War die Waffe des Täters echt oder nur eine Attrappe? Das konnte im Prozess nicht abschließend geklärt werden (Symbolfoto). Foto: Schwarzwälder Bote

Prozess am Landgericht um Überfälle auf Bisinger "Bucki’s" und Geislinger Shell-Tankstelle kommt zum Abschluss.

Hechingen/Bisingen/Geislingen - Die Verhandlungen zu Raubüberfällen in Bisingen, Geislingen und Tübingen zogen sich über Wochen hin. Nun wurde das Urteil verkündet: eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren, aber auch die Chance, einen Entzug zu machen.

Gewissermaßen "vorgewarnt" wurde der Angeklagte am letzten Verhandlungstag im Prozess um die Überfälle in Bisingen, Geislingen und Tübingen Anfang vergangenen Jahres: Er könne durchaus in eine Entzugseinrichtung eingewiesen werden. Auch eine Sicherungsverwahrung drohe ihm.

Doch erst einmal hielten die Prozessbeteiligten ihre Plädoyers. Die Staatsanwältin Hausmann blickte auf die ausführliche Beweisaufnahme zurück und sprach von einem "Verfahren mit vielen kleinen Puzzleteilchen". Der Angeklagte hatte über das ganze Verfahren hinweg geschwiegen. Schon vor den ihm zur Last gelegten Taten habe er längere Haftstrafen verbüßen müssen, berichtete die Staatsanwältin weiter.

Angeklagter flüchtete aus Entzugsklinik

Einmal wurde die Restzeit einer Haft in eine Drogentherapie "umgewandelt" – der Angeklagte floh aber vorzeitig aus der Klinik. Überbrückungsgeld, was einem Straftäter normalerweise nach Haftende zusteht, hatte er nicht. Er übernachtete bei Freunden und lieh sich Geld, doch das reichte nicht aus, um seine Drogensucht zu befriedigen. So habe er sich eine Möglichkeit gesucht, schnell an Geld zu kommen, so die Staatsanwältin weiter – Raubüberfälle.

Für jede einzelne Tat zählte die Staatsanwältin anschließend auf, welche Aspekte dafür sprechen, dass es sich bei dem Angeklagten auch um den Täter handelt. Insbesondere hob sie hervor, dass die Zeugin, die am Abend des Überfalls im Bisinger "Bucki’s" gearbeitet hatte, den Angeklagten als Täter widererkannt hatte. Der Zeugenaussage der "Bucki’s"-Mitarbeiterin glaubte die Staatsanwältin voll und ganz. Die Zeugin, die zunächst wegen womöglicher Strafvereitelung selbst ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten war, habe auch die widersprüchlichen Szenen des Geschehens, die auf den Überwachungsvideos zu sehen waren, erklären können. "Und jemand, der lügt, lügt einfach." Zudem hätten auch Funkzellenanalysen ergeben, dass der Angeklagte sich ungefähr zu den Tatzeiten nahe der Tatorte aufhielt.

Zugunsten des Angeklagten spreche nicht viel. Man müsse – im Zweifel für den Angeklagten – höchstens davon ausgehen, dass die Tatwaffe keine richtige Waffe war, sondern eine Attrappe – denn die Waffe wurde nie gefunden. Gegen den Angeklagten spräche dafür umso mehr: Diverse Vorstrafen und schlimme Auswirkungen auf die Geschädigten – selbst auf Zeugen, die gar nicht unmittelbar beteiligt waren und auf die "nur" kurz die Waffe gerichtet wurde. Die Staatsanwältin beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren. Sie meinte, der Angeklagte "schrammt haarscharf an einer Sicherungsverwahrung vorbei". Der Vorbehalt einer solchen – falls der Angeklagte sich nicht bessere – solle aber unbedingt im Urteil enthalten sein. Auch solle der Angeklagte sofort in eine Entzugsanstalt eingewiesen werden.

Überfall-Opfer hat "Lebensfreude verloren"

Anschließend hatte der Vertreter der Nebenklägerin, der Geschädigten aus Geislingen, das Wort. Er betonte nochmals, wie schlimm der Vorfall für seine Mandantin war: Man könne durchaus sagen, sie habe "ihre Lebensfreude verloren". Und sie sei beim besten Willen nicht übermäßig empfindlich, sondern im positiven Sinne eine "bodenständige, rustikale, schwäbische Hausfrau". Ihm gehe es aber auch um die anderen Geschädigten, führte der Nebenklagevertreter weiter aus und nannte nur einige der schweren Straftaten, die der Angeklagte bereits begangen hatte. "Bei jeder dieser Taten gibt es Opfer, die so leiden wie meine Mandantin." Daher seien die von der Staatsanwältin geforderten zwölf Jahre Freiheitsstrafe angemessen und er schließe sich dieser Forderung an.

Die Verteidigerin des Angeklagten bedankte sich für ein "außerordentlich faires Verfahren", fügte aber prompt ihr Bedauern an, dass die Staatsanwältin und der Nebenklagevertreter sich in ihren Plädoyers nicht mit entlastenden Aspekten befasst hatten. Die Eigenschaften des Täters, die die Zeugen genannt hatten – groß, schlank, große Nase, dunkle Augen – ließen nicht zwingend auf den Angeklagten schließen. Und auch obwohl die Bekleidung bei den Taten gleich gewesen sei – dunkle Winterjacke, Camouflage-Hose und Turnschuhe – müsse nicht unbedingt der Angeklagte sie getragen haben. Eine Jacke von "Jack&Jones", Turnschuhe von "Nike", das tragen doch viele junge Menschen heute, merkte die Verteidigerin an. Das Handy sei zwar teilweise in der Funkzelle, in der der Tatort lag, eingeloggt gewesen.

Aber im Bereich der Funkzelle liege ja schließlich nicht nur der Tatort, ihr Mandant könne sich auch in der Nähe aufgehalten haben. Außerdem habe sich das Handy des Angeklagten nach der Tat noch sehr lange im Bereich der Funkzelle befunden. Warum sollte er nach einem Überfall in der Nähe des Tatortes bleiben und nicht fliehen? Und schließlich, wenn der Angeklagte der Täter wäre, hätte er wohl kaum freiwillig eine DNA-Probe abgegeben. Die Verteidigerin forderte, ihren Mandanten in allen drei Fällen freizusprechen. Dem Angeklagten wurde das letzte Wort erteilt, doch er wollte sich weiterhin nicht äußern.

Der Ansicht der Verteidigerin folgte das Gericht nicht. Es verurteilte den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren wegen schweren Raubes (Vorfälle in Tübingen und Geislingen) und versuchten schweren Raubes (Vorfall in Bisingen). Zudem wird der Angeklagte in eine Entzugseinrichtung eingewiesen. Unter Vorbehalt droht ihm auch noch die Sicherungsverwahrung.

Der Vorsitzende Richter Breucker bedankte sich zunächst bei den Prozessbeteiligten und den Ermittlern für die konstruktive Zusammenarbeit: "Es wurden Spuren gelesen wie im Western." Zur Urteilsbegründung sagte er, es könne keine solche Anhäufung von Zufällen geben – also dass der Angeklagte zufällig am gleichen Ort war, zufällig das gleiche Aussehen hatte und die gleiche Kleidung trug. Außerdem hätten die Zeugen nie einen Aspekt genannt, der nicht auf den Angeklagten zugetroffen hätte. Zum Beispiel habe der Angeklagte dunkle Augen und kein Zeuge habe je behauptet, der Täter hätte blaue oder grüne Augen gehabt. Somit bestehe "kein begründeter Zweifel" an der Täterschaft.

Die Einweisung in die Entzugsklinik solle der Angeklagte als Chance sehen. Es sei nicht selbstverständlich, dies anzuordnen, nachdem der Beschuldigte schon einmal aus einer Entzugsklinik geflohen war.