Mats Staub inmitten seiner Ausstellung und all der Erinnerungen. Foto: Toni Suter / T+T Fotografie

Die Oma winkte zum Abschied immer mit einem weißen Taschentuch. Und der Opa sah aus wie eine Wurst. Mats Staub sammelt Erinnerungen von Enkeln an die Großeltern. Im Wilhelmspalais kann man sie anhören.

Stuttgart - Geschichten waren hier seit jeher zu Hause. In Buchstaben geronnen und auf Papier gedruckt, standen sie in Regalen und warteten auf Leser. Nachdem die Stadtbücherei in den Neubau am Hauptbahnhof zog und zuletzt im Wilhelmspalais Nachtschwärmer ein und aus gingen, kehren nun die Geschichten zurück. Allerdings nicht in Form von Büchern. Sondern noch altmodischer: als mündliche Erzählungen. Die Ausstellung „Meine Großeltern. Geschichten zur Erinnerung“ verzichtet auf jeden Schnickschnack, es gibt einige Fotos, bewegte Bilder sucht man vergebens, der Film soll beim Zuhörer ablaufen. „Kopfkino“ nennt es der Schweizer Künstler Mats Staub, der seit 2008 die Erinnerungen von Enkeln an ihre Großeltern sammelt, bearbeitet und sie auf iPods speichert.

Angefangen hat er mit sich selbst. „Ich wollte meine eigenen Großeltern kennenlernen, weil mir auffiel, wie wenig ich eigentlich über sie weiß.“ Er ging auf Spurensuche, redete mit seinen Eltern, fand „Geschichten voller Lücken“, erzählte Freunden von seinem Annähern an die eigenen Wurzeln und bekam von jenen bestätigt, dass auch sie ihre Großeltern nicht richtig kannten. „Das ist wie ein Puzzle, das nicht alle Teile hat.“

Zen bis 15 Minuten lange Erzählungen

Manche Teile wird er nicht mehr entdecken, doch die Suche ließ Staub nicht mehr los. Er begann. Geschichten zu sammeln, ließ Enkel über Omas und Opas erzählen. Ohne Anspruch auf historische Wahrheit, was wahr ist, was Hörensagen, was Schönfärberei, muss jeder beim Hören selbst entscheiden. 300 Geschichten hat er bisher gesammelt. Da erzählt Stephan über seinen Opa, der einen Kolonialwarenladen hatte und bei der Waffen-SS war; die 1899 geborene Oma Gautsch gab ihrem Mann, einem Schwerenöter, den Laufpass; Opa Vovo hat sein ganzes Land verzockt; und bei einer anderen Oma muffelte es immer so eigenartig im Bad. 50 Geschichten hat Staub für die Ausstellung im Wilhelmspalais ausgewählt, darunter auch Erinnerungen von Stuttgartern. Wobei der schwäbische Tonfall täuschen kann, denn Oma und Opa lebten in Italien, der Türkei oder gar in Uruguay. Man reist in Gedanken um die Welt. Oder zurück in die Heimat. So wie die Frau aus dem Sudetenland. Jahrzehnte nach der Flucht fahren die Enkelin und der Enkel mit ihr in die alte Heimat, um endlich den sagenumwobenen „riesigen Garten“ zu sehen, von dem die Oma immer schwärmte. Er entpuppte sich als verwildertes Stückle, ein Kleingarten.

Zehn bis 15 Minuten lang sind die Erzählungen. „Es sind die kleinen Geschichten, die die große Geschichte schreiben“, sagt Anja Dauschek, Leiterin des Planungsstabs des Stuttgarter Stadtmuseums. Die Herangehensweise des Schweizer Künstlers entspreche der Philosophie des künftigen Stadtmuseums: „Geschichte ist mehr als eine Sammlung historischer Fakten.“ Im zukünftigen Stadtmuseum wolle man ebenso wie Mats Staub die Stuttgarter in der Vorbereitung, aber auch im Museum selbst einbeziehen. Ende November beginnt der Umbau. 2016 soll dann das Stadtmuseum fertig sein. 36,3 Millionen Euro gibt die Stadt dafür aus.

Doch zuvor kann man noch Erinnerungen lauschen. Und sich selbst erinnern. So wie Mats Staub. Als er von einem Enkel hört, dass dessen Oma immer zum Abschied mit einem weißen Taschentuch winkte, fiel ihm wieder ein, dass „meine Großmutter das auch gemacht hat“. Und wieder hat er ein Puzzleteil entdeckt, das seine eigene Geschichte vervollständigt.

Die Ausstellung ist vom 2. März bis zum 20. April im Wilhelmspalais am Charlottenplatz zu sehen und zu hören. Die Öffnungszeiten sind täglich – außer Montag – von 16 bis 20 Uhr. Der Eintritt ist frei.