Ein Mitarbeiter der Abfallwirtschaftsgesellschaft Rems-Murr verfrachtet den Biomüll in die Vergärungsanlage in Backnang-Neuschöntal. Foto: Max Kovalenko

In Vergärungsanlagen müssen allzu oft Störstoffe aussortiert werden – Aktion Gelbe Karte gestartet.

Backnang/Leonberg - Alle paar Tage rücken sie wieder an: staunende Laien, verständnisvoll nickende Experten, beflissene Lokalpolitiker. Ihr Wissensdurst gilt der im November 2011 durch Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) freigegebenen Vergärungsanlage im kleinen Backnanger Teilort Neuschöntal. Dort wird sämtlicher Biomüll aus den Braunen Tonnen des Landkreises verarbeitet. Erst vor wenigen Wochen war auch der Stuttgarter Gemeinderat da – die Landeshauptstadt will bis in drei Jahren eine ähnliche Anlage errichten.

Das 13,2 Millionen Euro teure Bauwerk gilt als ökologisches Vorzeigeprojekt in der Region. Täglich rund 140 Tonnen, jährlich also bis zu 36.000 Tonnen Bioabfälle werden hier verarbeitet, daraus entsteht zum einen Ökostrom, der für den Jahresbedarf von knapp 3000 Haushalten reicht. Die Abwärme dient der Trocknung von 15.000 Tonnen Klärschlamm in der benachbarten Kläranlage. Und aus den organischen Abfällen wiederum werden 15.000 Tonnen Flüssigdünger und 10.000 Tonnen Biokompost jährlich für die heimische Landwirtschaft oder den Gartenbau gewonnen. Und weil die Luft per Unterdruck zurückgehalten wird, stinkt es zwar innen teils fürchterlich – aber erstaunt registrieren die Besucher draußen auf dem Hof: „Man riecht ja fast überhaupt nichts.“

Die Menge dieses fehlerhaft angelieferten Materials liegt bei 15 Prozent

Seit einigen Monaten stören allerdings sogenannte Störstoffe die positive Stimmung. Also alles, was in die Braunen Tonnen nicht hineingehört, etwa Zigarettenkippen, Windeln, Staubsaugerbeutel, Blumentöpfe, insbesondere aber Plastiktüten. Die Menge dieses fehlerhaft angelieferten Materials liegt bei 15 Prozent. Dies bereitet der Abfallwirtschaftsgesellschaft (AWG) erhebliche Probleme und führt zu Mehrkosten. Denn der nicht verwertbare Abfall aus den Biotonnen, vor allem der Plastikmüll, muss aufwendig aussortiert und als Restmüll entsorgt werden. Ungeeignet sind auch jene oft zartgrünen kompostierbaren Bioabfallbeutel, die in Supermärkten verkauft werden. Doch diese Folientüten können die Bakterien in dem knapp zweiwöchigen Vergärungsprozess im sogenannten Fermenter nicht abbauen.

Derartiger Ärger ist in anderen Vergärungsanlagen der Region ebenfalls bekannt. So in Leonberg. Grund für die Problematik der Biotüten ist, so Dusan Minic, Sprecher des Böblinger Landratsamts, „dass wir in unserer Vergärungsanlage in Leonberg nicht über acht bis zehn Wochen kompostieren, sondern lediglich über maximal 18 Tage vergären und daraus Energie gewinnen“. Der Gärrest enthält dann die geschredderten Kunststofftüten, die eine Ausbringung auf den Feldern erheblich einschränken.

Die Rems-Murr-Abfallberater haben kürzlich einige Abfuhrtouren begleitet. „Das Ergebnis war erstaunlich“, sagt AWG-Sprecher Siglinger. „In manchen Straßenzügen waren in jeder zweiten Biotonne diese Folienbeutel drin – das spricht sich offenbar in den Vierteln rum, und dann kauft es einer nach dem anderen.“ Das könne er auch durchaus nachvollziehen: „Die Tüten haben natürlich praktische Vorteile; sie sind unkomplizierter zu handhaben, sie brechen nicht durch, wenn sie nass sind, es gibt keine Gerüche und man kann sie gut zuknoten.“

Die Werbeaufschrift „kompostierbar“ auf den Tüten „ist ja auch gar keine Falschaussage“

Die Hersteller dazu zu bewegen, die Beutel aus dem Handel zu nehmen, hält er für fast aussichtslos. Im Übrigen: Die Werbeaufschrift „kompostierbar“ auf den Tüten „ist ja auch gar keine Falschaussage“.

Die AWG-Müllwerker haben deshalb jene Tonnen, die Störstoffe oder Folienbeutel enthielten, mit einer Gelben Karte als Verwarnung versehen. Die „große Keule“, also die Rote Karte, will man im Rems-Murr-Kreis bisher noch nicht zücken. Grund, so Siglinger: Demnächst soll in der Vergärungsanlage nochmals ein Versuch gefahren werden, wie genau sich diese Biosäcke auf die Anlage auswirken und ob nicht doch Verbesserungen möglich sind.

Entwarnung gibt’s keine, es bleibt bei der Vorgabe

In der Bevölkerung stößt dieser Tadel ohnehin nicht immer auf Verständnis. In Leonberg meint eine darauf angesprochene Bürgerin: „Das ist doch deren Bier, wenn’s nicht klappt – ich mache es weiter wie bisher mit diesen praktischen Beuteln.“ Im Rems-Murr-Kreis gibt es ebenfalls geharnischte Reaktionen. „Nun trennt man schön artig, benutzt schon kompostierbare Biomüllbeutel, die extra dafür ausgewiesen sind, schon bekommt man die Gelbe, später dann die Rote Karte“, schimpft der Waiblinger Torsten Hauser. Auch Petra Herrmann aus Weinstadt ist verärgert: „Wenn die Backnanger Vergärungsanlage diese grünen Biobeutel nicht verarbeiten kann, dann muss man sie eben umrüsten und darf das Problem, nur weil es für die Oberen bequem ist, nicht auf die Bürger abwälzen.“ Wie sie haben wahrscheinlich auch andere noch etliche ungeöffnete Biomüllbeutel-Packungen im Schrank.

Die AWG hat ebenfalls schon zahlreiche Protestnoten erhalten. „Da heißt es dann, was seid ihr denn für Doofmänner, dass ihr eine solche Anlage baut, die das nicht kann“, sagt Siglinger. Doch Entwarnung gibt’s keine, es bleibt bei der Vorgabe: In die Biotonne dürfen nur Abfälle, die in Papiertüten, alte Zeitungen oder im Handel erhältliche spezielle Kraftpapierbeutel eingewickelt sind.