Möbel in Naturtönen, üppig Gepolstertes, glamouröse Akzente – und was noch bei Einrichtungstrends für Herbst und Winter 2023 dominiert.
Der Hochzeitsschrank von der Großmutter steht heute im Wohnzimmer. Der Schrank ist aus Vollholz, schlichtes Ornament, Messingbeschläge. Ein bisschen sind die Füße vom Holzwurm angeknabbert, ansonsten steht er fabelhaft da. Fast 100 Jahre alt ist das Möbel. Es gegen eine Schrankwand einzutauschen, dafür war im Großmutterleben weder das Geld da – noch der Platz.
So war das mal, zur Hochzeit gab es einen Schrank, der musste ein Leben lang halten, weil es keine Möbeldiscounter gab und der Schreiner vor Ort alles herstellte. Das war kein Luxus, aber eben solide. Wer Großmütter hat, die einem so einen Schrank vererben, oder Gestalter wie Stefan Dietz kennt, dessen Großvater solche Schränke hergestellt hat, muss nicht lange überlegen, um zu sagen, was gutes Design ist: ein qualitätsvolles Ding. Ein möglichst funktionales Produkt, vielleicht auch noch innovativ und im besten Fall mit dem gewissen Etwas.
Kaufzurückhaltung bei Möbeln
Seit die Nachhaltigkeitsdebatte die Möbelindustrie erreicht hat, weisen Hersteller auf die Langlebigkeit ihrer Produkte hin. Oder darauf, dass sie wiederverwertbar sind. Doch das ist nicht das Ziel ehrgeiziger Gestalterinnen und Gestalter. Wer möchte schon angehenden Müll produzieren?
Abgesehen vom guten Gewissen, das der Mensch von heute mit einem guten, womöglich daher auch teureren Schrank, Sessel, Tisch nach dem Kauf mit nach Hause nimmt, könnte die Entscheidung, lieber weniger, dafür aber Hochwertiges zu kaufen, auch wieder finanzielle Gründe haben.
Wiewohl die Inflation im Vergleich zu jener der 1920er noch deutlich geringer ausfällt, schauen die Leute mehr darauf, wofür sie ihr Geld ausgeben – wenn überhaupt. Umfrageergebnisse sprechen von einer Konsumzurückhaltung bei den Deutschen, die lange Jahre nicht nur Reise-, sondern auch Möbelkaufweltmeister waren.
„Die deutsche Möbelindustrie bekommt seit Monaten das schwache Konsumklima (Inflation, Heizungsdebatte etc.) zu spüren“, sagt Christine Scharrenbroch, Sprecherin des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie. „Die Auftragslage ist verhalten, die Auftragseingänge liegen spürbar unter dem Vorjahr. Der Umsatz der deutschen Möbelindustrie sank von Januar bis August 2023 um 1,3 Prozent auf 12,15 Milliarden Euro (im Inland: -1,8%, im Ausland: -0,1%). Für das Gesamtjahr 2023 rechnen wir angesichts der schwachen Nachfrage mit einem Umsatzminus von fünf bis sieben Prozent.“
Beim hochpreisigen Möbel spielt der Faktor Wertanlage eine Rolle. Ein Sessel von Le Corbusier zwar ganz schön teuer, aber eben auch wertbeständig. So können sich die Erben irgendwann entweder wertschätzend selbst in den Klassiker ins Wohnzimmer stellen – oder sie machen ihn auf dem Design-Vintagemarkt zu Geld. Ein Fiberglas-Eames-Stuhl mit Armlehne kostet oft mehr als ein neues Exemplar aus dem Vitra-Store, der die 1950 entworfenen, überaus bequemen Sitzgelegenheiten noch produziert.
Ursprünglich waren die Kunststoffstühle in drei Farben erhältlich: in einer Kombination aus Grau und Beige, Elefantengrau und in einer Farbe von Pergament, aus Fiberglas mit einem klaren Harz und einem Hauch von Grau oder Schwarz. Und, Überraschung: Die Farben von damals sind die Farben von heute, besser Nichtfarben.
Natürliche Töne und Materialien
Es herrscht ein dezenter Minimalismus – schales Beige, warmes Hellbraun, beherztes Grau, tiefes Schwarz. Natürliche Töne und Materialien – Rattan, Holz, Stein –, kombiniert mit Materialien wie matt glänzendem Messing – oder immer häufiger zu sehen: Chrom, Silberfarben.
Fein und cosy dürfen die Stoffe sein. „Bei den Bezugsstoffen liegt eine wertige, strukturierte Optik im Trend“, sagt Christine Scharrenbroch, „etwa Bouclé- und Ondégarne; Chenillegarne werden für den weichen Griff eingesetzt.“ Wolle, Cord, Tweed, Teddystoff, Velours, recycelte Garne aus Plastikflaschen seien häufig zu sehen.
Derlei auffällige Stoffe sind auch beliebt, so vermutete jüngst der Designer Sebastian Herkner, da der zunehmend im Digitalen sich bewegende Mensch daheim gern etwas Reales, sich gut Anfühlendes in Händen hält. „Die sinnliche Erfahrung, einen Platz ganz und gar für sich in Beschlag zu nehmen, sich buchstäblich häuslich einzurichten, ist eben doch ein rein analoges Erlebnis. Das Verlangen danach ist entsprechend groß“, sagt auch Ute Laatz, Autorin und Herausgeberin des Bandes zum Innenarchitekturpreis „Interior des Jahres 2023“.
Wenn Möbel und Räume farbig werden, dann klar, kräftig im All-over-Look – der ganze Raum und die Möbel sind in einer Farbfamilie. Yves-Klein-Blau ist etwa bei Ikea zu finden. Die Interior-Designerin Constanze Ladner, die beim „Best of Interior 2023“-Award eine Anerkennung für die Gestaltung eines Hauses in Mainz erhalten hat, wagt sich an eine Küche in Rosafarben, einen Salon in Gelb.
Zeitgemäße Art-déco-Pracht
Doch so wie der Sommer urplötzlich aufhörte dieses Jahr und die Blätter besonders sich schnell von Grün zu Gelb färbten, schaut es in den meisten Räumen aus, die Firmen fürs Herzeigen ihrer neuen Produkte inszenieren. An zurückhaltenden Interieurs sieht man sich nicht so rasch satt.
Selbst der Innenarchitekt Fabian Freytag übt sich in Dezenz, mit einem Hauch zeitgemäßer Art-déco-Pracht. Der „Interior“-Award-Gewinner hat eine Wohnung in einem sanierten Gebäude aus den 1930ern in Berlin gestaltet. Die interessant zirkushaft gestreifte Deckengestaltung ist das Höchste an Extravaganz.
Farben der Steppe, des Waldes oder Sylts Dünenlandschaft sieht auch Christine Scharrenbroch als Trend: „Helle, warme Naturtöne oder zarte Pastelle, erdige Rottöne, Grüntöne, Oliv, frisches Lindgrün oder ein kräftiges Grasgrün.“
Wiederauflage alter Möbelklassiker
Ligne Roset aus Frankreich etwa legt sein ikonisches, knuffiges Sofa „Kashima“ von Michel Ducaroy von 1976 wieder auf, die angesagte kroatische Manufaktur Prostoria hat Sessel und Sofamodelle in Beige im Programm, aber auch in schön gedecktem Rostrot. Der italienische Hersteller Magis bringt ein dunkel moosgrünes Sofa auf Kufen aus weißer Bronze auf den Markt.
Häufig sind die großzügigen Formen, auch der Sofas deutscher Hersteller wie „All Together“ von Kati Meyer-Brühl für die Firma Brühl, üppig gepolstert. Sie sitzen fest auf dem Boden auf, wirken solide, beruhigend. Gerade in unsicheren Zeiten sitzt man wenigstens gern sicher. Und wenn auch nicht gleich ein Leben lang, macht sich so ein Möbel für eine längere Weile doch gut neben Großmutters Hochzeitsschrank.