Laura Pippig und Roman Raffler in der Einliegerwohnung, die nicht genutzt werden kann. Foto: Laura Pippig

Eine junge Familie kauft ein Haus, doch kurz nach Einzug zeigen sich schwere Mängel. Der Vorbesitzer will nichts davon gewusst haben. Es folgen Psychoterror, Anzeigen und ein langer Prozess, dessen Ausgang über Schicksale entscheidet.

Laura Pippig ist schwanger, als sie und ihr Mann Roman Raffler das Haus bei Bad Urach zum ersten Mal sehen. Es gefällt beiden gleich. Es ist hell mit einem Anbau in Art eines Wintergartens mit großer Glasfront, geräumig mit fünf Zimmern auf 170 Quadratmetern, einem Garten sowie einem Schwimmteich. Die Familie, die davor in Böblingen lebte, hat zu der Zeit längst begonnen, sich auch im weiteren Umland nach einem Eigenheim umzuschauen: „Die Immobilien im Raum Stuttgart und Böblingen waren zu diesem Zeitpunkt kaum erschwinglich für uns – oder sofort weg“, erzählt Pippig.

 

Also beschließen sie, das Holzhaus am Rande der Schwäbischen Alb für 550 000 Euro von einem privaten Besitzer, einem Zimmermann, zu kaufen. Der Vertrag wird im Juni 2021 unterschrieben. Viele Renovierungsarbeiten erledigen sie in Eigenregie: „Ich stand damals kurz nach dem Kaiserschnitt mit dem zweiten Kind auf der Leiter und habe gestrichen“, erinnert sich Pippig. Alles soll perfekt sein.

Und das ist es zunächst auch. Zumindest scheint es so. Am 11. September 2021 – ihrem Hochzeitstag – ziehen Pippig und Raffler mit ihrer Familie von Böblingen ins neue Haus um. Wenn das kein gutes Omen ist, denken sie da noch.

Dem Haus fehlt die „Frostschürze“. Foto: StZN/Laura Pippig

Sanierung würde 440 000 Euro kosten

Doch schnell treten erste Mängel zutage. Im Untergeschoss, in dem sich eine Einliegerwohnung befindet, entdecken sie massiven Schimmelbefall. Er ist baubedingt, stellt sich heraus, denn Pippig und Raffler geben für 27 000 Euro ein Baugutachten in Auftrag – inzwischen gibt es sogar mehrere. Das Ergebnis ist niederschmetternd, denn es werden zahlreiche, zum Teil erhebliche Mängel festgestellt.

Der schwerwiegendste ist eine fehlende Frostschürze an der Fundamentplatte. Im Gutachten heißt es dazu: „Befindet sich die Fundamentplatte wie in diesem Fall im wirkenden Frostbereich, und wird der Raum oberhalb der Fundamentplatte als beheizter Wohnraum genutzt, hat die Frostschürze (...) die Aufgabe, das Gebäude vor dem Auffrieren zu schützen.“ Doch in dem Wohnhaus in Bad Urach kann in dem für den Ortstermin geöffneten Bereich keine Frostschürze festgestellt werden. Die Folgen laut Gutachten: „An dem Gebäude und seinen Bestandteilen ist mit Setzungen und Hebungen zu rechnen. In der Folge können auch Risse im Gebäude nicht ausgeschlossen werden.“

Auch für den von der Familie bemerkten Schimmel finden die Gutachter Gründe: keine funktionierende Flächenabdichtung der Bodenplatte, keine Dämmung auf und unter der Bodenplatte, keine Mauersperre unter der Außenwand, keine Dampfsperre im Innenbereich und keine vollflächige Wärmedämmung auf der Außenseite. Die Folgen zeigen sich in starkem Schimmelbefall im Fußbodenaufbau der Einliegerwohnung sowie hinter der Außenwand. Der Gutachter kommt zu dem Schluss: „Die untersuchten Wand- und Fußbodenaufbauten sind für eine Wohnnutzung ungeeignet. Der für dieses Gebäude erstellte Energieausweis verliert unter diesen Bedingungen seine Gültigkeit.“ Eine Sanierung des Gebäudes würde mindestens 440 000 Euro kosten und wäre kaum machbar – aus Sicht des Gutachters ein wirtschaftlicher Totalschaden.

Provisorium. Foto: StZN/Bock

Wie kann das alles sein? Im Exposé zu der Immobilie stand: „Das Familiendomizil wurde im Jahr 2000 in ökologischer Bauweise von einer Fertighaus-Firma errichtet.“ Tatsächlich aber stellt sich laut Pippig und Raffler heraus, dass das komplette Untergeschoss vom Vorbesitzer selbst gebaut wurde. Das Haus ist ein sogenanntes Ausbauhaus. „Das hat man uns vorher nicht gesagt“, so Pippig. Auch nicht, dass „bei den festgestellten Elektroinstallationen aktuell bei Nutzung des Schwimmbeckens Gefahr für Leib und Leben besteht“, wie es im Gutachten heißt. Offenbar Pfusch an allen Ecken.

Der Vorbesitzer bestreitet, etwas gewusst zu haben

Bemerkt hat die Familie die Mängel bei der Besichtigung vor dem Kauf nicht. „Damals war ich ja hochschwanger, wir waren eine kleine Familie ohne Ahnung“, sagt Pippig rückblickend. „Wir haben ein Holzhaus von einem Zimmermann gekauft, der zuvor selbst dort gewohnt hat. Das klang super. Wir haben ihm vertraut.“ Vieles sei auch nicht auf den ersten Blick ersichtlich gewesen – schon gar nicht für Laien.

Pippig und Raffler kontaktieren den Vorbesitzer. Der behauptet, nichts von den Mängeln gewusst zu haben. Pippig zeigt ein Video von einer Sturm- und Regennacht im Sommer, als das Wasser in kleinen Bächen durch das Untergeschoss läuft. „Das ist sicher nicht zum ersten Mal passiert“, sagt sie. Das zuvor herzliche Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufern verschlechtert sich rasant. Im Ort, in dem der Verkäufer gut bekannt ist, macht plötzlich böser Tratsch über die neuen Bewohner die Runde. Irgendwann steht gar ein Mann aus dem Umfeld des Vorbesitzers vor der Tür. Er gibt ihnen zu verstehen, sie sollten besser nicht weiter Ärger machen, sie hätten ja Kinder, denen etwas passieren könne. Das Paar erstattet Anzeige gegen ihn. Das Amtsgericht Bad Urach stellt das Verfahren wegen Bedrohung gegen eine Geldauflage an eine gemeinnützige Einrichtung ein.

Verschimmelte Mauern. Foto: StZN/Bock

Der Ausgang des Prozesses ist offen

Damit geht die Juristerei aber erst so richtig los. Pippig und Raffler reichen Klage gegen den Verkäufer am Landgericht Tübingen ein. Sie wollen die Rückabwicklung des Kaufs wegen arglistiger Täuschung erreichen. Im April 2023 beginnt eine ganze Reihe von Verhandlungen. Ein klarer Fall? Mitnichten. Zwar sind alle Mängel vom Gutachter dokumentiert. Doch Pippig und Raffler müssen dem Beklagten nachweisen, dass er wirklich von diesen Mängeln wusste und sie absichtlich verschwiegen hat – und da steht Aussage gegen Aussage.

Das Verfahren läuft noch immer. Und der Ton wird rauer. Hochemotionale Beiträge der Käufer gibt es bei den Verhandlungen genauso wie kernige Kommentare der Gegenseite. Gegenüber unserer Zeitung wollen sich auf Anfrage weder der Verkäufer noch seine Anwaltskanzlei zu den Vorwürfen äußern. Vor Gericht sagt sein Rechtsanwalt: „Mein Mandant ist davon überzeugt, dass alles richtig gebaut ist.“ Er habe zu den Zeiten, in denen er und seine Familie im Haus gewohnt haben, zum Beispiel keine Wasserschäden festgestellt. Falls es die gebe, müssten sie erst nach dem Verkauf aufgetreten sein.

Keine solide Bauweise. Foto: StZN/Bock

Haftung für Mängel ist ausgeschlossen

Im Kaufvertrag findet sich zum Nachteil der Käufer ein Gewährleistungsausschluss für nachträglich entdeckte Mängel. Die können sie damit nicht mehr geltend machen. Es bleibt nur die arglistige Täuschung. Und da, so sieht es derzeit aus, könnte allein die fehlende Frostschürze erfolgversprechend sein. Weitere Gutachten werden folgen – und weitere Kosten. Das Tübinger Landgericht will sich in wenigen Tagen dazu äußern, wie es weitergehen soll mit dem komplizierten Verfahren.


Inzwischen ist Laura Pippig wieder schwanger. Das junge Paar erwartet das dritte Kind. Wie die Zukunft der Familie aussehen wird, ist völlig offen. „Verkaufen können wir das Haus nicht mehr. Wir wissen ja jetzt von all den Mängeln. Wir haben die Büchse der Pandora geöffnet“, sagt Pippig, die sich trotz wachsender Verzweiflung kämpferisch zeigt. „Wenn wir den Prozess verlieren, gehen wir in Revision. Sonst müssen wir Privatinsolvenz anmelden“, sagt sie. Sie streicht über ihren Bauch und sagt leise: „Wir haben unheimliche Angst. Existenzangst.“ Das vermeintliche Traumhaus ist zum Albtraum geworden.