Unbeschwerter Gipfelgenuss (links) vor wenigen Wochen: Sabine und Wolfgang Umbrecht aus Glatt, Birgit und Michael Wagner aus Bergfelden und ihr Sherpa Dev Lama. Er hat alles verloren, berichtet Wagner. Seine Familie mit der 82-jährigen Mutter sitzt seit dem Beben unter freiem Himmel. Wagner versucht, ihm Geld zu schicken, damit er ein Zelt kaufen kann. Andere Hilfe sei noch nicht in seinem Dorf angekommen. Von der Shanti-Lepra-Hilfe in Nepal, die Wagner schon finanziell unterstützt, hat er dieses Bild (rechts) erhalten. Mit den Zeltplanen schützen die Menschen ihr Hab und Gut und sich selbst. Fotos: Wagner Foto: Schwarzwälder-Bote

Michael Wagner war Mitte März noch im Land / Linus Merz muss Reise wohl verschieben

Von Lena Müssigmann

Horb. Nach dem Erdbeben in Nepal wird in den Nachrichten von katastrophalen Zuständen berichtet. Nepal-Fans aus Horb und Umgebung sorgen sich um Freunde im Land. Die meisten von ihnen haben sich aber schon gemeldet, sie sind am Leben.

Linus Merz (55) aus Bittelbronn war schon vier Mal in Nepal, zum Bergsteigen. Im Oktober will er eigentlich wieder hinfliegen. "Ob die Infrastruktur so schnell wieder aufgebaut ist, ist die Frage", sagt er. Dabei würde er dem Land wünschen, dass es schon bald wieder Touristen empfangen kann. "Das ist quasi die einzige Einnahmequelle", sagt Merz. "Es würde das Land noch mal bis ins Mark treffen, wenn die für lange Zeit ausfiele." Ob er seine Reisepläne im Oktober wahrnimmt, werde er genau abwägen. Nachbeben sind noch denkbar.

Das Beben in Nepal am Samstag, 25. April, mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala hat viele Gebäude einstürzen lassen, hat Lawinen ausgelöst, die Menschen unter sich begraben haben und Straßen blockieren. Wer Menschen im Land kennt, macht sich große Sorgen.

Linus Merz hat einen Freund in Nepal, Chandra heißt er. Er betreibt eine kleinen Trekking-Agentur in Kathmandu. Merz hat Chandra als Tourenanbieter bei seiner ersten Nepalreise 2003 kennengelernt und seither guten Kontakt zu ihm. Merz hat ihm schon eine E-Mail geschrieben, um zu hören, ob es ihm gut geht.

"Die haben nichts mehr, sitzen seit Tagen im Freien"

Nach Tagen des bangen Wartens kam am Maifeiertag die Antwort: Chandra hat die Katastrophe überlebt. Er grüßt Freunde, Familien und alle, die sich momentan um Nepal und seine Menschen Sorgen machen. "Zuerst möchte ich allen herzlich danken, die für uns gebetet haben, in diesem traurigen und schrecklichen Moment", schreibt Chandra. Seiner Familie, den Teammitglieder und den Gästen gehe es soweit gut. Seit dem Erdbeben seien Strom- und Telekommunikatons-Versorgung gestört gewesen. Bis heute funktioniere noch nicht alles.

Dass er überlebt hat, empfindet Chanrda fast als Wiedergeburt. Es gebe noch immer keine verlässlichen Zahlen, wie viele Menschen bei dem Beben getötet, verletzt oder obdachlos geworden sind.   "Ich nutze momentan den Internetanschluss meiner Freunde." Noch immer gebe es kleine Nachbeben; man versuche, sich an möglichst sicheren Plätzen aufzuhalten, doch es sei sehr beängstigend.

Wie Linus Merz erzählt, liegt Chandras Büro mitten in Kathmandu, die Gebäude in der Stadt seien seinem Eindruck nach relativ gut erhalten.

Wie es im übrigen Land aussieht, ist oft noch immer unklar. "Die Leute brauchen schon unter normalen Umständen manchmal tagelang, um zu Fuß von der Stadt bis in die Dörfer zu gelangen", erzählt Merz. "Die Informationen fließen entsprechend langsam."

Merz war 2013 auf dem Everest-Track unterwegs, genau dort, wo jetzt schwere Schäden entstanden sind. "Wir kennen die Orte, aus denen jetzt Korrespondenten im Fernsehen berichten." Er hat in den Nachrichten bemerkt, dass die Leute aggressiv und wütend sind, was der offenen und freundlichen Art der Nepalesen seiner Erfahrung nach nicht entspreche.

Merz hat beobachtet, dass sich der Zorn vor allem gegen die Regierung richte, die wenig für die Bevölkerung unternehme. "Es herrscht eine wahnsinnige Unterversorgung: kein Wasser, keine Hilfsgüter." Bis ausländische Hilfsorganisationen im Land, besser gesagt im schwer zugänglichen Hinterland sind, dauere es seine Zeit.

Michael Wagner (58), Fahrlehrer aus Bergfelden, der eine Dependance seiner Fahrschule auch in Horb betreibt, ist seit 15 Jahren Nepal-Fan. Er war im März noch für zweieinhalb Wochen im Land. Er ist den Muldai Trek gelaufen, stand kurz vor der Annapurna-Wand und konnte sie bewundern. "Wir sind von einer Hütte zur anderen gelaufen, da war jetzt zu Beginn der Hochsaison viel neu gemacht: neue Hütten, neue Wege", erzählt Wagner. Die Touristen werden jetzt aber erst einmal ausbleiben.

"Jetzt hinzureisen, bevor die Aufräumarbeiten erledigt sind, wäre Blödsinn", sagt Wagner. Er versucht anders zu helfen. Einer seiner Freunde im Land hat sein Haus verloren und bat Wagner um finanzielle Hilfe, um sich und seiner Familie ein Zelt kaufen zu können. "Die haben nichts mehr, sitzen seit Tagen im Freien", sagt er. Ein Paket zu schicken, sei sinnlos. Der Postweg in Nepal sei unsicher, viele Sendungen kämen nie an. Die Leiterin einer Sozialstation im Land habe ihm geschrieben, dass für sie die vielen Einzelschicksale schlimm seien, von denen die Leute berichten – als Beispiel erzähle sie vom Trauma eines Mannes, der gesehen hat, wie eine einstürzende Hauswand eine schwangere Frau erschlägt.

Wagner ist von den Erzählungen erschüttert. Er hat den Eindruck, dass die Spendenbereitschaft für Nepal groß ist. "Nepal ist für viele Menschen ein Traumziel."

Für ihn sind die Reisen nach Nepal was Besonderes. "Draußen auf dem Land kann man total abschalten, das ist für uns als Selbstständige wichtig. Wir laufen los, und alles andere ist weg." Bis die Infrastruktur wieder hergestellt ist, so wie sie vor dem Beben war, brauche es lange, sagt Wagner. "10 bis 15 Jahre."