Heimatgeschichte: Alte Steinmetzzeichen an der Liebfrauenkirche entdeckt / Der Fund liefert Hinweis zu den Erbauern des Chors

Die Liebfrauenkirche steht vor einer großen Baumaßnahme. Solange die Arbeiten jedoch noch nicht begonnen haben besteht die Möglichkeit, im Laufe der Bauuntersuchungen auf geschichtliche Merkmale der Kirche hinzuweisen.

H or b . Durch Merkmale im Stein können bisher nicht bekannte historische Gegebenheiten zum Kirchenbau berücksichtigt werden, sofern sie erhaltenswert erscheinen.

Dem für die Sanierung zuständigen Architekturbüro Raible aus Eutingen ist das ein wichtiges Anliegen. Zwar ist das "Konservierungskonzept für die Werksteine" der Kirche bereits abgeschlossen, jedoch beinhaltet dieses auftragsgemäß nicht die Erfassung der Zeichen, welche von Steinmetzen in diese Werksteine eingemeißelt wurden. Doch gerade diese so genannten Steinmetzzeichen geben wichtige Hinweise zur Entstehung eines Bauwerks. Es sind persönliche Marken und frühe Abrechnungsnachweise.

S teinmetzzeichen geben wichtige Hinweise zur Entstehung eines Bauwerks

Genau dieses trifft zu auf die jüngsten Entdeckung von zwei Steinmetzzeichen an Quadern im Außenbereich des Chors der Liebfrauenkapelle. Sie wurden in der Bauforschung bisher nicht berücksichtigt oder sind einfach nicht gesehen worden. Wenn man sie nicht speziell sucht, sind sie auch kaum wahrzunehmen. Sie befinden sich links und rechts neben dem Gewände des mittleren Chorfensters. Da die flachen Steinquader mit den Zeichen zum profilierten Fenstergewände gehören, kann man als sicher annehmen, dass die beiden Steinmetze für den gesamten Bau dieser Wand samt dem Fenster zuständig waren.

Waren sie möglicherweise für den gesamten frühen Kapellenbau verantwortlich? Das gäbe bezüglich der bisher getätigten Alterszuweisungen vom Chor der Kapelle sehr zu denken. Genannt seien nur die bisherigen Annahmen einer Burgkapelle (um 1100?) oder der Kapelle des Priorats vom Kloster Reichenbach (1280 angenommen). Man wird jedenfalls nach dem neuerlichen Fund die Bauzeit sowie die Zuständigkeit des Bauherren neu überdenken müssen!

Zwar wird die Reichenbacher Liebfrauenkapelle das erste Mal im Jahr 1314 erwähnt, doch es muss sich dabei um einen Vorgängerbau des jetzigen Chors der Kirche gehandelt haben. Eindeutiger Favorit für den heutigen Chorbau der Kappel ist nach der Entdeckung der Steinmetzzeichen weder der Burgherr der unteren Horber Feste noch das Kloster Reichenbach, sondern die Stadt Horb nach der Pestepidemie (1348) zusammen mit der Bürgerschaft. Das bedeutet, dass der Chor der Kirche zusammen mit dem Langhaus im Jahr 1368 fertiggestellt und eingeweiht wurde. Ist der jetzige Chor also nicht die frühere Burg- oder Klosterkapelle, wie beständig angenommen wird, sondern ein Neubau, der das wahrscheinlich ältere Bauwerk verdrängte?

Diese kühne These, welche die bisherigen Altersbestimmungen aushebelt, sollte man sich jedoch nur erlauben, wenn weiteres Hintergrundwissen dafür spricht. Davon kann man in diesem Fall ausgehen. Allerdings müssen die kompletten neuen Erkenntnisse dazu wegen ihrer Komplexität zu einem späteren Zeitpunkt erörtert werden. Dazu müssen zum Beispiel das Wissen zur Urkundenlage oder zur überörtlichen Baustilkunde einbezogen werden.

Doch im Voraus sind weitere Zeichen der bereits genannten beiden Steinmetze an wichtigen Bauteilen der Horber Kapelle zu nennen, welche die vorige These erst recht glaubhaft machen. Diese Zeichen wurden in den letzten Jahren vor Ort als Knetabdruck an der entsprechenden Fundstelle bereits abgenommen. Sie sind damit in einer kleinen Sammlung gesichert. Ebenso dokumentiert sind genau dieselben Zeichen auf Studienfahrten zu bekannten Kirchen des weiteren Umlandes. Dazu zählen: die gotische Reutlinger Marienkirche sowie die dortige Nikolaikirche und sogar das Ulmer Münster. Hier konnten die zwar namenlosen, jedoch durch ihre Zeichen deutlich erkennbaren Steinmetze ebenso wie in Horb nachgewiesen werden. Sie waren darüber hinaus in demselben Zeitrahmen wie in Horb tätig gewesen.

Somit sind die Steinmetzzeichen nicht nur ein wichtiger Maßstab für die baulichen Altersbestimmungen oder für Zusammenhänge einzelner Baukörper wichtig, sondern zeigen außerdem, wie die Handwerksgesellen als begehrte Fach- und Werkleute auf den verschiedenen Baustellen des Landes unterwegs waren.

Nachdem die Forschung allgemein nur auf die Bauhüttenmeister der großen Dome ausgerichtet ist, werden die kleineren Bauvorhaben oft übersehen. Hier scheinen besonders in Zeiten des gotischen Baubooms die weniger bekannten Handwerker in die Rolle der Baumeister geschlüpft zu sein. Von Vorteil für den Fall Liebfrauenkapelle ist, dass die Formen der jetzt gefundenen Zeichen am Chor der Kirche auch laut der überörtlichen Fachliteratur für die Erbauungszeit der Liebfrauenkirche im 14. Jahrhundert sprechen. Zu jener Zeit waren insbesondere kaum verwechselbare, buchstabenähnliche Zeichen oder Nachbildungen von Werkzeugen verwendet worden. Diese doch noch individuellen Zeichen waren später von den zahlreichen durch Triangulatur und Quadratur entstandenen Zeichen durch Vergabe der Bauhütten abgelöst worden. Diese Vielzahl späterer Zeichen würde wegen ihrer Ähnlichkeit der Steinmetzzeichen in Horb den Vergleich schwierig machen. Man darf jetzt schon gespannt sein, ob nach Erstellung des Baugerüsts noch weitere Entdeckungen zur Baugeschichte der Liebfrauenkapelle gemacht werden .