Erfahrungsbericht: Eine Studentin erzählt von ihrer Corona-Auszeit zu Hause / Vielseitige Veränderungen im Alltag

Viele junge Hechinger Studenten verbringen gerade – Corona sei Dank – ungewohnt lange Zeit wieder bei den Eltern. In Abgeschiedenheit irgendwo in einer Studentenbude sitzen, das wäre schwer auszuhalten. Ohne Studienfreunde Wochen wieder im Kinderzimmer zu leben ist auch schwer. Hier ein Erfahrungsbericht.

Hechingen. Normalerweise sind meine Semesterferien bunt gefüllt mit den verschiedensten Aktivitäten, auch, um einen Ausgleich zur oftmals sehr stressigen Prüfungswoche am Ende des Semesters zu schaffen. Feiern gehen mit Freunden bis in die frühen Morgenstunden, sich in den Zug setzen um irgendeine europäische Großstadt zu erkunden, seltsame Filme im Kino anschauen, und ja, auch mal die Eltern Zuhause besuchen.

Politische Gespräche am Küchentisch statt WhatsApp-Videoanrufe

Das alles fällt jetzt weg – der Ausbruch der Corona-Virus-Pandemie setzt den Semesterferien plötzlich ganz ungeplante, unerwartete andere Schwerpunkte. Plötzlich bin ich wochenlang zuhause bei meinen Eltern, und schlüpfe dadurch ganz automatisch mal wieder in die Rolle des Kindes.

Es ist Jahre her, dass wir zuletzt so lange so eng zusammen gewohnt haben – damals war ich noch Schülerin. Statt jeden Abend die gleichen Nudelgerichte in meinem zerkratzten Topf in der WG-Küche zu brauen, bekomme ich nun jeden Tag ein nahrhaftes Mittagessen vorgesetzt. Statt im Wettlauf mit meinem gesamten Wohnheim zu sein, wer denn die drei einzigen Waschmaschinen für 150 Leute belegen darf, wird mir meine Wäsche nun fein säuberlich im Korb vor die Tür gestellt.

Und statt nur hin und wieder über WhatsApp-Videoanrufe ein Update zu geben, diskutiere ich nun mit meiner Familie am Küchentisch politische Themen. Gemeinsame Spieleabende, Filmabende und Backnachmittage finden statt. So eng aufeinander zu hocken, ist ungewohnt und dennoch schön und bereichernd – aber ich ertappe mich auch dabei, wie ich meine Autonomie in meiner eigenen Wohnung vermisse.

Nicht nur das – auch meine Freunde fehlen mir. Skypeanrufe, die ständig bei irgendjemandem wegen schlechter Internetverbindung abbrechen, sind einfach nicht das gleiche. Dennoch haben wir uns an die Situation so weit wie möglich angepasst. Unsere zahlreichen Spieleabende finden nun online statt – über die vergangenen Tage hinweg erkundeten wir die im Internet angebotenen Spiele und stellten fest, dass sie erstaunlich vielfältig sind. In Echtzeit kritzeln wir abwechselnd irgendwelche Gegenstände in ein animiertes Malprogramm, während die anderen die Begriffe erraten müssen – Rolltreppe, Schleichwerbung, absurde Worte, die darzustellen uns vor echte Herausforderungen stellen und grade deshalb so lustig sind. Oder wir spielen Stadt-Land-Fluss in den uns vom Internet vorgeschlagenen absurden Kategorien – "Mordwaffe" beispielsweise.

Felsenfest gesetzte Abgabetermine sind plötzlich hinfällig

Für meine Hausarbeit habe ich plötzlich unglaublich viel Zeit. Nicht nur, weil sämtliche sonstigen Freizeitaktivitäten wegfallen, auch, weil der Abgabetermin einfach nicht mehr existiert – Grund dafür ist die Schließung der Unibibliotheken, sodass sich niemand mehr seine benötige Literatur besorgen kann und sonst felsenfest gesetzte Abgabetermine plötzlich hinfällig werden. Und auch sonst ist "Zeit haben" das neue Thema Nummer eins. Zeit haben, eigene Spielkarten zu gestalten. Zeit haben, um mal zu versuchen, eine Krake zu häkeln. Zeit haben, um der Katze ihre geliebten Bällchen zu filzen, die sie dann mit Feuereifer durch die Wohnung kickt. Und einfach mal Zeit haben, um nichts zu tun, das habe ich nämlich wirklich einigermaßen verlernt.

In der Corona-Virus-Pandemie-Zeit oder wie auch immer man es nennen möchte nur zuhause zu sitzen ist auf jeden Fall herausfordernd und nicht immer angenehm. Aber es ist auf jeden Fall möglich, und vor allem wächst die innerlich kribbelnde Vorfreude auf eine Zeit, in der all die schönen Alltagsdinge wieder ganz selbstverständlich möglich sind. Feiern gehen mit Freunden bis in die frühen Morgenstunden, sich in den Zug setzen um irgendeine europäische Großstadt zu erkunden, seltsame Filme im Kino anschauen – all das wird ja auch wieder möglich sein. Irgendwann.