Milliardenpleite: Der chinesische Immobiliengigant Evergrande Foto: AFP/GREG BAKER

Die Evergrande-Pleite ist zwar kein Lehman-Brothers-Moment wie bei der weltweiten Finanzkrise 2008 , doch für Millionen Chinesen sehr wohl eine persönliche Tragödie: Sie stehen nun vor halb fertigen Bauruinen.

Das finale Urteil im spektakulären Evergrande-Prozess fiel mehr als niederschmetternd aus. Der chinesische Immobilienriese habe in den letzten anderthalb Jahren „keinen Umstrukturierungsvorschlag, geschweige denn überhaupt einen tragfähigen Vorschlag“ vorgelegt, entschied die Hongkonger Richterin Linda Chan. Die Interessen der Gläubiger seien daher „besser geschützt“, wenn das Bauunternehmen nun endgültig abgewickelt würde. Damit ist das Ende des am stärksten verschuldeten Bauentwicklers der Welt besiegelt: Evergrande wird per Gerichtsentscheidung aufgelöst.

Seit Jahren bereits schwelt im Reich der Mitte eine Immobilienkrise, die wie ein Bremspedal das Wachstum der Volkswirtschaft lähmt. Denn in keinem anderen Staat von vergleichbarer Größe spielt die Baubranche eine derart große Bedeutung für das Bruttoinlandsprodukt, und nirgendwo ist der soziale Frieden so damit verknüpft. Die Causa Evergrande stellt dabei weder die erste noch die letzte Pleite eines Immobilienkonzerns dar, doch mit Sicherheit ist es die spektakulärste: Über 300 Milliarden Dollar Schulden hat Evergrande über die Jahre angehäuft. Zum Glück für das internationale Finanzsystem sind die allermeisten der Verbindlichkeiten jedoch in Festlandchina verortet.

Das letzte Wort hat Staatschef Xi Jinping

Das letzte Wort hat nun die kommunistische Parteiführung in Peking. Diese ist – zumindest theoretisch – nicht dazu verpflichtet, das Hongkonger Urteil tatsächlich umzusetzen. Es gilt allerdings als unwahrscheinlich, dass Staatschef Xi Jinping dem gefallenen Bauriesen ein umfassendes Rettungspaket schnüren wird. In seinen Reden hatte der 70-Jährige mehrfach klargemacht, dass die Unternehmen auch die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssten.

Denkbar wäre allerdings sehr wohl eine Art „chinesischer Sonderweg“, wie Jacob Gunter von der Berliner Denkfabrik Merics argumentiert: Demnach würde Peking zwar grundsätzlich mit der angeordneten Liquidierung von Evergrande fortfahren, jedoch den Prozess etwas abfedern und verlangsamen.

Denn für die auf Stabilität bedachte Zentralregierung steht bei der Immobilienkrise indirekt auch ihre Existenz auf dem Spiel: Allein durch die Evergrande-Pleite dürften weit über eine Million chinesische Haushalte – ohne staatliche Hilfe – auf Immobilien sitzenbleiben, die sie zwar bereits bezahlt haben, die jedoch niemals fertig gebaut werden. Jeder einzelne Fall ist in den Augen Pekings eine tickende Zeitbombe. Denn wenig fürchtet die Parteiführung mehr, als dass die urbane Mittelschicht – angestachelt von wirtschaftlicher Misere – gegen den Machtanspruch der KP aufbegehrt. Denn deren Legitimation beruht schließlich seit der wirtschaftlichen Öffnung in den 1980ern auf einem unausgesprochenen Gesellschaftsvertrag: Das Volk gibt seine politische Mitbestimmung ab, erwartet aber von seiner Regierung, dass diese für stetig wachsenden Wohlstand sorgt.

Scherbenhaufen

Mit der Pandemie ist das Wachstumsversprechen jedoch ins Stocken geraten, woran die Immobilienkrise einen großen Anteil hat. Der jetzige Scherbenhaufen kommt allerdings keineswegs überraschend, sondern ist vielmehr eine Krise mit Ansage. Über etliche Jahre hat sich schließlich die Immobilienblase in der Volksrepublik – trotz der Warnungen von Experten – immer weiter aufgebläht. Die riskanten Schneeball-Kredite gieriger Bauentwickler wie Evergrande waren jedoch nur ein Teil des Problems.

Denn auch der Staat profitierte als Nutznießer dieses Systems: Da die Bürgerinnen und Bürger im kommunistischen China per Verfassung kein Land besitzen dürfen, sondern dieses nur auf maximal sieben Jahrzehnte verpachtet bekommen, stand den Lokalregierungen im Immobiliensektor eine scheinbar unerschöpfliche Goldgrube zur Verfügung. Wann immer die öffentliche Hand knapp bei Kasse war, konnte sie die Nutzungsrechte für neues Bauland verkaufen – und dies bevorzugt zu astronomischen Preisen.

Die Privathaushalte haben große Teile ihres Ersparten – manche Experten gehen von über 70 Prozent aus – in den Wohnungsmarkt geparkt. Denn aufgrund der strengen Kapitalkontrollen können sie ihr Geld nicht ins Ausland bringen, und innerhalb Chinas stehen ihnen nur begrenzte Anlagemöglichkeiten zur Verfügung. Der heimische Aktienmarkt ist aufgrund des politisch disruptiven Systems keine Alternative: Die Kurse befinden sich branchenübergreifend seit Jahren auf einer regelrechten Talfahrt.

Die Immobilienpreise stiegen hingegen rasant an. Doch auf ewig konnte das Geschäft nicht gut gehen. Denn auch der Leerstand wuchs mit atemberaubender Geschwindigkeit, überall säumen mittlerweile riesige Bauruinen die chinesischen Vorstädte.

Krise wird so gut wie totgeschwiegen

Erst Ende 2020 zog die Regierung die Reißleine: Xi Jinping ordnete seinen Banken an, Kredite für Immobilienfirmen künftig an strengere Kriterien zu knüpfen. Über Nacht begannen die Bauentwickler zu taumeln.

Die Nachricht über die Evergrande-Pleite wurde im streng zensierten chinesischen Internet geradezu stiefmütterlich behandelt, als ob es sich um eine bloße Randnotiz handeln würde. Die englischsprachige Staatspropaganda erwähnte das Thema selbst am späten Nachmittag mit keiner Silbe, die chinesischsprachigen Medien platzierten die Nachricht wenig prominent auf ihren Webseiten.