Mächtig was los auf den Weilstetter Straßen war am Sonntag beim großen Festumzug. Foto: Engelhardt

Keine geschlossene Gesellschaft Endlich wieder Heimatfest in Weilstetten! Die Freude darüber war am Wochenende unter der Lochen groß, und es passte dann auch einfach alles: Wetter, Stimmung, Umsatz.

Balingen-Weilstetten - "Heimatfest – erfrischend anders" lautete das Motto der Traditionsveranstaltung, die am Samstag vor der Lochenschule eröffnet wurde. Der Hof hätte zwar bequem noch ein paar mehr Besucher aufnehmen können, was aber die Jugendkapelle nicht groß beeindruckte, denn sie spielte zwei ihrer schönsten Stücke mit voller Inbrunst. Der Musikverein, und das bewies der Auftritt, kann, dank auch der sicheren Führung von Danny Köhler, auf einen gut ausgebildeten Nachwuchs bauen.

Großer Andrang beim Handwerkermarkt

Was hinter dem Festmotto steckte, erklärte Ortsvorsteher Wolfgang Schneider. "Erfrischend anders" war zum Beispiel die Anordnung des Riesenzeltes, das der Sturm am Mittwochabend fast zerlegt hatte. Weil es so viele Anmeldungen für den Handwerkermarkt gab, boten die Händler erstmals auch vor der Festhalle ihre Schätze an. Und mit Rücksicht auf die Gartenschau 2023 wurde nicht im Vier-Jahres-Rhythmus gefeiert, was natürlich dem Oberbürgermeister behagte. Helmut Reitemann nutzte die Gunst der Stunde und warb für das "Bürgerfest der Gesamtstadt" im kommenden Jahr. Er sparte aber auch nicht mit Lob für die Weilstetter: Der ganze Ort sei in Aufruhr, viele Hände würden zusammenwirken. Das Miteinander erlebe und spüre man an diesem Wochenende besonders, so Reitemann: In Weilstetten würden sich die Bürger wohlfühlen, "es gibt keine geschlossene Gesellschaft, man ist hier offen für Integration". Diese Vielfalt zeigte sich auch am Sonntag bneim Festumzug.

Flucht und Vertreibung Thema des Festvortrags

Der Festakt bestand aber nicht nur aus Lobliedern auf Weilstetten. Der Ortsvorsteher machte schon einen Vorgeschmack auf den Festvortrag, als er sich in seiner Begrüßung einem ernsten Thema widmete, Flucht und Vertreibung. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten viele Vertriebene im Ort eine neue Heimat gefunden und diese durch neue Ideen und Bräuche geprägt. Viel Zuwanderung gab es auch nach dem Mauerfall. "Diese Menschen haben massiv zu unserem Wohlergehen beigetragen", so Schneider. Die Flüchtlingswelle im Jahr 2014 klammerte er ebenfalls nicht aus. Jedes Ereignis verändere die Gesellschaft, auch die in Weilstetten.

Berührende Geschichten

Statt eines nostalgischen Rückblicks in längst vergangene Zeiten, was für ein Heimatfest nicht unüblich wäre, bekamen die Weilstetter und ihre Gäste berührende Geschichten aus der Jetzt- Zeit zu hören. Meike Reek, Verena Schetter, Dimitri Koslowitsch und Sneska Schmoll gaben einen Einblick in die Arbeit des Vereins UkrainBW. Mit Geldspenden in Höhe von 6000 Euro und zwei vollbeladenen Bussen und Anhängern machten sich Reek und Schetter acht Tage nach Kriegsbeginn an die polnisch-ukrainische Grenze. Im April fuhren die beiden Frauen wegen der sich zuspitzenden Lage erneut ins Krisengebiet. "Der Krieg hat für uns ein Gesicht bekommen", weshalb sie es als eine Lebensaufgabe sehen, Geflüchteten eine neue Heimat zu geben und sie vor allem bei den Behördengängen zu unterstützen.

"Solidarität darf nicht aufhören"

Dimitri Koslowitsch, der aus der Ukraine stammt und seit dem achten Lebensjahr in Roßwangen lebt, hat zusammen mit der Owingerin Sneska Schnell den Hilfsverein gegründet. Sie suchen nach Gastfamilien für ukrainische Geflüchtete und helfen ebenfalls beim Neuanfang. An die Zuhörer appellierten sie: "Die Solidarität darf nicht aufhören."

Gelebtes Miteinander

Wie ein gelebtes Miteinander aussehen kann, zeigten die Schilderungen von Pfarrer Dirk Hahn, bei dem eine ukrainische Familie untergekommen war. Später wurden die Familie und weitere Flüchtlinge im evangelischen Gemeindehaus und zuletzt auf Vermittlung auf Christine Vögele bei Elke und Reinhold Kommer untergebracht. Mittlerweile sind die Ukrainer wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Trotz der bedrohlichen Situation seien sie froh, wieder zu Hause zu sein.

Einen Kontrast zum Krieg bildete der Handwerkermarkt, der an beiden Festtagen Neugierige und Einkäufer anlockte. 15 Händler waren mit von der Partie. Helene Schwenzer zeigte zum Beispiel ihre Teddybären, Anne Louman Klöppelware, Robert Gressmann Drechselgefäße, Maria und Bernd Haug Dekorationen aus Holz, Helmut Schmid Drechselarbeiten und Elke Ksaibaty Filzartikel.

Fundgrube an Erinnerungen

Zu einer wahren Fundgrube an Erinnerungen und Familiengeschichten wurde die parallellaufende Ausstellung mit Bildern aus dem evangelischen Kindergarten Unterm Regenbogen und aus 50 Jahren Kita Lochenzwerge. Anita Lehmann, die von 1985 bis 2019 bei den Lochenzwergen gearbeitet hat und auch Leiterin war, gab gerne Auskünfte. Mittlerweile engagiert sie sich im "Treffpunkt 60+/-", der neben der Galerie eine Riesenauswahl an Handarbeiten präsentierte.