kein guter Humor. Keiner, wie man ihn seit Wochen mit charmanter Bierwampen-Travestie, dynamischer Turnmatten-Choreografie und modernen Rohrkrepierer-Reimen für die nahe Fasnetsaison übt. Das pfuzgert.

Um Gottes willen, es ist noch nicht einmal Weihnachten - und mir schon nach Aschermittwoch. Es könnte daran liegen, dass sich viele Weihnachtsfirmenfeiern nicht mehr von Faschingsbällen unterscheiden, jedenfalls nicht erotisch. Masken fallen hier wie da. Es sind aber nicht Masken, die man, wie mir Schankwirte an Eides statt versichern, nach Weihnachtsfeiern unter Restauranttischen findet. Sondern Kleidungsstücke, die man im Alltag nur seinem Leibarzt zeigt. Diese Vorfälle verleihen unserer Stadt Charme, Dynamik und Modernität und liefern den Beweis, dass sie vor Weihnachten mehr sein kann als unten Baustelle und oben weiß.

Es gibt nichts Schöneres, als in diesen kalten, klaren Wintertagen durch die Straßen und über die Hügel der Stadt zu ziehen. Bei jedem Schritt spüre ich das Leben. Man braucht nicht eine Pistolenkugel in der blutenden Schulter, um zu begreifen, dass man keine H-Milch-Tüte ist. Diese Stadt ist der Schuss an sich. Alles andere Fernsehen.

Ich preise die Tage der kalten Sonne und der heißen Wurst, sogar angesichts der Tatsache, dass an diesem Sonntag unser Spiel ausfällt. Wir hätten es an diesem Sonntag Freiburg II in Liga IV härter gegeben als einer Fasnetsgans auf dem Weihnachtsball. Doch unser Spiel wurde abgesagt. Wir sind vereist. Unterm Tannenbaum werde ich ein paar Tropfen Jägermeister und die blauen Tränen eines harten Jahres in meine H-Milch rühren.

Prost. Bald knallt der Frosch.