Schreiben die deutschen Handballer neun Jahre nach dem WM-Sieg im eigenen Land ein neues Wintermärchen? Bei der EM in Polen steht das Team von Dagur Sigurdsson völlig überraschend im Halbfinale gegen Norwegen – und holt zum ganz großen Wurf aus.
Breslau - Sie zitterten, bangten, feuerten an – und pfiffen am Ende auf ihre verletzten Adduktoren: Kapitän Steffen Weinhold und Torjäger Christian Dissinger stürzten nach dem 25:23-Sieg gegen Dänemark von der Tribüne aufs Spielfeld, wo ihre Kollegen tanzten und jubelten, als hätten sie soeben den EM-Titel gewonnen – und so ähnlich fühlte sich dieser Triumph über den haushohen Favoriten auch an. „Das ist eine Sensation“, meinte Bundestrainer Dagur Sigurdsson, „wir haben unser Ding durchgezogen. Es war einfach eine grandiose Leistung.“
Ein paar Meter weiter feierten seine Spiele mit den begeisterten Fans, und es schien so, als könnten sie selbst nicht recht glauben, was da soeben passiert war. „Sensationell! Hammer! Unfassbar!“, rief Torwart Carsten Lichtlein. Rechtsaußen Tobias Reichmann rang sichtlich nach Fassung: „Ich könnte heulen. Ich bin einfach nur glücklich.“ Und Nachrücker Julius Kühn schrie in jedes Mikrofon, das ihm unter die Nase gehalten wurde, nur ein Wort: „Sieg!“
„Wir haben einfach weitergearbeitet“
Die deutschen Handballer hatten einen Erfolg gegen das dänische Weltklasse-Team benötigt, um ins Halbfinale einzuziehen – und sie hielten diesem Druck stand. Angeführt vom besten Torschützen Steffen Fäth (6), von Linkshänder Fabian Wiede (5) und dem erneut bärenstarken Torhüter Andreas Wolff ließ sich die Mannschaft auch durch einen 21:23-Rückstand sieben Minuten vor dem Ende nicht aus der Ruhe bringen. „Wir haben einfach weitergearbeitet“, lobte Sigurdsson, „dabei hatten wir so viele Dinge taktisch zu meistern.“
Der Bundestrainer, der schon zuvor immer wieder die Abwehr umgestellt hatte, ließ nun erneut offensiver decken – und den Dänen, die am Abend zuvor gegen Schweden ihren bis dahin einzigen Punktverlust hatten hinnehmen müssen (28:28), ging die Luft aus. Selbst Mikkel Hansen (7), für viele Experten der beste Handballer der Welt, fand kein Mittel mehr gegen die aufopferungsvoll kämpfenden deutschen Abwehrspieler. Und vorne behielt der Außenseiter die Nerven.
Erst erzielte Spielmacher Martin Strobel, den 23:23-Ausgleich (57.), danach verwandelte Tobias Reichmann einen Siebenmeter gewohnt sicher. Und dann spielte auch noch das Glück mit: Der dänische Linksaußen Anders Eggert scheiterte am Innenpfosten, im Gegenzug machte Fabian Wiede den Sieg perfekt. Der Rest war Jubel. „Wir haben immer an den Sieg geglaubt und gekämpft bis zum Umfallen“, meinte Tobias Reichmann. Und Andreas Wolff erklärte: „Wir haben zugeschlagen, als die Dänen nervös wurden. Wir spielen ein unglaubliches Turnier.“
Und das ist noch lange nicht zu Ende. An diesem Freitag (18.30 Uhr/ZDF) steht in Krakau das Halbfinale gegen Norwegen an. Nachdem sich die erste Euphorie über den Coup gegen Dänemark gelegt hatte, dachten die neuen deutschen Handball-Helden nur noch daran, was sie bei dieser EM noch alles schaffen können. „Jetzt“, sagte Andreas Wolff, „ist alles drin. Auch der Titel.“ Das Halbfinale haben die Deutschen erreicht – ihr Ziel noch nicht.