Mit dieser einfachen Weihnachtskrippe sind viele schöne Erinnerungen verbunden. Foto: Bischof Foto: Schwarzwälder Bote

Weihnachten: Wie ein Geschenkpaket aus der DDR an Heiligabend in der Familie eine andachtsvolle Stimmung zaubert

Horb. Es war in der Nachkriegszeit Anfang der fünfziger Jahre im November, als ein Aufruf vom Büro für gesamtdeutsche Hilfe in Bonn auch in den süddeutschen Schulen zwischen Schwäbischer Alb und Schwarzwald ankam. Wer könne, möge doch ein Hilfspaket in die "Ostzone", wie die DDR damals im Westen immer noch hieß, schicken, um die dort verbreitete Not zu lindern.

Bei uns im Westen ging es dank der Hilfe aus Amerika schon besser, während im Osten noch Wiedergutmachung an die damalige russische Besatzungsmacht geleistet werden musste. Not und Unfreiheit trieben die Bevölkerung 1953 zum Aufstand gegen die russische Besatzung. Wer helfen konnte und wollte, bekam von der Schulleitung die Adresse einer hilfebedürftigen Familie. Wie viele andere erklärte sich die Mutter des Verfassers auch dazu bereit. Wir erhielten eine Adresse aus Chemnitz in Sachsen, einer mir bis dahin als Achtjährigem unbekannten Stadt.

Nach der Vorschlagsliste des Aufrufs verpackte die Mutter neben Lebensmitteln aus damals eigener Schlachtung in der kalten Vorweihnachtszeit Backzutaten wie Mehl, Zucker, Rosinen, Gewürze und Margarine. Weiter kamen hinzu: eine duftende Feinseife, der auch bei uns noch seltene Kakao, Kaffee und eine Tafel Schokolade. Das Paket musste mit der Aufschrift "Geschenksendung – keine Handelsware" versehen werden und nahm den Postweg nach Osten. Noch vor Weihnachten erreichte uns ein Brief, in dem sich die Großmutter der Empfängerfamilie herzlich für die willkommene Hilfe bedankte. Dieses Geschehen ereignete sich damals wohl tausendfach zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Im Folgejahr wiederholte sich wegen anhaltender Not im Osten der Vorgang mit einem bedeutenden Unterschied, mit dem eine für uns nicht alltägliche Geschichte begann:

Statt einem Brief hatte ein kleines Paket aus dem fernen Sachsen den Weg in unser schwäbisches Dorf gefunden, worüber wir sehr erstaunt waren. Gespannt öffneten wir es. Es kamen mehrere eingewickelte, kleinere und größere Gegenstände zum Vorschein. Ausgepackt entpuppten sie sich als kleine weiße Engelsfiguren aus Holz.

Der rauchende Opa aus dem Erzgebirge ist für die Kinder ein außergewöhnliches Weihnachtserlebnis

Mit dabei war auch eine größere, rot leuchtende Holzfigur, barhäuptig und mit weißem Bart. Sie trug einen langen, roten Hausmantel und sog an einer Pfeife, deren Schaft bis zu den Knien reichte. In ihren übergroßen Pantoffeln glich sie einem Großvater aus den Kinderbüchern. Ferner lag eine kleine Tüte mit kegelförmigen, schwarzen Kohlestücken dabei, mit deren Hilfe dem Großvater eine rauchende Pfeife beschert werden konnte, wenn man ein glühendes Stück der Kohle ins Innere der Figur legte.

Meine nur wenige Jahre ältere Schwester und mich beeindruckte das sehr und versprach eine interessante Erweiterung unserer spärlichen Spielausstattung. Die Engelsfiguren wurden gleich als wichtige Ergänzung für den Aufbau der Krippe im Herrgottswinkel bereitgestellt. Noch waren ja Christbaum und Krippe drei Tage vor Heiligabend nicht aufgestellt, auf das ich als damals Achtjähriger ungeduldig wartete.

Als es soweit war, der Christbaum aufgestellt, geschmückt, die Krippe darunter geschoben und die zugehörigen Figuren der heiligen Familie einschließlich Ochs und Esel an ihren Platz gestellt waren, gruppierten meine Schwester und ich mit großer Ehrfurcht die kleinen weißen Engel mit goldblondem Haar um die heilige Familie, noch vor den knieenden Hirten mit ihren Schafen. Wir wurden still und waren ergriffen davon, dass nun ein "Chor der Engel", ihr Liederbuch in den Händen haltend und die weihnachtliche Botschaft von Frieden und Freude verkündend, die Christgeburt im Stall für uns noch lebendiger und feierlicher werden ließ. Der rauchende Großvater wurde mit einigem Abstand dazugestellt und verkörperte für mich meinen in Frieden ruhenden Vater und die Großväter, von denen zwar immer wieder in der Familie erzählt wurde, die ich aber als Jüngster der achtköpfigen Familie nicht mehr erlebt hatte. Ich konnte es fast nicht fassen. Selbst die älteren Brüder im etwas raueren, heranwachsenden Alter und unsere Mutter waren von der Bereicherung an unserer Krippe beeindruckt. So wurde der Heilige Abend bei uns ein noch tieferes Erleben und Feiern als bisher.

Im Folgejahr erreichte uns vor Weihnachten nach unserem Paket für die Familie in Chemnitz erneut ein diesmal längliches Paket noch von "drüben". Heraus kamen eine Vielzahl von ineinander geschobenen, langen, rotgoldenen Zacken, die wir mit den beigefügten Klammern fest zusammensteckten und nun einen im Durchmesser fast einen dreiviertel Meter großen Stern ergaben. In solcher Größe und mit vielen Zacken nach allen Seiten, also dreidimensional, hatten wir einen Stern bisher noch nie gesehen. Wir staunten und fragten uns, woher die Leute in Chemnitz einen solchen Stern hatten. Selbst angefertigt konnten sie ihn wohl nicht haben, dafür war er zu perfekt hergestellt.

Weihnachtsstern wir über Stubenlampe gestülpt und verbreitet wunderbares rotgoldenes Licht im Zimmer

Später erfuhren wir, dass der Stern von der in Herrnhut in der Oberlausitz ansässigen evangelischen Brüdergemeine hergestellt worden war und die Engel und der Räuchermann aus dem im Hinterland von Chemnitz liegenden Erzgebirge stammten.

Für uns stellte sich die Frage, wo wir den Stern anbringen sollten. Für den Christbaum war er zu groß. Der Vorschlag eines älteren Bruders, der bereits in der Zimmermannslehre war, ihn anstelle des Schirms der Stubenlampe über die Glühbirne zu stülpen, wurde sofort umgesetzt; der Stern hatte ja auch eine dafür vorgesehene kleine Öffnung. So erleuchtete er nun über dem Tisch die Stube in einem wunderbaren, rotgoldenen Licht. Und in der Nähe dann des Christbaums war er der Stern, der den Hirten und später den heiligen Drei Königen den Weg zur Krippe wies. Wie gebannt stand ich an Heiligabend und an den folgenden Weihnachtsabenden vor der Krippe, wenn der Stern die Stube in sein rotgoldenes Licht tauchte, die Kerzen am Christbaum brannten, für mich in meiner Vorstellung der Engelchor mit uns sang und aus dem Mund der Großvaterfigur duftender Rauch quoll. Ich musste immer wieder an die Familie in Chemnitz denken, die uns diesen wunderbaren Weihnachtsschmuck geschenkt und geschickt hatte: "Ihr Essen ist knapp, aber sie haben Engel, einen Stern und einen Großvater und wir dürfen mit ihnen – so wie sie – tief ergriffen Weihnachten feiern." Und ich war damit mehr als nur zufrieden.

Sie waren auch in den folgenden Jahren aus unserer schwäbischen weihnachtlichen Stube nicht mehr wegzudenken. Auch nach Jahren, als die Geschwister erwachsen waren und das Haus verlassen hatten, schmückten die Engel die Krippe der älteren Schwester und später die der jüngeren Generation. Sie erinnerten an die Zeit der Not in der Nachkriegszeit in Deutschland, an die damalige Hilfe mit den "Päckchen nach drüben" und die berührende Begegnung mit dem dortigen weihnachtlichen Brauchtum.

Nach Jahrzehnten machte der Verfasser dieser Geschichte – immer noch die Bilder und Weihnachtserlebnisse der Kindheit in Erinnerung – sich auf den Weg, um die inzwischen weit über das Land hinaus bekannt gewordenen Schmuckfiguren für die Feier der Weihnacht vor Ort kennenzulernen.

Bis heute arbeiten im Erzgebirge Männer und Frauen in den Werkstätten mit Drechseln, Sägen, Schnitzen, Schneiden, Schleifen, Bohren und Bemalen an den meist von Hand gefertigten kleinen, Frieden und Freude ausstrahlenden Wesen.

Es ist den Menschen der Region und vor allem der Stadt Chemnitz zu wünschen, dass sie durch die in ihrem Land beheimatete weihnachtliche Friedenskultur – nach den verstörenden Nachrichten und Bildern dieses Jahres – wieder zu ihrem friedlichen Miteinander zusammenfinden, das für alle gilt und alle mit einschließt.

Zum autor: Franz Bischof hat 20 Jahre in Obertalheim gelebt; auch Kindheit und Jugend fielen in diese Zeit. Heute lebt er in Rottenburg.