Heinz Högerle (links) liest zusammen mit Barbara Staudacher vom Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen Zeitzeugen-Aussagen zu den schrecklichen Ereignissen am 9. November 1938 in und um Horb vor. Foto: Feinler Foto: Schwarzwälder Bote

Gedenken am 9. November: Horber setzten Zeichen für Frieden und gegen Hetze / Zeugenberichte sprechen deutliche Sprache

Horb. Nach rund zwölf Minuten Glockengeläut und dem damit verbundenen Gedenken an die Reichspogromnacht 1938 sowie die Verfolgung der Juden rückten die Zuhörer vor dem Jüdischen Betsaal ein Stück zusammen. Geschätzt über 100 Menschen waren gekommen, um ein Zeichen für den Frieden und gegen Hetze zu setzen.

Oberbürgermeister Peter Rosenberger sprach von "Dingen, die fast unvorstellbar" seien. Wenn auch die Zeitzeugen an die Geschehnisse der Reichskristallnacht langsam wegsterben würden, so sollten die schrecklichen Taten nicht in Vergessenheit geraten. Er selbst habe mit seinem ältesten Sohn darüber gesprochen, wie schlimm diese Zeit war, und dass das Gedenken auch an die nächsten Generationen weitergegeben werden müsse. Nur so könne sich so ein "Graus an Brutalität" nicht nochmals wiederholen. "Da wo wir heute stehen, da ist es passiert", rief Rosenberger die schlimmen Bilder von brennenden Häusern in Horb und die Verfolgung der Juden mit abscheulichen Taten vor das innere Auge der Zuhörer. Heinz Högerle und Barbara Staudacher, vom Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen, hatten einige Zeitzeugenberichte zusammengefasst. Bereits vor der Reichspogromnacht 1938 habe es Hetze gegen Juden gegeben. So hatten SA-Männer Horber davon abgehalten, in jüdischen Geschäften einzukaufen. Ab 1933 habe das Schwarzwälder Volksblatt keine Anzeige einer jüdischen Geschäftsperson mehr in der Zeitung abgedruckt. Im April 1938 mussten alle Juden ihr Vermögen anmelden, womit es ein leichtes gewesen sei, in den Pogromnächten am 9. und 10. November 1938 das jüdische Eigentum zu zerstören. In der Gutermannstraße wurden stundenlang Steine in die Schaufenster der jüdischen Geschäfte geworfen. Rosa Laupheimer berichtete, dass sie mit ihrem Vater ins Horber Krankenhaus fliehen musste, erst dort habe sie sich sicher gefühlt.

Der Horber Rabbiner Abraham Schweizer gehörte zu den Gefangenen, die einige Tage eingesperrt wurden, ohne dass die Angehörigen ein Lebenszeichen von ihnen erhalten hatten. Neben dem Aufenthalt im KZ Dachau erlebte er Schlimmes in Theresienstadt und Treblinka.

Margot Schwarz berichtete von ihrem Vater Gustav Schwarz, der Barfuß in der Novembernacht gequält und später auf der Flucht in der Schweiz an den Folgen der Haft starb. Heinrich Stern wurde brutal geschlagen und getreten, durfte während der Haft seine Notdurft nicht verrichten und starb an einer Urinvergiftung nach der Freilassung im Horber Krankenhaus. 35 Männer wurden in der Reichspogromnacht ins KZ nach Dachau gebracht und misshandelt. 1941 wurden 120 Juden aus Horb und der Region deportiert, nur drei hatten in den KZ überlebt.

Wie die Jugend von Horb damals aufgehetzt wurde, beschrieb Tom Schmidt vom Jugendgemeinderat Horb am Beispiel eines Lehrers. Franz K. habe die Kinder und Jugendlichen aufgefordert, die Einrichtung des damals jüdischen Schuhhaus Tannhauser zu zerschlagen, Steine in das Schaufenster Esslinger zu werfen und die Synagoge zu schänden. "Sie hätten sich wiedersetzen können", erklärte Schmidt, dass einige junge Menschen fassungslos gewesen seien und andere begeistert mitgemacht hätten. Viele wurden als "Saat der Gewalt" und als "Instrument des Verbrechens" benutzt. Diese Geschehnisse hätten ihn wütend gemacht, aber gleichzeitig zur Erkenntnis geführt: "Heute haben wir unsere Zukunft in der Hand. Wir junge Menschen müssen schauen, dass sich Rechtspopulismus nicht ausbreitet. Dafür stehe ich."

Unter dem Motto "Erinnern daran, was in Deutschland und Horb geschehen ist" fragte sich Pfarrer Michael Keller von der Evangelischen Kirchengemeinde Horb, wie so etwas mitten in "unserer Kirche" geschehen konnte. Eine Woche nach den Reichspogromen sei der evangelische Buß- und Bettag von einigen Kirchengemeinden mit Schweigen erfüllt gewesen. Nur wenige Pfarrer hätten sich in Gefahr begeben und das Passierte kritisiert. Sogar Bischöfe hätten am Buß- und Bettag 1938 von "Juda, dessen Gott ein Mörder ist" und dem Kampf gegen das Judentum gesprochen. "Wie war so eine Verdrehung möglich?", fragte Pfarrer Keller. Mit einem Gebet rief er auf, dass sich so etwas nicht mehr wiederholen dürfe.

Die situative Beschreibung eines Juden trug Pfarrer Elmar Morein, der für die Katholische Seelsorgeeinheit Horb sprach, vor. "Warum, Gott?" war immer wieder in Verbindung mit der Verwüstung der jüdischen Gottesstätten, dem Feuer, den Taten der schmähenden Bedränger und weiteren Anfeindungen zu hören. Dass Frieden und damit das friedliche Miteinander stets gelebt werden, wurde aus dem Psalm 74 deutlich. Landrat Klaus Michael Rückert sagte, dass sich so etwas nie wieder ereignen dürfe, sei es doch "an Unsäglichkeit unübertroffen".

Auch wenn Oberbürgermeister Rosenberger den Zuhörern Angst als schlechten Begleiter angesagt hatte, so war zumindest in den Ausführungen des Landrats eine kleine Angst verborgen. Im befreundeten polnische Partnerlandkreis Tomaszów Lubelski wurden nach den Wahlen alle Amtsträger durch die der rechtsradikalen und europafeindlichen PiS-Partei ausgewechselt. "So etwas ist unvorstellbar", verdeutlichte der Landrat, dass dies unweit geschehe und gewachsene Freundschaften mit den Menschen im Landkreis Freudenstadt somit vielleicht keinen Fortbestand mehr hätten. Doch nicht nur in Polen und in anderen europäischen Ländern nehme das rechte Gedankengut zu. "In manchen Kreisen in Deutschland werden rechtsextremistische Äußerungen salonfähig gemacht", ärgerte er sich.

Seit 70 Jahren herrsche in Deutschland Frieden, was eine Errungenschaft der Mütter und Väter des Grundgesetzes sei. Daher gelte die Kundgebung in Horb als Weckruf, mit dem die Gemeinschaft dafür sorgen müsse, dass der Friede beibehalten werde und dass die Gesellschaft nie wieder auf solche Abwege kommen dürfe.

Nach dem starken Applaus der Zuhörer schloss Oberbürgermeister Rosenberger die Kundgebung und lud zum Austausch bei Tee und jüdischem Brot in den Jüdischen Betsaal ein.