Casino an der B27: Manchmal stehen »Gäste« schon bei der Öffnung morgens um 6 Uhr vor der Tür. Foto: Rath

Prozess um Raubüberfälle auf Schrotthändler: Mutmaßlicher Drahtzieher war oft in Casinos.

Hechingen - Wo verläuft die Grenze zwischen "Spaßzockerei" und Spielsucht? Diese Frage beschäftigte das Landgericht Hechingen im gestrigen Prozesstag um die Raubüberfälle auf die beiden Schrotthändler in Hechingen und Balingen.

Im Mittelpunkt standen erneut mehr der 40-jährige Angeklagte, der mutmaßlicher Drahtzieher der beiden brutalen Überfälle gewesen sein soll, und sein Anwalt Klaus Schön. Schon morgens um 6.30 Uhr war der Kammer der nächste Befangenheitsantrag per Fax ins Haus geflattert, einmal mehr gegen den Vorsitzenden, Landgerichts-Vizepräsident Herbert Anderer. Trotzdem konnten die Zeugen diesmal vernommen werden, auch die Spielotheken-Mitarbeiter aus Hochstätt, die am vorangegangenen Prozesstag ohne Aussage wieder heim nach Bayern geschickt worden waren.

In der Befragung ging es darum, mehr über das Spielverhalten des 40-Jährigen herauszufinden. Eine mögliche Spielsucht könnte zweierlei Rückschlüsse zulassen: Sie wären für die Anklage ein Motiv für die Raubüberfälle. Verteidiger Schön sieht darin offenbar die Chance, für seinen Mandanten im Falle einer Verurteilung mildernde Umstände geltend machen zu können. Spielsucht gilt als Krankheit.

Der psychiatrische Gutachter Ralph Schulte ist sich in dieser Beurteilung offenbar noch nicht ganz sicher. Belege für eine Spielsucht im medizinischen Sinne vermochte er noch nicht zu sehen. Hinweise beispielsweise auf zwanghafte Spielerei, Kontrollverlust oder Entzugserscheinungen fehlten. Trotzdem machten ihn einige der Zeugenaussagen stutzig. Der Angeklagte sei ein "exzessiverer Spieler" als er dem Arzt gegenüber zugegeben habe. Trotzdem sei er offenbar "kein Besessener", der keine "Impulskontrolle" mehr habe. Anwalt Schön hakte nach: Ob weitere Zeugenaussagen, beispielsweise von Zockerfreunden, den Gutachter zu einem anderen Urteil bewegen könnten? "Schon möglich", sagte Schulte.

Mindestens in drei Spielotheken war der 40-Jährige öfter zu Gast: Neukirch, Bisingen und Hochstätt. 17 Mitarbeiter von Casinos vernahm die Kammer gestern. Von Neukirch, zeitweise wohl Stamm-Spielothek des Angeklagten, war kein Mitarbeiter mehr aufzutreiben. Die meisten sind verzogen ins Ausland. Die Belegschaft in Bayern erkannte den Angeklagten wieder, die in Bisingen kennen ihn sogar ganz gut. Ihre Aussagen über das Spielverhalten des 40-Jährigen deckten sich: Er kam in unregelmäßigen Abständen, mal drei Tage hintereinander, dann wieder wochenlang gar nicht. Er sein ein "angenehmer Gast" gewesen, stets freundlich und nie aggressiv, auch wenn er Geld verloren hatte. Mal spielte er für eine Stunde, mal acht Stunden am Stück, mal alleine, mal in Begleitung von anderen. Ansonsten: unauffällig.

Die Vernehmung lieferte auch Einblicke in das Spielotheken-Milieu. Das Personal ist überwiegend weiblich, zwischen Anfang 20 und Ende 50. Die Casinos arbeiten im Schichtbetrieb, schon zur Öffnung morgens um sechs Uhr stehen oft schon die ersten "Gäste" vor der Tür. Der Betrieb läuft wohl diskret ab. Spieler können ihr Geld an Automaten umtauschen, nur 500-Euro-Scheine müssen beim Personal gewechselt werden – auch zur Kontrolle, ob die Scheine echt sind. Auch Gewinne werden über Automaten ausgezahlt. Zwar haben die Mitarbeiterinnen ein Auge für menschliche Tragödien; manche Spieler kämen drei Mal täglich, um die Automaten in den Hallen zu füttern. Im Wesentlichen wüssten sie aber nicht, ob ein "Gast" viel Geld verspiele. "Es interessiert mich auch nicht", sagte eine Zeugin. Gelächter gab es im Saal, als eine Spielotheken-Mitarbeiterin gefragt wurde, ob der Angeklagte öfter gewonnen als verloren habe: "Im Casino ist es nun mal so, dass die tendenziell mehr verloren als gewonnen wird."

Weniger witzig war die weitere Aussage eines Opfers der Raubüberfälle, eine junge Mutter im Alter von 20 Jahren. Sie lebt im Haus des Schrotthändlers in Balingen. Vom angeblichen vielen Bargeld im Haus habe sie nichts gewusst. Seit dem nächtlichen Überfall habe sich ihr Leben verändert: "Ich schließe mich seither nachts ein und schrecke bei jedem kleinsten Geräusch auf."

Der Prozess wird am Montag, 10. Dezember, fortgesetzt.