Karl Lauterbach beim Interview mit unserer Zeitung in Berlin Foto: photothek.de/Thomas Koehler

Im Interview mit unserer Zeitung zeigt sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach bei der Krankenhausreform optimistisch. Beim Thema Homöopathie bleibt er hart.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kämpft an vielen Fronten. Bei der Krankenhausreform ist er wieder guter Dinge. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt er, warum er mit einem Stakkato an Reformen das Gesundheitswesen umkrempeln will.

 

Herr Lauterbach, Klinikreform und Transparenzgesetz waren wochenlang eine Hängepartie und wurden zuletzt von den Ländern auf Eis gelegt. Was haben Sie denn den Ländern geboten, damit nun doch wieder verhandelt wird?

Der Vermittlungsausschuss folgt den Verfassungsvorgaben für Gesetzgebung. Dafür gibt es keine Vorbedingung. Wir sind ja nicht beim Kuhhandel. Außerdem wissen die Länder genauso gut wie wir, dass die Klinikreform kommen muss. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir uns einigen. Ich bin froh, dass es jetzt weiter geht.

Aber das sogenannte Transparenzgesetz, also der von ihnen geplante Krankenhaus-Atlas, der zeigen soll, welche Klinik welche Leistungen mit welcher Qualität anbietet, wird doch von vielen Ländern noch immer abgelehnt.

Natürlich ist das Transparenzgesetz für einige Länder eine Zumutung, weil es ja AUCH darum geht, dass wir zum Beispiel die großen Qualitätsunterschiede der Krankenhäuser bei schweren, planbaren Eingriffen, zum Beispiel in der Krebschirurgie oder in der Versorgung schwer herzkranker Menschen, zeigen wollen. Das wird Bewegung in die Frage bringen, wo sich Patienten behandeln lassen. Ich habe mich da nie missverständlich ausgedrückt: Den Ländern war immer klar – der Bund will das unbedingt. Ich bin davon überzeugt, dass wir dazu auch ethisch verpflichtet sind. Wie verteilen sich denn die großen Krebs-Eingriffe zwischen den deutschen Kliniken? Zwei Drittel der Eingriffe werden in Kliniken gemacht, die viel Erfahrung haben und hoch qualifiziertes Personal. Ein Drittel der sehr komplizierten Operationen finden aber in Klinken statt, die auf wenige entsprechende Eingriffe pro Jahr kommen, also zum Teil für diese Eingriffe ungeeignet sind. Sie sollten andere Patienten versorgen.

Aber es geht auch ums Geld.

Ja, deswegen wollen wir den Kliniken helfen, die Steigerung der Tariflöhne abzufedern. Und wir verschaffen ihnen zusätzliche Liquidität. Wir werden nicht länger hinnehmen, dass in den Kliniken bereits erbrachte Pflegeleistungen aus den vergangen vier Jahren von den Kassen nicht vollständig bezahlt wurden. Das ist nicht akzeptabel. Das lösen wir im Transparenzgesetz.

Welchen Zeitplan haben Sie?

Ich bin überzeugt davon, dass wir das Transparenzgesetz am 22. März im Bundesrat beschließen werden. Und die eigentliche große Klinikreform wird dann am 24. April im Bundeskabinett sein.

Manche unterstellen Ihnen, ganz bewusst Pleiten in Kauf zu nehmen, um das Überangebot an Klinikbetten abzubauen.

Im Gegenteil. Was ohne die Reform käme, sehen wir doch jetzt. Auf dem Land gibt es Häuser, die ohne die Reform auch ohne Perspektive sind. Die können wir demnächst mit den geplanten Vorhaltepauschalen auch bei sinkenden Fallzahlen retten. Dass wir in den Großstädten zum Teil ein deutliches Überangebot haben, das aber mitunter qualitativ sehr prekär ist, ist unstrittig. Das muss abgebaut werden, schon aus Gründen des Personalmangels und für die Patienten. Es muss also zu Konzentration und Spezialisierung kommen – bei gleichzeitigem Schutz der Häuser, die für eine flächendeckende Versorgung – gerade auf dem Land – dringend notwendig sind.

Die Ersatzkassen haben gerade geklagt, die Bundesregierung verursache immer nur höhere Kosten, was die Beiträge immer weiter nach oben treibe. Sparanstrengungen dagegen gebe es nicht.

Das ist falsch. Ich habe zu Beginn der Legislatur ein Defizit von 17 Milliarden Euro vorgefunden und relativ geräuschlos abgeräumt, indem in allen Bereichen gespart wurde. Und jetzt müssen die Krankenkassen auch anerkennen, dass wichtige Strukturreformen aufgegriffen werden, die schon in der Vergangenheit dringend notwendig gewesen wären – in Kliniken, in der Vorsorgemedizin, bei der Digitalisierung, bei Hausärzten. Da habe ich zuvor wenig Vorschläge von den Kassen gehört. Und wenn wir etwa die Hausärzte besser honorieren wollen, hat das auch mit dem unsinnigen System der Quartalspauschale zu tun, die dazu führt, dass die Praxen aktuell voll sind mit Leuten, die einfach nur ein Rezept verlängern müssen, eine Krankschreibung wollen oder die kommen müssen, damit der Arzt die Quartalspauschale abrechnen kann. Aus Kassensicht laufen sogenannte Strukturreformen fast immer nur darauf hinaus, dass man mehr Steuergeld haben will. Das wird nicht funktionieren.

Aber im Koalitionsvertrag steht, dass die Kassen für die Behandlung der Bürgergeldempfänger mehr erhalten sollen, das wären wohl um die zehn Milliarden im Jahr.

Wir haben den Koalitionsvertrag unter anderen Voraussetzungen verhandelt. Da gab es noch keinen Ukraine-Krieg, wir mussten nicht eine eine Million Flüchtlinge aus dem überfallenen Land versorgen, von einer Zeitenwende bei den Rüstungsausgaben war noch keine Rede.

Es wäre also richtig, aber es ist nicht finanzierbar.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist das einfach nicht finanzierbar.

Sie wollen, dass die Kassen künftig keine homöopathischen Mittel mehr finanzieren. Das ist kein großer Kostenfaktor für die Kassen. Warum tun Sie sich diesen Streit um ein emotional besetztes Thema auch noch an?

Politik ist mehr als Taktik. Es geht um Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit. Die Orientierung an wissenschaftlicher Erkenntnis ist die Basis meiner Arbeit. Das gilt für alle Reformen aus meinem Haus. Deshalb kann ich es nicht akzeptieren, dass die Krankenkassen Leistungen bezahlen, die keinerlei nachgewiesene medizinische Wirkung haben. Ich kann nicht medizinischen Unsinn weiter bezahlen lassen, nur damit ich einem öffentlichen Streit um das Thema aus dem Weg gehen kann. Wissenschaftliche Fundierung der Gesundheitspolitik gibt es entweder ganz oder gar nicht. Deshalb werde ich kein Auge zudrücken, wenn etwa mit Zuckerglobuli Krebs behandelt wird. Übrigens sieht die Mehrheit der Bevölkerung die Sachlage genau wie ich.

Es gibt gerade eine Prognose, wie viele Fachkräfte uns in der Pflege bis zum Jahre 2045 fehlen werden. Die Zahlen sind alarmierend.

In der Tat. Wenn wir nichts tun, werden wir spätestens 2045 eine Situation haben, in der jede dritte Pflegestelle nicht besetzt werden kann. Das hätte für die Versorgung katastrophale Konsequenzen. Es ist aber noch schlimmer. Parallel entwickelt sich ein dramatisches Unterangebot an Ärzten. Wenn wir nicht sofort gegensteuern, laufen wir bei der Pflege und der ärztlichen Betreuung in eine akute Mangelversorgung der Baby-Boomer-Generation. Für sie wird der medizinische Standard schlicht sinken, wenn wir jetzt nicht handeln.

Wie soll das gehen?

Von der Digitalisierung bis zur Krankenhausreform und dem Pflegekompetenz-Gesetz – all diese großen Vorhaben des nächsten halben Jahres entscheiden auch über die Versorgung der Baby-Boomer-Generation. Da geht es um rund 19 Millionen Menschen. Die Reformen müssen jetzt gemacht werden, um überhaupt noch rechtzeitig zu greifen. Zum Beispiel das Pflegekompetenz-Gesetz. Wenn die Pflegenden endlich mehr machen dürfen, dann wird der Beruf attraktiver – auch für die Kräfte, die wir aus dem Ausland anwerben.

Die Erfahrung zeigt, dass die lieber in andere Länder gehen als nach Deutschland.

Genau. Im Moment stellen wir hohe Anforderungen an die Sprachkenntnis, bevor überhaupt die Arbeit aufgenommen werden kann. Wir zahlen etwas weniger als in konkurrierenden Ländern und wir geben den Pflegekräfte begrenzte Aufgaben. Ist es da verwunderlich, dass wir uns mit der Anwerbung schwertun? Und wenn die Umworbenen dann auch noch lesen, dass es in Deutschland mit der AfD eine ausländerhassende Partei gibt, ist die Sache eben entschieden.

Wie wollen Sie das ändern?

Wir werden ermöglichen, dass die notwendige Sprachkompetenz im Job erworben werden kann. Wir haben die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen verbessert. Das Pflegekompetenz-Gesetz ermöglicht, dass die Pflegenden mehr selbstständig entscheiden können: in der Wundversorgung, bei der Versorgung von Diabetikern oder Demenzkranken. Die Pflegenden können dann selbst Verordnungen schreiben und verlängern, und so weiter. Der Kernpunkt bleibt: Nur wenn wir in den nächsten sechs Monaten mutige Reformen beschließen, werden wir die Baby-Boomer gut versorgen können. Dazu gehört übrigens auch, dass wir in Deutschland mehr Medizin-Studienplätze schaffen müssen.

Sie haben erklärt, warum gerade so viele Reformen gleichzeitig angepackt werden. Aber setzt das Stakkato an Reformen das System nicht so unter Stress, dass ein Totalabsturz droht?

Im Gegenteil. Der Absturz droht, wenn wir nichts ändern. Außerdem arbeiten wir an den Reformen ja schon seit anderthalb Jahren. Es ist also alles gut vorbereitet. Die Reformen werden die Selbstverwaltung nicht überfordern. Ihre Umsetzung wird gelingen. Vieles ist einfach zu lange liegengeblieben. Oft gab es Bagatellreformen, um Konflikte zu vermeiden. Das ist nun vorbei. Und wir sehen ja bereits erste Erfolge.

Nämlich?

Inzwischen wird zum Beispiel jedes zweite Rezept elektronisch ausgestellt. 20 Jahre lang wurde am E-Rezept gearbeitet und es lag in der Nutzung bei weniger als einem Prozent. Das E-Rezept wird nun zum Regelfall werden. Das zeigt, Reformen können schnell wirken.