Roman Zitzelsberger zeigt sich überrascht vom scharfen Ton der Arbeitgeber. Foto: dpa

Die IG Metall hat die Beschäftigten eingehend zur Arbeitszeitpolitik in den Betrieben befragt. Baden-Württembergs Bezirksleiter Zitzelsberger erkennt in den Ergebnissen einen klaren Wunsch.

Stuttgart - An diesem Dienstag präsentiert die IG Metall den zweiten Teil ihrer großen Beschäftigtenbefragung, der der Arbeitszeit gewidmet ist. Bezirkschef Roman Zitzelsberger wertet die baden-württembergischen Resultate auf der Grundlage von 180 000 Rückmeldungen als Aufforderung, mehr individuelle Ansprüche von den Arbeitgebern zu fordern.

Herr Zitzelsberger, die IG Metall hat die Präsentation ihrer Beschäftigtenbefragung sozusagen in einen Wahlkampfteil und einen Arbeitszeitpart unterteilt. Versuchen Sie so, das Interesse künstlich hochzuhalten?
Die Zweiteilung war notwendig, um noch etwas tiefer zu bohren. Sauber auszuwerten, welche Beschäftigten- und Altersgruppen hinter den Antworten stecken, erschien uns bei den Fragen zur Arbeitszeit noch wichtiger, als bei den politischen Fragen zu differenzieren. Deshalb hat der zweite Teil einfach länger gedauert.
Ist das Resultat wieder ein Wunschkatalog geworden wie beim sozialpolitischen Teil?
Auch der erste Teil ist kein Wunschkatalog. Interessant sind dabei doch die Prioritäten in den Antworten – beispielsweise die Betonung der betrieblichen Altersvorsorge gegenüber anderen Rentenarten. Bei der Arbeitszeit war es uns auch wichtig zu sehen, wie sich die Antworten aus der Befragung 2013 verändert haben. Denn die konjunkturell ausgezeichnete Lage seither wirkt sich auch auf die Ergebnisse aus.
Was sind denn die wesentlichen Botschaften des Arbeitszeitteils?
Erstens gibt es eine hohe Zufriedenheit mit der Arbeitssituation insgesamt. Diese ist zweitens dort signifikant höher, wo sich Betriebsräte aktiv um die Fragen kümmern und eine Tarifbindung vorliegt. Drittens schaut es im Detail schon wieder anders aus: Da sehen zum Beispiel Schichtarbeiter Verbesserungsbedarf bei der Kombination von Wochenend- und Schichtarbeit. Um deren Belange müssen wir uns kümmern.
Lediglich jeder Zehnte ist mit seiner Arbeitszeit nicht zufrieden. Planen Sie für die Tarifrunde ein Programm für Minderheiten?
Weitere knapp 18 Prozent sind nur teilweise zufrieden. Wir haben die Befragung nicht in erster Linie gemacht, um daraus eine Tarifforderung abzuleiten. Viel wichtiger wird es in den nächsten Monaten sein, auf betrieblicher Ebene die Details anzuschauen. Es gibt eine große Ungleichheit zwischen Flexibilitätsanforderungen aus Unternehmenssicht und echten Rechtsansprüchen auf Freiräume für die Beschäftigten. Bei der Frage nach dem für sie wichtigsten Gegenwert für Flexibilität sagen 97 Prozent der Beschäftigten: Wenn ich mal frei haben will, muss es auch für mich möglich sein. Dies klappt vielfach aber nicht.
Welches sind die zentralen Wünsche?
Die tarifvertraglich vereinbarte 35-Stunden-Woche ist als Basis ganz klar bestätigt worden. Darüber hinaus lässt sich ein hohes Interesse an individuellen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Arbeitszeit ablesen. So wünschen sich zwei Drittel, die Arbeitszeit aus welchen Gründen auch immer mal vorübergehend absenken zu können. Also ist das offensichtlich eine Kernbotschaft an uns, individuelle Ansprüche zu ermöglichen.

„Konfrontationspotenzial“ mit den Arbeitgebern

Schichtarbeiter wünschen mehr noch als andere Beschäftigte die selbstbestimmte Einteilung von Arbeitszeit. Können neue Technologien helfen – oder gibt es bei der Zeiteinteilung organisatorische Grenzen?
Dass mobile Arbeit die letzten Jahre einen solchen Hype erlebt in den Betrieben, hat sich bestätigt. Die Schichtarbeiter, die orts- und zeitgebunden in restriktiven Systemen arbeiten, sagen: Es ist ja ganz nett, dass andere Mitarbeiter auch von zu Hause arbeiten können – aber wie sieht es für uns aus? Warum ist bei uns kein flexibler Arbeitszeitbeginn möglich, zumal unsere Leistungsanforderungen besonders hoch sind? Ein Lösungsansatz kann sein, Gleitzeit und Schichtarbeit zu kombinieren.
Wo liegen die Kardinalunterschiede zu den Bundesergebnissen?
In Baden-Württemberg hat sich ein vergleichsweise hoher Anteil aus Großbetrieben beteiligt – zudem ein höherer Anteil aus Forschung und Entwicklung. Und bundesweit sind 38 Prozent der Rückmeldungen von Nicht-Mitgliedern – bei uns sind es 44 Prozent.
Die Arbeitgeber wünschen sich auch mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit – lassen sich da schon Schnittmengen erkennen?
Momentan sehe ich eher Konfrontationspotenzial. Südwestmetall will die Anforderungen rein aus Unternehmenssicht gestalten. Es soll auch Arbeit über zehn Stunden hinaus möglich sein. Natürlich beschäftigen uns auch die Anforderungen der Unternehmenskunden, aber wenn ich die Antworten der Arbeitgeber mit den Rückmeldungen der Beschäftigten vergleiche, stelle ich da ein Riesendelta fest.
Einer Arbeitgeberumfrage zufolge ist eine deutliche Mehrheit bereit, mehr als zehn Stunden zu arbeiten und Mindestruhezeiten einzuschränken. Schätzen Sie die Beschäftigten falsch ein?
Die Arbeitgeber haben bundesweit etwa 1000 Beschäftigte demoskopisch befragt – wir haben allein in Baden-Württemberg fast 180 000 Rückmeldungen. Da sind wir doch um einiges repräsentativer unterwegs. Bei uns gibt ein nicht unwesentlicher Teil an, dass schon heute die gesetzlichen Ruhezeiten nicht eingehalten werden und dass die Höchstarbeitszeit von zehn Stunden überschritten wird. Das zentrale Argument der Arbeitgeber lautet: Man müsse auf die globale Vernetzung mit einer Verlängerung der Höchstarbeitszeit reagieren, damit ein Mitarbeiter abends noch mit Partnern in anderen Erdteilen telefonieren kann. Das erscheint mir nicht besonders clever. Dafür gibt es andere Möglichkeiten.
Mobiles Arbeiten, lebensphasenorientierte Arbeitszeiten oder die Schichtarbeit tangieren unterschiedliche Beschäftigtengruppen. Zur Mobilisierung brauchen Sie aber eine Tarifforderung, von der alle profitieren?
Es beschäftigt uns in der Tat, wie eine Klammer über alle Beschäftigten hinweg aussehen könnte. Wichtig ist, dass wir die Ergebnisse zunächst auf betrieblicher Ebene diskutieren und nicht von oben herab die Interpretationshoheit übernehmen. Dann können wir auf der Tarifkonferenz Ende Juni in Mannheim eine Spur legen, wo die Tarifforderung hingehen kann.
Intern besteht ein Druck, die Hoheit über die Arbeitszeitpolitik zurückzugewinnen. Ist eine generelle Arbeitszeitverkürzung nötig?
Dafür gibt es in Teilen eine Sympathie. Das reicht aber nicht aus, um daraus eine solche Forderung abzuleiten.
Erwarten Sie einen fundamentalen Streit mit den Arbeitgebern in der Tarifrunde?
Mich hat überrascht, mit welcher Schärfe sich Südwestmetall positioniert. Die gesamten Flexibilitätsverabredungen der letzten 30 Jahre werden quasi negiert. Es wird signifikant mehr von den Beschäftigten gefordert – Zeitsouveränität will man nur gegen noch mehr Flexibilität bei längerer Arbeitszeit gewähren. Wenn sich das so fortsetzt, betrachte ich das als einen Hinweis, dass wir in eine konfliktäre Tarifrunde laufen. Die Signale, dass man in Ruhe abwägt und für beide Seiten das Beste herausholt, habe ich bisher nicht erhalten.
Die Mehrkosten sollen halt nicht über den Verteilungsspielraum hinausgehen?
Stattdessen wird die Botschaft vermittelt, dass wir uns bei den Lohnerhöhungen jetzt mal zurückhalten sollen. Wir sehen zwar die Herausforderungen auf der Kostenseite. Doch leben wir in einer prosperierenden Wirtschaft, die Leistungsanforderungen sind gestiegen. Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund für Zurückhaltung.