Hochkonzentriert folgt der Syrer Alaa Nassif den Anweisungen von Ginger in der gleichnamigen Ballettschule Ginger in Horb. Foto: Feinler

Integration: Alaa Nassifs Traum wird wahr: Ginger Streibig unterrichtet Syrer in ihrer Schule.

Horb/Eutingen-Rohrdorf - Er ist sprachlos: Nach jahrelanger Pause und der Flucht aus seinem Heimatland Syrien steht Alaa Nassif in einer deutschen Ballettschule und darf von der ersten Minute an mitmachen.

"Kunst muss zusammenhalten", erklärt Ginger Streibig, Leiterin der Ballettschule Ginger in Horb. Einfach ist der erste Kontakt nicht, da Alaa Nassif kaum Deutsch und nur wenig Englisch spricht. Seit November wohnt er in Rohrdorf. Doch sein Freund Mazen Aledilbi übersetzt vom Englischen ins Deutsche.

Bereits als Kleinkind sah Alaa Nassif Balletttänzer im Fernsehen. "Ich weinte, als ich zum ersten Mal einen Ballettauftritt gesehen habe", das haben dem heute 30-Jährigen seine Eltern erzählt. So war sein Wunsch von Anfang an, Ballett-Tänzer zu werden.

Seine Mutter war nicht begeistert, denkt der Syrer zurück. Doch sein Vater hatte ein großes Herz für die Kunst und suchte mit ihm eine Ballettschule auf. Nicht einfach, denn in Syrien sind Ballettschulen rar, was auch Ginger Streibig aus jahrelanger Erfahrung weiß: "Ich war so überrascht, als ich hörte, dass ein Syrer bei mir Ballett tanzen möchte. In der arabischen Welt spielt Ballett eine untergeordnete Rolle."

Gespannt fieberte sie dem Treffen mit dem Schnupperschüler entgegen und war vom ersten Moment an begeistert. "Wie offen er auf mich und die anderen Schüler zugeht, das gefällt mir gut", erklärt die Profi-Tänzerin und jahrzehntelange Leiterin der Ballettschule. Als der Schnupperkandidat ihr noch erzählt, dass er die russische Methode erlernt hat, leuchten Ginger Streibigs Augen.

Sie tauschen sich in einem Mix aus Englisch und Deutsch über die Waganowa-Methode, eine Unterrichtsmethode für das klassische Ballett aus. Der 30-Jährige fing bei einem russischen Ballettlehrer an, hatte täglich etwa zweieinhalb Stunden Unterricht und bekam später eine Lehrerin aus der Ukraine. "Ich war auch schon in der Ukraine", erklärt Ginger Streibig auf Englisch.

Alaa Nassif lacht, holt sein Smartphone heraus und zeigt ihr Fotos von Schülern, die er im Libanon unterrichtet hat. Dort sei Ballett bekannter, weshalb er als Lehrer einige Jahre in seinem Nachbarland unterrichtete. Und die Genauigkeit ist in der Ballettstunde auch zu erkennen.

Ginger Streibig macht die Ballettfiguren vor, so gut sie kann, erklärt sie: "Ich bin vor drei Wochen die Treppe runtergestützt, meine Lieben. Ich kann das leider nicht so zeigen." Alaa Nassif nickt und schaut auf Anja Schork, die die Figuren in Perfektion ausführt. "Er macht das sehr gut, hoffentlich bleibt er uns treu", freut sich die Horberin über die männliche Verstärkung. Denn außer Alaa Nassif tanzt noch ein ehemaliger Jazztänzer in der Gruppe mit, der vor drei Monaten zum Ballett kam.

"Mehr Spannung", ruft Ginger Streibig ihm zu und korrigiert seine Haltung. "Darf ich?", fragt sie Alaa Nassif, ob Korrekturmaßnahmen erlaubt sind. Er muss lachen und antwortet instinktiv auf Englisch: "Of course." Später erklärt er, dass er in seiner Heimat ständig korrigiert wurde. Das Training dort sei viel härter, da die Lehrer jede Kleinigkeit beobachten und die kleinsten Fehler korrigieren.

"Ich bin lieber etwas vorsichtiger. Ich wusste auch nicht, ob wir vom gleichen Ballett reden, aber nun bin ich überglücklich", freut sich Ginger Streibig und sieht keinen Unterschied zwischen dem syrischen Ballettschüler und einem deutschen. "Er strengt sich sehr an und kommt jetzt auch mächtig ins Schwitzen. Das ist gut", lacht die Ballettschulleiterin.

Da der Syrer schon einige Jahre kein Ballett mehr getanzt hat, empfiehlt sie ihm nach dem eineinhalbstündigen Training ein heißes Bad zur Muskelentspannung. Lachend und dankend nimmt Alaa Nassif die Tipps auf, wird jedoch auch etwas übermütig und möchte sein Können unter Beweis stellen. "Das ist aber ein anderer Schritt", nennt sie die französischen Begriffe und meint: "Wir verstehen uns, Ballett ist eine Weltsprache."

Geschafft und glücklich tanzt Alaa Nassif eine kleine Choreografie. "Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich kann gar nicht beschreiben, wie glücklich ich bin", betont der Syrer und hofft, dass er noch lange in der Anschlussunterbringung in Rohrdorf bleiben kann. Denn dann kann er jede Woche Ballett tanzen.