Kultur: Reinhard Kluth spielt intensiv und ausdrucksstark Werke des norddeutschen Barock

Horb. Pause! Eine Stunde Pause vom hektischen Alltag in Horbs Straßen und Gassen. Keine Wanderung durch und in Naturschutzgebieten, kein Krach aus der Hakenbüchse oder lärmige Betriebsamkeit im alten Freibad. Nichts! Einfach nur den großen, raumfüllende Klang der Stiftskirchenorgel genießen, still in einer Kirchenbank sitzen und bei einem Orgelkonzert zu entschleunigen, das gönnten sich am Sonntagnachmittag 25 Personen, die der Einladung der Freunde der Stiftskirche zum ersten großen Orgelkonzert in diesem Jahr gefolgt sind.

Dass Stiftskirchenorganist Reinhard Kluth kein echter Horber ist, das hört man nicht nur, wenn man mit ihm spricht, nein, man merkt es auch an seiner Pünktlichkeit. Kommt der "Homo Horbericus" gern mal fünf Minuten zu spät zu einem Veranstaltungstermin, so heißt bei dem Musiker vom Niederrhein 17 Uhr genau 17 Uhr, und exakt zu dieser Uhrzeit erklangen auch die ersten Töne des von Leonhard Kleber komponierten Stücks "Prembula in ut manualiter", dem die in Tönen gekleidete Bitte "Kum hayliger gaist" folgte.

Kluth hatte für dieses Konzert ausschließlich Stücke des norddeutschen Barock, in Fachkreisen auch als "Stylus Phantasticus" (Fantastischer Stil) bekannt, ausgesucht.

So erklangen Werke von Nicolaus Bruhns, Dieterich Buxtehude und Franz Tunder. Aus der Phantasticus-Ära in Süddeutschland waren weiter Werke von Hans Kotter und natürlich Leonhard Kleber, dessen 500. Jahrestag in Horb gefeiert wird, zu hören. Auch ein Werk von Heinrich Scheidemann, die "Galliarda ex D", hatte Reinhard Kluth in sein Programm aufgenommen. Dass bei dieser Aufführung nahezu ausschließlich Werke protestantischer Komponisten zu hören waren, lag einfach daran, dass die Protestanten in jener Zeit vor allem konzertante Orgelwerke schrieben, die auch im Gottesdienst ihren Platz hatten, und sich die katholischen Kirchenmusiker im süddeutschen Raum eher auf Orgelmusik, die ihren Platz nur in der Liturgie fand, konzentrierten. Das Repertoire passte also gut ins Luther-Jahr und klang wunderbar in der katholischen Kirche.

In dieser spirituellen Stunde hörten die Besucher ein Konzert, das sie die schier unerschöpfliche Klangvielfalt der restaurierten Orgel zumindest in Facetten hörbar erahnen ließ. Da waren die grollenden Bass-Pfeifen, deren Ton-Volumen scheinbar von den hellen Klangfarben im heiteren Zwischenspiel umtanzt wurden, oder die Versammlung der Komposition zur vollen Kraft und Ausdrucksstärke, die den großen Sakralbau bis in den hintersten Winkel mit Wohlklang füllte. Kluth ließ sein Instrument seufzen, grollen, jubilieren, spielte feinziselierte Tonfolgen, die im nächsten Moment durch wohlgesetzte Disharmonien gebrochen wurden, um den Zuhörer mit zu einer anderen Stelle der musischen Botschaft zu nehmen.

Dass der studierte Kirchenmusiker sein Instrument beherrscht, das hörten viele vor wenigen Tagen beim Abschlusskonzert der diesjährigen Musiktage. Wie intensiv, wie ausdrucksstark sein Spiel jedoch dann wirkt, wenn es nicht ständig durch viele Worte unterbrochen wird, das erlebten die Freunde der Kirchenmusik am Sonntagnachmittag. Sie hatten die Chance, Orgelmusik in ihrer gesamten Schönheit zu hören und dabei die für sie besonderen Nuancen aus den vielen Klangfarben herauszufiltern. Dazu hatten die Besucher eine wunderbare Gelegenheit, denn sie hatten Pause vom Alltag und Zeit, sich den Kompositionen zu widmen.

Mit großem Applaus dankten die wenigen Besucher ihrem Stiftskirchen-Kantor. Diakon Klaus Konrad wünschte den Besuchern noch einen gesegneten Sonntagabend und schickte sie mit einem Segensgebet wieder raus in die Hektik. Er selbst musste zusammen mit Reinhard Kluth zu einer Maiandacht nach Rexingen rasen, wie er im Vorbeihasten erklärte. Auch vor den Männern Gottes macht der Alltag keinen Halt, und vor der Kirche war der Aufstieg des VfB wichtiger als das eben Gehörte. Pause zu Ende – weiter geht’s.