Selbst die Nachtwächter vom Kultur- und Museumsverein waren überrascht, als sie am Marktbrunnen auf Katja Müller, Jacqueline Reichel und Doris Horschig-Ladenburger (von rechts) trafen. Diese wollten es sich nämlich nicht entgehen lassen, zumindest beim eventuell vorletzten Nachtwächterumgang wieder einmal als Waschweiber dabei zu sein. Foto: Kultur- und Museumsverein Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Horber Nachtwächter boten trotz Regenschauern wieder einmal einen kurzweiligen Umgang

Bei einsetzendem Regen zählte Vereinskassierer Stefan Reichel am Freitagabend auf dem Marktplatz vor dem Rat- und Wachthaus rund 80 Personen, die sich zur achten Stunde bei durchwachsener Wettervorhersage eingefunden hatten.

Horb . Die Zuschauer wollte an der eventuell vorletzten Nachtwächterführung des Kultur- und Museumsvereins teilnehmen.

Trockenen Fußes marschierten Joachim Lipp, Heinrich Raible und Bruno Springmann zum Wachthaus, um dort ihre Gäste zu begrüßen, unter denen sich einige Mitglieder des Kolping-Chors Stuttgart befanden, die im Juni einen Auftritt in der Stiftskirche hatten. Kaum war der letzte Glockenschlag von der Stiftskirche verklungen und erstmals das Rufhorn geblasen, setzte der Regen ein. Doch davon ließen sich weder die Nachtwächter noch die umfangreiche Teilnehmerschar aus dem Konzept bringen.

Die drei Herren erinnerten zu Beginn ihrer Führung daran, dass aller Wahrscheinlichkeit nach der Nachtwächter und nicht die Prostituierte den ältesten Beruf der Menschheit besitzt. Der Schrecken der Dunkelheit ist nämlich zeitlos, und selbst in der Neuzeit ruft die Finsternis immer noch die übelsten Elemente in Mensch, Natur und Kosmos auf den Plan. Deshalb ist auch in Horb die Nachtwache so alt wie die hochmittelalterliche Stadt selbst. Hellebarde, Laterne und Rufhorn gingen mit der Pflicht, die Nachtwache zu halten, unter den Bürgern zunächst reihum.

Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurde die beschwerliche Nachtwache auf besoldete Wächter übertragen, die vom Schultheißen ernannt wurden. Zur Mitte des 16. Jahrhunderts zählte die Nachtwache schließlich zu den besoldeten Diensten der Stadt, deren Amtsträger immer nach Weihnachten auf dem Horber Rathaus beim Jahrgericht gewählt und vereidigt wurden. Zum 1. April 1937 hob der Horber Stadtrat schließlich die letzte Nachtwächterstelle auf, nachdem die Schutzmannschaft der Polizei aufgrund der nachlassenden Kräfte von Nachtwächter Franz Rimmele mehr und mehr die Hauptlast des Wachtdienstes getragen hatte. Dazu merkte Nachtwächter Raible an: "Ond weil en Horb d’ Nachtwach seit 1937 vo da Bolizei g’halda wud, dürfet ihr zo jedem Horber Bolizischda ogstroft Nachtwächter saga."

Am Barockportal des Geßlerschen Amtshauses warnten die Nachtwächter nicht ohne Grund vor der Weißen Frau, die dazu verdammt sei, hier jede Nacht herumzugeistern und stündlich ihren Nachttopf aus dem Fenster zu leeren. Vereinskassierer Stefan Reichel war in die Rolle der bärbeißigen Maria Elisabetha Geßler von Braunegg geschlüpft, und alle zogen die Köpfe ein, als die Weiße Frau den Inhalt ihres Bottschambers aus dem zweiten Stock schüttete.

Für eine besondere Überraschung, mit der selbst die Nachtwächter nicht gerechnet hatten, sorgten am Marktbrunnen Katja Müller, Doris Horschig-Ladenburger und Jacqueline Reichel, die als Waschweiber verbotener Weise im Brunnentrog ihre schmutzige Wäsche bauchten. Vor rund drei Jahren haben die Damen aus familiären Gründen ihr Waschweiberdasein an den Nagel gehängt, aber bei der vielleicht vorletzten Führung der Horber Nachtwächter wollten sie unbedingt noch einmal dabei sein. Für ihren Auftritt erhielten die drei Waschweiber Applaus auf offener Szene.

Vor dem einstigen Franziskanerinnenkloster feuerten die Nachtwächter wieder einmal ihre Breitseiten gegen die so innig geliebten Freudenstädter ab. Obernachtwächter Lipp hatte alle Lacher, unter denen sich sogar Freudenstädter befanden, auf seiner Seite, als er anmerkte: "Wer oa Johr lang z’ Freidstadt g’wohnt hot, deam g’fällt ’s überall uf dera Welt."

Beim Gang entlang der Sommerhalde entledigte sich Vereinskassierer Reichel als schlaftrunkener Bürger mit einem lauten "Obacht!" seines Nachttopfinhalts und die Teilnehmerschar suchte lachend schnell das Weite. Nachdem Obernachwächter Lipp auf der Marktstraße die Anekdote vom dicken König Friedrich von Württemberg zum Besten gegeben hatte, wurde allen Teilnehmern klar, weshalb die Stadt Horb bei der Stuttgarter Landesregierung in Ungnade gefallen ist und deshalb zur Strafe bei der Gebietsreform 1973 dem neuen Landkreis Freudenstadt zugeschlagen wurde. Sämtliche Teilnehmer zeigten sich von der zweistündigen Führung wieder einmal hellauf begeistert und waren sich darüber einig, dass die Neckarstadt zweifellos um eine Attraktion ärmer ist, falls die Nachtwächter vom Kultur- und Museumsverein im nächsten Jahr nicht mehr auftreten sollten.