Jürgen Pfeiffer war gefragter Spielkamerad und Gesprächspartner für die Kinder in Ghimbav bei seinem Besuch dort im Sommer. Foto: zg/Ghimbav

In Dachtel daheim, begeisterter Sänger im Voco-Chor der Kirchengemeinde in Gechingen, Lehrer am Calwer Maria-von-Linden-Gymnasium und ausgestattet mit einem großen Helferherz für verlassene Kinder in Rumänien ist Jürgen Pfeiffer.

Gechingen/Aidlingen-Dachtel - In Rumänien leben noch immer hunderte von Jungen und Mädchen teilweise seit frühester Kindheit auf der Straße. Sie laufen weg vor Gewalt, sexuellem Missbrauch und Alkoholexzessen zu Hause oder aus staatlichen Heimen. Viele von ihnen sind auch von ihren Eltern verlassen oder verjagt worden oder haben keine mehr. Sie müssen als Tagelöhner arbeiten, betteln oder sich prostituieren und leben oft in unvorstellbaren Verhältnissen, sind krank, leiden an Hunger und Kälte.

Wanderreise im Sommer

Der Lehrer für Deutsch, Gemeinschaftskunde, Religion und Psychologie veröffentlichte über einen Messengerdienst immer wieder kurze Berichte mit zahlreichen Fotos über seine diesjährige Wanderreise nach Ghimbav in der Nähe der 250 000-Einwohner-Stadt Brasov, zu Deutsch Kronstadt, in Siebenbürgen. Dort unterstützt der Verein "ASIREV Arbeitskreis Straßenkinder in Rumänien" drei Heime für verlassene Kinder und ähnlich wie in den SOS-Kinderdörfern können die Kinder dort in familienähnlichen Strukturen aufwachsen. Pfeiffer engagiert sich aktuell als zweiter Vorsitzender im Mitte der 1990er-Jahre gegründeten und in Rauenberg bei Wiesloch ansässigen Verein. Im Sommer hat er sich zusammen mit Frau und Sohn sowie weiteren ASIREV-Mitgliedern aufgemacht, um die drei Heime und die Kinder mit ihren Betreuern zu besuchen und sich nach Längerem wieder ein aktuelles Bild der Situation vor Ort zu machen. Derzeit leben 24 Kinder in drei Gruppen in den Häusern "Casa Prichindel" und "Casa Livezii", sechs junge Erwachsene leben in Außenwohngruppen in der "Casa Salix".

Eltern lassen Kind einfach im Hospital zurück

Als Student war Pfeiffer Mitglied einer Band, die 1994 ein Benefizkonzert zugunsten des damaligen Arbeitskreises spielte und ein erfolgreiches Crowdfunding auslöste. Er war im gleichen Jahr auch erstmalig in Rumänien und kam dort hautnah mit dem Thema Straßenkinder in Kontakt im ehemals bitterarmen Ostblock-Staat. Er wollte mit eigenen Augen sehen, wohin das Spendengeld fließt und was damit gemacht wird. Damals kümmerte sich ein vom Arbeitskreis angestellter Engländer als Streetworker um die Straßenkinder am Bahnhof von Brasov. Er versorgte sie täglich mit Nahrung und Kleidung, behandelte Krankheiten, ging mit ihnen in ein städtisches Hallenbad zum Waschen und unternahm Ausflüge. Mit ihm zusammen holte Pfeiffer einen achtjährigen Jungen aus dem Krankenhaus ab, dessen Eltern die Behandlungskosten nicht bezahlen konnten und ihr Kind einfach dort ließen. Die beiden Männer brachten den Jungen zurück an den Bahnhof, "in die Heimatlosigkeit wie seinen Bruder". Sie waren als kleine Kinder einfach ausgesetzt worden, "so wie bei uns in den Sommerferien Haustiere", erzählt Pfeiffer. Der Verein konnte ab 1999 für zehn Jahre ein Kinderheim mit bis zu 11 Kindern betreiben, den Straßenkindern vom Bahnhof ein Dach über dem Kopf und ein Zuhause geben und arbeitete in dieser Zeit auch schon mit der schweizerischen Organisation "Pentru Copii Abandonati PeCA" zusammen. 2010 schlossen sich ASIREV und PeCA zusammen und können heute gemeinsam die drei Kinderheime in Ghimbav maßgeblich unterstützen.

Es bleibt ein großes Loch im Herzen

Pfeiffer und seine Mitreisenden trafen auf ihrer Tour einen heute 21-jährigen jungen Mann wieder, der als Zweijähriger im Heim aufgenommen worden war. Auch er war von seinen Eltern ins Krankenhaus gebracht und dort einfach zurückgelassen worden. Damals wurden auch so kleine Kinder im Heim betreut, heute kommen Kinder erst ab dem siebten Lebensjahr. Denn von Staats wegen müssen jüngere verlassene Jungen und Mädchen heute zunächst in Pflegefamilien untergebracht werden. Sobald sie älter sind, gibt es kein Geld mehr vom Staat, und so manche Pflegefamilie setzt die Kinder dann doch wieder auf die Straße. Ionel, so heißt der junge Mann, den Pfeiffer als Kleinkind schon kannte, hat in der einrichtungseigenen Nähwerkstatt Atelier Diversi eine Ausbildung gemacht und zudem den Friseurberuf erlernt. Heute unterstützt er als männlicher Betreuer das Betreuerinnen-Team. "Er hat mir gestanden, dass durch das Verlassenwerden ein großes Loch in seinem Herzen bleibt", sagt Pfeiffer, "andererseits habe ihm nichts Besseres passieren können, sagt er, als hier her zu kommen, denn er habe jetzt eine Ausbildung und damit eine Perspektive für ein eigenständiges Leben."

Ohne Spenden droht das Aus

Seit Anbeginn arbeitet die Schweizerin Sonja Kunz in den drei Häusern, heute hat sie die Gesamtleitung inne und ist für über 50 Kinder in den fast 30 Jahren zur Familienmutter geworden, erzählt Pfeiffer weiter. Er hat sie im Sommer interviewt, auch zu ihrer Motivation für die Arbeit mit und für die Kinder und was es heute immer noch braucht, um diese Arbeit weiter tun zu können. "Rumänien ist doch jetzt in der EU, da braucht man doch die privaten Spenden nicht mehr", könnte vielleicht ein Argument gegen weitere Spendenhilfe sein, so Pfeiffer. Die Wirtschaft hat sich entwickelt, es gehe diesbezüglich aufwärts in Rumänien, aber es dauere, bis auch der soziale Bereich nachzieht, berichtet Sonja Kunz in den Interviewclips auf der Webseite des Vereins. Sie findet gut, "dass wir das, was wir haben, teilen." Mit denen, die es brauchen, egal wo, das entscheidet dann jeder Spender für sich. Auch Pfeiffer sieht das so und betont, dass Spenden für ASIREV bis auf weniger als zwei Prozent für die Verwaltung den Kindern in Ghimbav zugutekommen. Es braucht weiter Spenden, denn nach wie vor werden die Häuser zu mehr als 80 Prozent aus den Spendengeldern finanziert. Geld vom rumänischen Staat und der EU plus die Erlöse aus der Nähwerkstatt decken nämlich maximal 15 Prozent der Kosten. Keine Spenden mehr hieße, die Häuser schließen zu müssen.

Informationen zur Arbeit des Vereins, zu Betreuern und Geschichten einiger Kinder gibt es auf der Webseite www.asirev.de.