Mit diesem Alien, in dessen Innern Woody Harrelson steckt, ist nicht zu spaßen: Szene aus „Venom – Let there be Carnage“ Foto: imago images/Prod.DB/Sony Pictures

Die Fortsetzung der bizarren Comic-Reihe um außerirdische Symbionten mit Superkräften ist ein buntes Popcorn-Spektakel und schert sich nicht um Logik.

Stuttgart - Venom und Eddie Brock sind Ausnahmeerscheinungen unter den Comic-Helden aus dem Marvel-Universum: Die furchterregende außerirdische Kreatur bewohnt den menschlichen Wirt, verleiht ihm die Fähigkeit zur Gestaltwandlung sowie Superkräfte und geht ihm mit schlechten Angewohnheiten gehörig auf den Geist – etwa mit der, ständig anderen Menschen den Kopf abbeißen zu wollen.

 

Die erste Kino-Verfilmung „Venom“ (2018) war ein Hit auch wegen solcher schwarzhumoriger Grenzüberschreitungen. Dem Regisseur Ruben Fleischer gelang es, eine feine Balance zu halten zwischen Action, irrwitzigem Slapstick und einer ernsthaften Meta-Botschaft. Letztere kommt Andy Serkis im zweiten Teil vollständig abhanden: „Venom – Let there be Carnage“ ist ein großes Spektakel mit abenteuerlichen Wendungen – und letztlich viel Lärm um nichts.

Das Chaos kommt über reinen Selbstzweck kaum hinaus

Im ersten Teil bringt der Journalist Eddie Brock (Tom Hardy) einen skrupellosen Erfinder zu Fall, der Unterprivilegierten Aliens einpflanzt. Die Probanden sterben reihenweise. Im Labor handelt Brock sich den anarchischen Venom ein und wird der Erste, bei dem die Symbiose funktioniert. Tom Hardy („Mad Max: Fury Road“), ein Charakterdarsteller für die ganz harten Fälle, meisterte den schmalen komödiantischen Grat: Er machte aus Eddie Brock glaubhaft einen furchtlosen, rabaukigen TV-Journalisten, der alles opfert für eine Welt, in der kein Platz ist für gierige Hasardeure und Egomanen.

Als Cliffhanger interviewt Brock im Gefängnis den Serienkiller Cletus Kasady, und der tritt nun als Bösewicht ins Rampenlicht. Er gelangt an einen besonders bösartigen Symbionten namens Carnage, der Venom weit überlegen ist. Mit dessen Hilfe bricht er aus dem Todestrakt aus und befreit seine Geliebte Frances Barrison alias Shriek, die in der Psychiatrie in einer schalldichten Zelle sitzt, weil sie mit ihren Schreien die ganze Welt zum Einsturz bringen kann. Dann sorgen Kasady und Carnage für Chaos, das über reinen Selbstzweck kaum hinauskommt.

Woody Harrelson gibt den perfekten Psychopathen

Andy Serkis, der für seine Gollum-Darstellung in den „Herr der Ringe“-Filmen bekannt wurde, überdeckt die Inhaltsleere mit jeder Menge Dekoration, die man so ähnlich freilich schon öfter gesehen hat in Filmreihen wie „Batman“, „Avengers“, „Hellboy“ oder „X-Men“. Die grausigen Aliens sind wieder hervorragend animiert. Kasady verrät sich mit einer irrwitzigen Wandzeichnung, die er an seine Zellenwand gemalt hat. Später wütet er ohne erkennbaren Grund in einer Kathedrale, die immerhin eine hübsche Kulisse abgibt. Die erstklassigen Darsteller tun, was möglich ist. Woody Harrelson („Three Billboards outside Ebbing, Missouri“) hat sich schon in „Natural born Killers“ (1994) als perfekte Besetzung für Psychopathen empfohlen. Als Kasady zieht er eine große Show ab, die an den Joker erinnert, einen Gegenspieler von Batman, und ein wenig an den kannibalischen Hannibal Lecter in „Das Schweigen der Lämmer“.

Brock und Venom haben Beziehungsprobleme

Doch anders als Todd Phillips in seinem Drama „Joker“ (2019) durchdringen Andy Serkis und das Drehbuch die Figur nicht wirklich, im Gegenteil: Kasady erklärt seine Deformation mit küchenpsychologischen Plattitüden von einer wüsten Kindheit. Das soll genügen für Hollywood-Abendunterhaltung mit einem Produktionsbudget von rund 110 Millionen Dollar (rund 95 Millionen Euro).

Hardy schlägt urkomische Momente heraus, wenn er als Brock mit Venom in handfeste Beziehungsprobleme gerät. Dieser Strang ist mit Abstand der originellste. Die eindrucksvolle Michelle Williams („Manchester by the Sea“) flankiert Hardy erneut als mondäne Ex-Freundin Anne, wirkt als Anwältin mit goldenem Herzen aber arg hineinkonstruiert in die kaum existente Handlung. Da geht es Naomie Harris („Skyfall“, „Moonlight“) besser, sie gibt eine schön verhaltensauffällige Shriek und hat mit ihrer Figur zumindest eine wichtige Funktion.

Inhaltlich kaum konkurrenzfähig

„Venom – Let there be Carnage“ ist ein perfektes Beispiel dafür, wie Hollywood sein Potenzial verspielt. Mit derart flachem Entertainment ist das Kino inhaltlich nicht konkurrenzfähig gegenüber Qualitätsserien. Man braucht zum aktuellen Vergleich nur auf die koreanische Netflix-Produktion „Squid Game“ zu schauen: Darin spielt ein grusliges Spektakel auf Leben und Tod nicht etwa die tragende Rolle, sondern dient allein dem Zweck, geistige Verwahrlosung und die Verheerungen in einer marktradikalen Gesellschaft offenzulegen.

Als Cliffhanger schwebt immer noch Spider-Man im Raum, zu dessen Widersacher Venom in den Comics wird. Im Kinofilm „Spider-Man 3“ (2007) hatte er bereits einen Auftritt. Es wäre schade, wenn Eddie Brock und sein Monster nun mangels Substanz von der Bildfläche verschwinden würden.

Venom – Let there be Carnage. USA 2021. Regie: Andy Serkis. Mit Tom Hardy, Woody Harrelson. 97 Minuten. Ab 12 Jahren.