Traktorenproduktion beim indischen Hersteller Force Motors: Neben Schlagschraubern kommen auch normale Schraubenschlüssel zum Einsatz, es riecht nach Öl und Schmierfett. Foto: Otte

Der Autoindustrie in Indien wird in den nächsten Jahren starkes Wachstum zugetraut. Davon profitieren Hersteller wie VW und Mercedes, die heute schon vor Ort produzieren. Oder indische wie die Firma Force Motors – auch wenn manches in deren Fabrik in Pune aus deutscher Sicht ungewöhnlich anmutet.

Pune - Eine Atmosphäre wie im Museum: duster und ein bisschen muffig. Traktor-Karossen hängen wie Ausstellungsstücke von der Decke. Es riecht nach Öl und Schmierfett, das sich an die Sohlen der Besucher heftet und manchen fast ausrutschen lässt. Willkommen im Werk des indischen Autobauers Force Motors in Pune: Hier werden Schrauben teils von Hand angezogen, das Arbeitstempo bestimmt der Mensch, nicht die Maschine. Mit einer Jahresproduktion von 30.000 Fahrzeugen ist Force Motors zwar einer der kleinsten Autobauer weltweit, bei Preisen von um die 11.000 Euro für einen Geländewagen aber auch einer der günstigsten.

Damit ist das Unternehmen hervorragend für den indischen Markt aufgestellt: Von 1000 Einwohnern besitzen heute höchstens zwölf ein eigenes Auto, die meisten Inder bewegen sich auf zwei Rädern fort. In den letzten fünf Jahren haben sich die Fahrzeugverkäufe vor Ort allerdings auf rund 3,4 Millionen Stück (Pkw und Lkw) verdoppelt, nach China ist Indien der zweitgrößte Markt für die Autoindustrie weltweit. Das haben deutsche Hersteller wie Daimler, Porsche, BMW und VW längst erkannt und eigene Werke in Indien aufgebaut. Eine der Hochburgen für die Branche ist die Stadt Pune im Bundesstaat Maharashtra, die der baden-württembergische Wirtschaftsminister Nils Schmid mit einer Delegation besucht hat.

Europas größter Autohersteller VW baut hier den Polo und die Golf-Variante Vento, insgesamt 120.000 Pkw jährlich. Die etwa 700 Millionen Euro Investitionen in den Standort sind das bis dato größte Industrievorhaben eines deutschen Konzerns in Indien. Ebenfalls als einziger deutscher Hersteller bietet VW in Indien die gesamte Fertigungskette an – vom Presswerk über den Karosseriebau und die Lackiererei bis zur Montage. Auf diesem Weg spart Volkswagen gegenüber der Herstellung im Heimatland Lohnkosten und Importzölle, ein in Pune gefertigter VW Polo kostet mit rund 8000 Euro deutlich weniger als in Deutschland.

Mercedes hat 2013 Pkw-Verkäufe in Indien um 31 Prozent gesteigert

„Der Trend geht eindeutig zur Produktion vor Ort“, sagt Bernhard Steinrücke, Chef der deutsch-indischen Industrie- und Handelskammer. Auf einen fahrbereiten Pkw aus dem Ausland verlangt der indische Staat nahezu 100 Prozent Einfuhrgebühr. Motoren und Getriebe, die in den gleichen Containern geliefert werden, besteuert der Zoll immerhin mit rund 30 Prozent. Die geringsten Gebühren, zehn Prozent, fallen auf Einzelteile an. Letzteren Weg hat Daimler für seine Fertigung in Pune gewählt, „die Einfuhr kompletter Fahrzeuge rechnet sich aufgrund der hohen Zölle für uns nicht“, sagt Eberhard Kern, Mercedes-Chef in Indien. Stattdessen importiert Daimler seine Fahrzeuge in Einzelteilen, dieses Jahr wollen die Stuttgarter insgesamt 10.000 Modelle der Limousinen C-, E- und S-Klasse sowie der Geländewagen Mercedes ML und GL verkaufen. Das ist weniger als ein Prozent des weltweiten Absatzes, Daimler sieht in Indien allerdings vor allem einen strategischen Markt: BMW, Audi und Mercedes zusammen stellen rund 95 Prozent des indischen Premiummarkts, ihre Klientel garantiert auch in den derzeitig schwierigen Wirtschaftszeiten Wachstum.

In den ersten neun Monaten 2013 hat Mercedes seine Pkw-Verkäufe in Indien um 31 Prozent gesteigert, dabei kostet ein Mercedes laut Kern zwischen 30 und 50 Prozent mehr als in Deutschland. Kern: „In dem Segment, in dem wir uns bewegen, sind die Leute nicht von der Inflation abhängig.“ Allein für die Zulassung ihres Fahrzeugs müssen Autokäufer in Indien bis zu 20 Prozent des Anschaffungspreises zusätzlich berappen.

Der indische Hersteller Force Motors bedient das andere Ende des Markts: Der 1995 verstorbene Gründer Navalmal Kundanmal Firodia gilt als Begründer der indischen Autoindustrie, seine Vision beim Firmenstart 1946: Fahrzeuge für die breite Bevölkerung zu bauen. „Diesem Gedanken sind wir bis heute verbunden“, sagt Abhay Firodia, einer seiner Söhne und Force-Motor-Chef. Traktoren und Transporter aus der Produktion vor Ort sind ähnlich günstig wie das 11.000-Euro-Geländemobil Force One.

„Der Kunde kauft ein Auto, weil er es braucht, nicht weil es die Umwelt schont“

Das erfordert eine klare Strategie: Weil sich Benzin massiv verteuert hat, bietet Force Motors nur noch Diesel-Antriebe an, von Elektroautos lässt das Unternehmen ganz die Finger. „Das ist interessant, aber nicht für uns“, sagt Firodia. „Der Kunde kauft ein Auto, weil er es braucht, nicht weil es die Umwelt schont.“ Produkte von Force sind nicht zuletzt deswegen so günstig, weil der Hersteller kaum von Zulieferern abhängig ist – „bei unseren Stückzahlen sind wir gezwungen, alles allein zu machen, niemand beliefert uns“, sagt der Firmenchef. Dabei kommt zumindest im Traktorenwerk in Pune nach wie vor auch noch der normale Schraubenschlüssel zum Einsatz.

Trotzdem verbindet den Billigproduzenten ausgerechnet mit dem Premiumhersteller Daimler eine jahrzehntelange Bande: Bereits in den 80ern und 90ern hat Force von Mercedes Lizenzen für die ersten Sprinter-Modelle erworben und verkauft diese heute deutlich günstiger als Eigenmarke. Außerdem bauen Force-Mitarbeiter die Motoren für die in Indien verkauften Mercedes-Modelle zusammen und übernehmen laut Firodia zudem Serviceaufgaben. „Motorenwerk Übertürkheim“ nennt der Chef stolz die Niederlassung für diese Tätigkeiten.

Doch wie sieht die Zukunft für Autobauer in Indien überhaupt aus? Wie die Konjunktur im Allgemeinen schwächelt derzeit der Pkw- und Lkw-Absatz, dies spüren auch Zulieferer wie der Getriebehersteller ZF. Dieser will so lange auf Einstellungen verzichten, „bis wir wieder Zeichen von Besserung sehen“, sagt ZF-Indien-Chef Piyush Munot. „Jede Industrie hat Bauchschmerzen, wie es weitergeht.“ Allerdings kann kein Inder lange Trübsal blasen, Prognosen zufolge sollen in 15 Jahren bereits 68 von 1000 Einwohnern ein eigenes Auto fahren. Auch bei ZF-Manager Munot gewinnt nach wenigen Minuten der typisch indische Optimismus wieder die Oberhand: „Neun Millionen verkaufte Fahrzeuge jährlich werden kommen, davon sind wir überzeugt.“