Heike Drechsler beim Sport. Die Leichtathletin ist nach ihrem Karriereende im Leistungssport zur Gesundheitsexpertin für eine Krankenkasse geworden. Foto: Leif Piechowski

Kreuzschmerzen sind einer der häufigsten Gründe für einen Arztbesuch. Doch weniger die Bandscheiben als mangelnde Bewegung und Stress sind die Ursachen für die Leiden, heißt es beim Berufsverband der Orthopäden.

Stuttgart - Es kann eigentlich nur ein Werk des Bösen sein, wenn ein urplötzlicher Schmerz einen in die Knie gehen lässt. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der Volksmund die Schmerzen seitens des Nervus Ischiadikus einfach als „Hexenschuss“ bezeichnet. Die Schmerzen aus diesem Bereich der unteren Lendenwirbelsäulen gehören zu den häufigsten Leiden.

Statistisch gesehen hat jeder Mensch irgendwann in seinem Leben einmal Kreuzschmerzen. Auf der Suche nach den Ursachen haben die Ärzte meist die unteren Wirbelkörper im Blick. Diese können vor allem bei älteren Menschen brechen, die Wirbelsäule wird dann regelrecht zusammengestaucht. Es kommt zu Schmerzen. Auch die Bandscheiben können für Rückenleiden verantwortlich sein. Sie puffern die Wirbelsäule und machen sie beweglich. Geraten sie aus den Fugen, drücken sie schmerzhaft gegen die Nervenstränge, die entlang der Wirbelsäule verlaufen.

Wenn das geschieht, wird immer häufiger das Skalpell gezückt: Seit 2007 ist die Zahl der operativen Eingriffe an der Bandscheibe um 40 Prozent nach oben gegangen. Dabei warnt selbst der Bundesverband der Orthopäden und Unfallchirurgen vor unnötigen Operationen. „Natürlich haben wir zum einen bessere Operationsmethoden, die Eingriffe möglich machen, die man vor zehn Jahren noch nicht hätte durchführen können“, sagt Andreas Gassen, Vizevorsitzender des Berufsverbands der Orthopäden und Unfallchirurgen. Aber auch er weiß: „Man kann davon ausgehen, dass ein Teil der Operationen zu vorschnell durchgeführt wurde.“

Operation bei Schädigung der Nerven

Tatsächlich ist es wissenschaftlich belegt, dass eine Bandscheiben-Operation meist gar nicht mehr hilft als eine konservative Behandlung – etwa mit Hilfe von Schmerzmitteln und einer Physiotherapie. Lediglich wenn aufgrund eines Bandscheibenvorfalls eine Schädigung der Nerven vorliegt, ist eine Operation sinnvoll.

Experten wie der Schmerztherapeut Marcus Schiltenwolf von der Orthopädischen Universitätsklinik in Heidelberg sehen den Grund für die häufigen Operationen in der Menge der Operateure, die sich mittlerweile auf den Rücken spezialisiert haben. Der Orthopäde Gassen macht dagegen auf das knappe Budget der Fachärzte aufmerksam, das es vielen schwermache, Patienten vernünftig mit Schmerzmitteln und Krankengymnastik zu therapieren.

Hinzu kommt die Ungeduld etlicher Patienten. Wem es im Rücken zwickt, hat einen hohen Leidensdruck: „Der Patient will die Schmerzen loswerden, und zwar so schnell wie möglich“, sagt Gassen. Dabei vergehen die Kreuzschmerzen in 90 Prozent der Fälle nach wenigen Wochen wie von selbst. Doch so lange wollen offenbar nicht alle warten: Die Operation hat den Ruf, alles schnell wieder heil zu machen. „Dass Krankengymnastik dabei ebenfalls eine Option sein kann, wollen viele nicht glauben.“ Auch aus Bequemlichkeit, wie Gassen bestätigt. Denn die Anwendungen der Physiotherapeuten können nur helfen, wenn der Patient mittrainiert.

Dabei ist es gerade die Bewegung, die vielen die Leiden mit ihrem Kreuz ersparen würden: Wie Reihenuntersuchungen bewiesen haben, führen Schädigungen der Bandscheiben nicht zwangsläufig zu Schmerzen. „Es gibt sehr häufig Patienten, die verschlissene Bandscheiben haben, aber keinerlei Schmerzen spüren“, sagt Gassen.

Wie man im Büro seine Muskulatur und Wirbelsäule stärkt und so Rückenschmerzen vorbeugt, erfahren Sie hier.

Verkümmerte Muskeln aufgrund Lebensweise

Tatsächlich sind die weitaus häufigeren Ursachen für Rückenschmerzen Bewegungsmangel, Haltungsfehler oder eine Überlastung der Wirbelsäule beispielsweise aufgrund von Übergewicht. Viele Menschen haben aufgrund ihrer Lebensweise verkümmerte Muskeln. Doch ohne das stützende Muskelkorsett verliert die Wirbelsäule ihren Halt. Sie wird anfällig für schmerzhafte Verspannungen. Zu diesem Ergebnis ist auch eine Studie in Norwegen gekommen. Dabei wurden 30 000 Frauen und Männer auf ihre Anfälligkeit von Rückenschmerzen untersucht: Je träger sie lebten, desto übergewichtiger waren sie – und umso häufiger klagten sie auch über Schmerzen.

Zu den körperlichen Ursachen kommen die seelischen: Im Jahr 2012 befragte die Techniker-Krankenkasse im Rahmen einer Forsa-Umfrage Menschen zum Thema Rückenschmerzen. Ein Drittel nannte Stress und seelische Probleme als Ursache der Rückenschmerzen. „Wobei sich in den meisten Fällen körperliche als auch psychische Ursachen überlagern“, sagt Andreas Gassen. Eine psychische Anspannung führt zu schmerzhaften Verspannungen der Nacken- und Rückenmuskeln.

Das wiederum behindert die Beweglichkeit. Der Patient schont sich, statt sich zu bewegen, um sein Muskelkorsett zu stärken. Zudem werden die Nerven durch ständige Schmerzen empfindlicher. Die Folge: Noch mehr Schmerz.

Da kann dann auch kein Skalpell mehr helfen. Rückenpatienten sollten daher erkennen, dass es für ihre Beschwerden nicht immer einen organischen Auslöser gibt, sagt Gassen. Die meisten bräuchten eine Bewegungstherapie und ein Teil auch therapeutische Gespräche. Dadurch vergehen zwar die Schmerzen nicht sofort, sagt Gassen. „Aber es ist immerhin ein erster Schritt.“