Das Ziel? Mehr deutsche Medaillen bei Olympischen Spielen. Foto: AP

Der Trend ist klar: Deutsche Athleten holen bei Olympia immer weniger Medaillen. Künftig sollen deshalb bei der Verteilung der Gelder nicht mehr vergangene Erfolge, sondern Perspektiven zählen.

Stuttgart -

Herr Hörmann, sind Sie gespannt, was Sie am Samstag in Magdeburg erwartet?
Gespannt bin ich vor jeder DOSB-Mitgliederversammlung – weil es immer interessante Diskussionen gibt. Darauf freue ich mich.
Wirklich?
Warum nicht?
Weil es Kritik am Konzept zur Spitzensportreform geben könnte. Und vielleicht ja sogar Widerstand.
Kritik ist bei so einem Reformvorhaben normal. Wir werden am Freitag im Kreis der Mitgliedsorganisationen zum wiederholten Male klar, offen und transparent über die Reform diskutieren, so wie wir das bei anderen Themen auch tun. Da wird sicher kein Blatt vor den Mund genommen. Am Ende werden wir versuchen, für den Samstag eine Beschlussvorlage abzustimmen, die klar und deutlich mehrheitsfähig ist. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird.
Mit welcher Mehrheit wären sie zufrieden?
Ich werde mich jetzt auf keine Prozentzahl festlegen. Ich gehe von einem sehr überzeugendem Votum aus. Die erheblichen Vorbehalte gegen die Reform, die manche Medien seit Wochen beschreiben, sehe ich nicht.
Was macht Sie so optimistisch?
Die Gespräche, die ich mit den DOSB-Mitgliedern führe.
Aber auch Athleten, Trainer und Vertreter der Fachverbände äußerten zuletzt teilweise lautstark Kritik. Und Sie selbst haben gewarnt, die Reform nicht zu zerreden.
Klar ist: Wenn ein solches Konzept über lange Zeit in großen Kreisen erarbeitet wird, dann ist es logischerweise so, dass die Reaktionen dazu sehr unterschiedlich ausfallen. Da gibt es nicht nur Schwarz oder Weiss.
Sondern?
Das Thema hat so viele Einzelkomponenten, dass man sich eben die Zeit nehmen muss, das gesamte Konzept zu lesen – man darf nicht nur oberflächlich und schnell irgendwelche Einzelelemente wie zum Beispiel die Potenzialanalyse herausziehen und kritisieren. Wer die ganze Reform bewertet, wird sehen: Sie ist absolut stimmig.
Ist das die Resonanz, die Sie spüren?
Ja. Je mehr sich die für die Entwicklung des deutschen Sports Verantwortlichen mit den Details beschäftigt haben, umso mehr haben sie erkannt, dass das Konzept wertvolle Verbesserungen für die Zukunft bringen wird. Deshalb hat sich die Stimmung in den letzten Wochen auch deutlich erkennbar zum Positiven verändert.

Hörmann über den Gegenwind und eine Kampagne

In einem TV-Beitrag des WDR wurde Ihnen zuletzt ein „perfides Täuschungsmanöver“ vorgeworfen, weil Sie angeblich fälschlicherweise eine 95-prozentige Zustimmung der Athleten zur Reform verkündet haben.
Dabei habe ich über zwei verschiedene Aspekte gesprochen. Zum einen ging es um die Leistungssport-Reform, zu der es nie eine konkrete Befragung der Athleten gegeben hat. Zum anderen um einen Markenprozess des DOSB und der Deutschen Sport Marketing, in dem Auftritt und Geist unseres Olympia-Teams im Mittelpunkt steht. Das Ergebnis aus der letztgenannten Initiative habe ich als unseren Kompass für die Umsetzung der Leistungssportreform dargestellt, speziell was die Bedingungen für die Athleten betrifft.
Haben Sie das Gefühl, dass derzeit eine Kampagne gegen Sie läuft?
Diesen Eindruck kann man gewinnen, und das zeigt schon zu Beginn der Reform, wie stark der Gegenwind zu notwendigen Veränderungen werden kann.
Hat dies Auswirkungen auf die Reform?
Nein. Ich bin überzeugt davon, dass wir wichtige und wertvolle Verbesserungen werden umsetzen können, weil wir – Innenministerium, Länder und DOSB – uns mit dem Thema Spitzensport in einer Intensität auseinandergesetzt haben, wie es in den letzten Jahrzehnten wohl kaum einmal der Fall war.
Wo wurde zuletzt noch nachgebessert?
Wir haben vor allem darüber sehr intensiv diskutiert, was mit den Verbänden passiert, die temporär für die nächsten vier oder acht Jahre weniger Potenzial aufzeigen können. Anfangs war in dem Konzept relativ hart formuliert, dass sie gar keine Förderung mehr erhalten werden.
Und jetzt?
Sind wir uns klar darüber, dass jeder Verband gewisse Grundelemente der Förderung benötigt, um auf Spitzenebene mit einem hauptamtlichen Sportdirektor oder Bundestrainer überhaupt arbeitsfähig zu sein.
Es gibt also keinen Verband aus einer olympischen Sportart, dem die Förderung komplett gestrichen wird?
Genau. Kein Verband wird leer ausgehen.

Hörmann über die Sicht der Athleten

Unverändert sind die Hauptkritikpunkte an der Reform. Zählen in Zukunft im deutschen Sport nur noch Medaillen?
Nein. Das Konzept ist an dieser Stelle eindeutig: Für uns sind nicht nur die Medaillen wichtig, sondern auch die Finalplätze.
Aber?
Klar ist, dass die gemeinsame Zielstellung auch in Zukunft der maximale Erfolg bleibt. Und das muss im Leistungssport auch deutlich formuliert werden können. Das entspricht im Übrigen auch exakt der Zielstellung der meisten Athletinnen und Athleten.
Künftig gibt es ein Potenzialanalysesystem. Kann ein Computer berechnen, wer in vier oder acht Jahren auf dem Podest steht?
Die Analytik wird für mehr Transparenz sorgen. Es ist künftig besser nachzuvollziehen, wer warum wie gefördert wird. Das begrüßen insbesondere die Athleten, weil die bisherige Art der Förderung doch hin und wieder einer gewissen Willkür unterlag.
Was geschieht mit den Ergebnissen des Potenzialanalysesystems?
Sie dienen als Grundlage für die Strukturgespräche und die Diskussionen in der Förderkommission, in der DOSB, Bundesinnenministerium und die Länder, wo sie betroffen sind, Verantwortung übernehmen. Niemand muss Sorge haben, dass nur der Computerausdruck über die Zukunft eines Verbandes entscheidet.
Potenzialanalysesystem, Strukturgespräch, Förderkommission – hört sich nach ziemlich viel Bürokratie an.
Das sehe ich überhaupt nicht so. Drei Schritte, die logisch, transparent und strukturiert sind, werden sicher weniger Diskussionen nach sich ziehen als die bisherigen Förder- und Zielvereinbarungsgespräche, bei denen es oft auch noch Vor-, Zwischen-, Nach- und sonstige Gespräche gegeben hat.

Hörmann über die unsichere Zukunft des OSP Tauberbischofsheim

Sie haben vor, die Zahl der Olympiastützpunkte von 19 auf 13 zu reduzieren. Stimmt es, dass es in Baden-Württemberg mit dem Landessportverband einen neuen Träger geben wird, sich ansonsten aber zumindest für die Stützpunkte in Stuttgart, Freiburg und Heidelberg so viel nicht ändert?
Das ist richtig beschrieben. Ich empfinde es als enorm wertvoll und vorbildlich, dass Baden-Württemberg hier vorgeprescht ist. Wir diskutieren schon seit zwei Jahren über diese einvernehmliche Trägerstruktur, die nun eingeführt wird. Welche Veränderungen dies in den nächsten Jahren an welchem Standort in der Organisation und im Rollenverständnis mit sich bringt, wird man sehen. Wichtig ist: Die Zukunft dieser drei Standorte ist völlig unzweifelhaft gesichert.
Ein neuer Träger und sonst nichts Neues – ist das nicht nur eine Mogelpackung?
Nein. Ähnliche Modelle gibt es in anderen Bundesländern auch, zum Beispiel in Bayern. Wir wollen ja nicht bewährte dezentrale Stützpunktstrukturen zerstören, sondern eine klare, landesweit einheitliche, sportfachliche Koordination pro Bundesland.
Wir dachten, die Olympiastützpunkte sollten künftig vor allem effizienter arbeiten.
Das wird in der neuen Struktur gelingen. Ich lade Sie herzlich ein, das Thema in drei Jahren mit mir noch einmal zu analysieren und kritisch zu bewerten.
Was wird aus dem Olympiastützpunkt der Fechter in Tauberbischofsheim?
Über diesen Standort müssen wir separat noch einmal ganz detailliert reden – da mache ich keinen Hehl aus meiner kritischen Meinung. Leistung und Gegenleistung müssen hier nochmals sauber analysiert werden.

Hörmann über den Antidopingkampf

Steht in dem Konzept noch drin, dass ein deutscher Verband möglichst einen Vertreter in einem internationalen Gremium haben soll?
Ja, und das völlig zu Recht.
Warum? Ein deutscher 100-Meter-Läufer wird doch nicht schneller, nur weil sein Präsident im Council des Weltverbandes sitzt.
Das mag sein. Aber es gibt auch andere Beispiele. In verschiedenen Kampfsportarten haben wir bei den Olympischen Spielen in Rio bestätigt bekommen, dass Athleten auch weiterhin mit geringeren Chancen starten werden, wenn es ihren Verbandsverantwortlichen nicht gelingt, künftig das Regelwerk und die Kampfrichterbesetzungen weltweit besser mitzubestimmen.
Stichwort Chancengleichheit: Sagt Ihnen der Name Chaunte Lowe etwas?
Das ist eine US-Hochspringerin, oder?
Richtig. Sie ist bei den Sommerspielen 2008 in Peking Sechste geworden, vor zwei Wochen rückte sie auf den Bronze-Platz vor – weil drei Springerinnen, die vor ihr lagen, bei Nachkontrollen als Doperinnen überführt wurden.
Das ist schrecklich, für die Athletin und für den gesamten Sport. Aber zugleich ein Beweis dafür, dass die Prüfmethoden ständig verbessert werden und Betrüger sich auch lange Jahre nach einem Erfolg nicht sicher sein können.
Viele deutsche Athleten und Trainer kritisieren, die Reform berücksichtige zu wenig, dass saubere Athleten in internationalen Wettkämpfen einen gravierenden Nachteil haben.
Deshalb müssen Sport und Politik weiterhin aktiv darum kämpfen, dass international ähnlich professionell kontrolliert und gegen Doping vorgegangen wird wie in Deutschland. Nur so kann es gelingen, die Chancengleichheit schrittweise zu verbessern. Im Übrigen wird das berücksichtigt.
Bei den Nachtests von 2008 und 2012 sind bisher 79 Athleten aufgeflogen, darunter sechs Gold- und Dutzende weiterer Medaillengewinner. Wie steht es um die Glaubwürdigkeit des Sports?
Das sind schockierende Zahlen. Aber mir macht Mut, dass – auch wenn es unbefriedigend ist – die Doper wenigstens Jahre später überführt werden. Auch die nachträgliche Sanktion kann abschrecken. Ein Trost für diejenigen, die um den größten Moment ihrer Karriere betrogen worden sind, ist das allerdings nicht.

Hörmann über die Medaillenforderung der Politik

Zurück zum Spitzensport in Deutschland. Wann wird die Reform erste Früchte tragen?
Ich bin sicher, dass wir einige Verbesserungen schon bald umsetzen können, zum Beispiel die veränderte OSP-Struktur in Baden-Württemberg. Ziel ist, dass nach zwei Übergangsjahren die Reform ab 2019 voll greift. Manches wird uns schon für Tokio 2020 helfen, aber man darf sich nichts vormachen: Es geht, und so war die Reform auch von Beginn an klar angelegt, vor allem darum, für die nächsten Jahre und Jahrzehnte die Weichen neu zu stellen. Das ist ein langer und steiniger Weg.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat für 2020 ein Drittel mehr Medaillen gefordert.
Das war vor allem eine plakative Aussage, mit der er aufzeigen wollte, dass es möglich ist, den Trend nach unten bei der Zahl der Medaillen umzukehren, wenn wir effizienter werden und die eine oder andere Schwachstelle im System beseitigen.
Wie viel Geld ist nötig, um künftig mehr Medaillen zu holen als die 42 von Rio?
Wir waren uns von Anfang an mit der Politik einig: Erst das Konzept, dann die Diskussion über die finanzielle Ausstattung. Der Minister hat deutlich formuliert, dass er am Ende des Prozesses einen nennenswerten Zuwachs der Mittel als notwendig erachtet und sich dafür auch einsetzen wird.
Könnte die Bundestagswahl 2017 dem Sport einen Strich durch die Rechnung machen?
Es sind klare Beschlusslagen vorhanden. Wir gehen davon aus, dass diese seitens der Politik dann auch konsequent in die neue Legislaturperiode übernommen werden.
Aber Sie hätten nichts dagegen, wenn Thomas de Maizière Innenminister bleibt?
Wir haben eine sehr gute, effiziente und partnerschaftliche Zusammenarbeit. Ich wäre froh, wenn es in dieser oder ähnlicher Form weitergehen würde.
Am Samstag wird bei der DOSB-Mitgliederversammlung über die Reform des Spitzensports abgestimmt. Sollte sie wider Erwarten abgelehnt werden, wären dann auch Sie als DOSB-Präsident gescheitert?
Ich habe mich das nie gefragt, sondern mit dem gesamten Team des Sports und unseren Partnern für ein bestmögliches Konzept gearbeitet. Deshalb freue ich mich auf den noch spannenderen Teil der Aufgabe – nämlich die Reform nun auch umzusetzen.