Haus mit Geschichte: Genau hier, die Kirche stets direkt im Blick, hat vor 90 Jahren die Pfarrfamilie Gundert, Familie von Hermann Hesses Schwester, gelebt. Fotos: Gegenheimer Foto: Schwarzwälder-Bote

Heimatgeschichte: Heute vor 90 Jahren hat es ein ganz besonderes Konzert gegeben / Ruth Hesse brilliert als Sängerin

Ein besonderes kleines Stück Höfener Heimatge-schichte hat es heute auf den Tag genau vor 90 Jahren, am 7. November 1926, gegeben.

Höfen. Die evangelische Kirche war Schauplatz eines hochkarätigen Kirchenkonzerts. Ruth Hesse, damalige zweite Ehefrau von Hermann Hesse, brillierte als Sängerin, gemeinsam übrigens mit Addie Commerell. Karl Isenberg, der Halbbruder Hesses, spielte die Orgel. Geleitet wurde das Konzert mit Stücken von Corelli bis Bach vom Hesse-Schwager Hermann Gundert. Wie diese prominente Besetzung zustande kam?

Was der heutige Pfarrer Ulrich Hilzinger zunächst davon erfuhr, das nahm an einem späten Samstagvormittag vor rund acht Jahren seinen Verlauf: Elisabeth und Ulrich Hilzinger sehen vom Pfarrhaus aus einen älteren Mercedes die Auffahrt von der Straße heraufkommen. Eine sehr alte Dame lenkt die Aufmerksamkeit des Herrn am Lenkrad an auf Haus und Umgebung. Der Gemeindehirte kommt ins Gespräch mit den beiden. Dabei eröffnet ihm die alte Dame Erstaunliches.

Gleich eine Ahnung

Sie sei vor rund 80 Jahren in diesem Pfarrhaus aufgewachsen. Hilzinger, interessiert an der Geschichte des 1897 erbauten Hauses und der Menschen, die dort vor ihm gelebt haben, hat gleich eine Ahnung, wer ihm da gegenübersteht. War er doch bereits 2002 mit seiner Ehefrau im Archiv in Marbach, um Briefe Hermann Hesses an seine Schwester Adele Gundert zu studieren. Wovon ihm ein Satz des berühmten Dichters aus dem Jahr 1919 besonders im Gedächtnis geblieben ist: "Ich bin froh, dass du in Höfen so nette Leute hast!"

Und richtig: Es ist Gertrud Gundert, die ihm gegenübersteht, eine der Adoptivtöchter von Adele und Hermann Gundert, von 1919 bis 1931 Pfarrersehepaar in Höfen. Adele "Adis", geborene Hesse, verheiratet mit einem Cousin, war die zwei Jahre ältere Lieblingsschwester von Hesse. Und zugleich Enkelin jenes bekannteren Hermann Gundert, der Lehrer, langjähriger Missionar in Indien, Sprachwissenschaftler, Schriftsteller und Publizist gewesen ist.

Jene Gertrud Gundert, die an diesem Samstag in Höfen ihre Erinnerungen auffrischt, verbrachte als Pfarrerstocher die Grundschul- und Teenagerzeit im Ort an der Enz. 1914 geboren, wurde sie 1929 in Höfen konfirmiert – von ihrem Vater. Zur Zeit des Besuches am Pfarrhaus muss sie bereits 94 Jahre alt gewesen sein.

Nach-Nachfolger des Vaters

Zuerst, so erklärt Gertrud Gundert dem Nach-Nachfolger ihres Vaters an jenem Tag im Jahr 2008, würden sie essen gehen in den "Ochsen". Danach nähmen sie gerne das Kaffeeangebot der Hilzingers an. Gesagt, getan. Es wird geplaudert, über Veränderungen gesprochen, die die Zeit mit sich gebracht hatte. "Über ihren Patenonkel Hermann Hesse, den sie mehrere Male in Montagnola besucht hat, hat sie erzählt, er habe sich vor den Mahlzeiten stets an dem Wortspiel erheitert, ›mit Nichte(n) essen‹ zu gehen", erinnert sich Hilzinger.

Angetan muss die betagte Hesse-Nichte vom Nachfolger ihres Vaters als Höfener Pfarrer gewesen sein. Einige Zeit später ließ sie ihm genau jene Seiten aus dem Gästebuch ihrer Mutter Adele zukommen, die das Konzert in der Höfener Kirche vor 90 Jahren betreffen. Hilzinger hat die Seiten bis heute sorgfältig aufbewahrt, Kopien sogar dem Hesse-Museum in Montagnola zukommen lassen.