Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Ein Münchner unter den Opfern. Viele Verletzte noch in Lebensgefahr. Mit Video.

Paris - Die blutigsten Terrorakte in Europa seit gut zehn Jahren schockieren die Welt. Frankreich nimmt nach den Anschlägen von Paris den Islamischen Staat (IS) ins Visier. Offenbar war ein noch größeres Blutbad geplant. Womöglich waren zwei Attentäter als Flüchtlinge getarnt – was bislang über die Attentate bekannt ist.

Wer ist für die Attentate verantwortlich?

Frankreich hat dem islamischen Terrorismus den Krieg erklärt. Die Massaker mit 129 Todesopfern und mehr als 350 Verletzten waren nach ersten Ermittlungen eine koordinierte Kommandoaktion der Terrororganisation Islamischer Staat. Offenbar scheint einem Terrorkommando zunächst die Flucht gelungen zu sein: Östlich von Paris stellten Ermittler gestern ein Auto sicher, in dem sich nach Medienberichten drei Kalaschnikows fanden.

Sind Attentäter noch auf der Flucht?

Das ist unklar. Mehrere Attentäter sind womöglich als Flüchtlinge getarnt nach Europa eingereist. In Deutschland werden die Sicherheitsmaßnahmen erhöht. Die Staats- und Regierungschefs der Top-Wirtschaftsmächte (G20) berieten bei ihrem Gipfel in der Türkei weitere Maßnahmen.

Wie war der Ablauf?

Drei Terrorkommandos hatten am Freitagabend an sechs Orten in der französischen Hauptstadt nahezu gleichzeitig zugeschlagen. Sie schossen auf Menschen in Cafés und Restaurants, in der Konzerthalle »Bataclan« und sprengten sich während des Länderspiels Frankreich gegen Deutschland in der Nähe des Stadions in die Luft. Sieben Attentäter kamen ums Leben.

Wer sind die Attentäter?

Einer der »Bataclan«-Attentäter wurde als der 29-jährige Franzose Omar Ismaïl Mostefaï identifiziert. Der Kleinkriminelle war mehrfach vorbestraft und den Behörden wegen seiner Radikalisierung bekannt, fiel aber bisher nicht im Zusammenhang mit Terrornetzwerken auf. Bei den Überresten eines der Selbstmordattentäter vom Stade de France wurde ein syrischer Pass gefunden. Es verdichten sich Hinweise, dass dieser Mann und ein weiterer Attentäter als Flüchtlinge getarnt in die Europäische Union einreisten. Ein 25-Jähriger namens Ahmed Almuhamed soll am 7. Oktober in Serbien eingetroffen sein. Am 3. Oktober war er laut griechischen Behörden als Flüchtling auf der Insel Leros registriert worden. Laut Polizei könnte ein zweiter Täter über die Türkei nach Griechenland eingereist sein.

Hatten die Attentäter Komplizen?

Ermittler nahmen weitere Angehörige der getöteten Selbstmordattentäter aus dem Konzertsaal »Bataclan« in Polizeigewahrsam, wie der französische Fernsehsender BFMTV gestern berichtete. Dort hatten die Angreifer während eines Konzerts mindestens 87 Menschen getötet. Womöglich wollten die Attentäter ein noch größeres Blutbad anrichten. Nach einem Bericht des »Wall Street Journal« könnte ein Anschlag direkt in dem mit knapp 80 000 Fans besetzten Stadion geplant gewesen sein, in dem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen Frankreich spielte.

Wer sind die Opfer?

Es gibt 129 Tote – davon allein mindestens 87 Tote in dem Club »Bataclan« – und mindestens 352 Verletzte, Dutzende von ihnen schweben in Lebensgefahr. Es wurde auch mindestens ein 28-Jähriger aus München getötet, der seit Längerem in Paris lebt. Das gab das Auswärtige Amt gestern bekannt. »Die Identifizierung der Opfer ist noch nicht vollständig abgeschlossen, es liegen auch noch keine vollständigen Angaben über die Identitäten der Verletzten vor«, hieß es. Bis gestern Mittag wurden 103 Leichen identifiziert. Der getötete Deutsche saß in einem der beschossenen Cafés auf der Terrasse, wie der ARD-Korrespondent Mathias Werth unter Berufung auf die deutsche Botschaft in Paris berichtete. Demnach sind auch unter den Verletzten mehrere Deutsche.

Welche Maßnahmen ergreift die französische Regierung?

Frankreichs Präsident François Hollande sprach von einem »Kriegsakt« des IS und kündigte »angemessene Entscheidungen« an. Premierminister Manuel Valls sagte am Samstagabend dem Sender TF1: »Ja, wir sind im Krieg.« Frankreich werde handeln, um diesen Feind zu zerstören. Im Internet war eine zunächst nicht verifizierbare Erklärung aufgetaucht, in der sich der IS zu den Anschlägen bekennt. Frankreich wird angedroht: »Dieser Überfall ist nur der erste Tropfen Regen und eine Warnung.«

Was ist mit Deutschland?

Die deutschen Behörden gehen nach Angaben von Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit Hochdruck möglichen Bezügen nach Deutschland nach. Der CDU-Politiker verwies auf den Fall eines 51 Jahre alten Autofahrers, der möglicherweise auf dem Weg nach Paris vor gut einer Woche in Oberbayern mit einem großen Waffen-Arsenal aufgeflogen war. De Maizière sagte nach einer Krisensitzung im Kanzleramt: »Auch Deutschland steht unverändert stark im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus.« Justizminister Heiko Maas (SPD) kündigte an, es werde eine für die Bürger sichtlich erhöhte Polizeipräsenz geben.

Was tun die deutschen Sicherheitsbehörden genau?

Die Bundespolizei hat mehr Einsatzkräfte an die Grenze zu Frankreich geschickt und Streifen an Flughäfen und Bahnhöfen intensiviert. Verbindungen von und nach Frankreich rücken besonders in den Blick. Nach einem Anschlag in einem Nachbarland setzen Polizei und Geheimdienste in Deutschland hinter den Kulissen automatisch eine Maschinerie in Gang: Die Behörden checken, ob es Verbindungen und Kontakte der Täter nach Deutschland gibt. Sie sprechen dazu mit den V-Leuten in der Islamisten-Szene, durchforsten Foren und Netzwerke im Internet. Sie überwachen besonders die islamistischen »Gefährder« – also jene, denen sie einen Terrorakt zutrauen. Weil es die Sorge gibt, dass Rechtsextremisten auf die Anschläge reagieren, stehen diese nun auch unter besonderer Beobachtung.

Wie groß ist Gefahr, dass IS-Terroristen als Flüchtlinge getarnt nach Deutschland einreisen?

Bei Polizei und Geheimdiensten gingen bisher etwa 100 Hinweise auf mögliche Terroristen ein, die auf diesem Weg ins Land gekommen sein sollen. In keinem dieser Fälle habe sich der Verdacht bisher bestätigt, heißt es. »Aber man darf den IS nicht unterschätzen«, meint Terrorexperte Rolf Tophoven. »Die Gefahr ist nicht auszuschließen. Unsere Sicherheitsbehörden können nicht jeden kontrollieren.« Nach Einschätzung von Fachleuten dürften Terroristen eher auf anderem Weg versuchen, nach Deutschland zu kommen – etwa mit gefälschten Papieren im Flieger. Polizei und Geheimdienste beobachten allerdings, dass Islamisten versuchen, junge Flüchtlinge, die in Deutschland sind, zu rekrutieren.