Foto: Müssigmann

Stefan Niesner lebt in seinem Passivhaus in Freudenstadt seine Vision vom möglichst umweltfreundlichen Dasein. Seine Heizung betreibt er nicht mit Öl – sondern mit Eis

Freudenstadt - Der Fußabdruck von Stefan Niesner hat Größe 43. Doch um den geht es dem 52-jährigen Freudenstädter nicht – ihn interessiert sein ökologischer Fußabdruck. Welchen Müll hinterlassen wir der Welt, wie viel Energie verbrauchen wir? Wie Einsparen funktionieren kann, zeigt er am eigenen Haus.

Architekt Stefan Niesner öffnet vor seinem Haus den Deckel einer im Boden eingelassenen Zisterne. Das Wetter ist frühlingshaft, doch das Wasser ist zum Teil gefroren. "Ich heize mit Eis", sagt Niesner. Der Überraschungseffekt ist ihm sicher. Und es ist nur eine der Besonderheiten an seinem Passivhaus in Freudenstadt.

Er hat sich beim Bau gestalterisch und technisch ausgelebt – eine tolle Chance, auch wenn am Anfang des Projektes ein Schock stand. Das Wohnhaus der Familie Niesner, das an derselben Stelle stand, ist im Oktober 2011 ausgebrannt. Es war nicht mehr bewohnbar.

Obwohl der Architekt damals gerade erst ein Masterstudium im Fach "Energie Effizienz Design" an der Hochschule Augsburg begonnen hatte, plante er zusammen mit seiner Familie seine Vision vom Bauen der Zukunft. Das alte Haus wurde abgerissen und das Projekt Phönix erschaffen. Das Haus besteht mit Ausnahme des Fundaments aus Holz. Den Werkstoff hat er bewusst gewählt: "Holz ist hier im Schwarzwald quasi unendlich verfügbar." Wände und Dach hat er mit Holzschnitzeln und Zellulose gedämmt. Viele andere Werkstoffe, die für gewöhnlich beim Bauen verwendet werden, fressen bei ihrer Herstellung aus Niesners Sicht zu viel Energie. Die weltweite Zementproduktion hat mehreren übereinstimmenden Quellen zufolge einen erheblichen Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß. Künstliche Materialien dünsteten auch mutmaßlich ungesunde Stoffe aus, sagt Niesner. Er habe außerdem ein besseres Lebensgefühl, wen er von Naturmaterialien umgeben ist.

Niesner hat schon immer eine Affinität zu Holz, hat er doch vor dem Architekturstudium den Beruf des Zimmermanns gelernt. Seine Einstellung zum herkömmlichen Bauen hat sich während des Berufslebens schleichend verändert. "Architektur hinterlässt elementare Abdrücke. Nachhaltigkeit und Ökologie kann man als Architekt nicht außen vor lassen." Zumindest wollte Niesner das nicht mehr und hat sich in die Tiefen des ökologischen Bauens eingearbeitet. In Gesprächen mit ihm geht es nicht nur um Bauphysik, sondern auch um den menschlichen Körper, um die Funktionsweise der Lunge oder um die Auswirkung des Raumklimas auf Wärme- und Kälterezeptoren auf der Haut.

"Mensch geht Weg des geringsten Widerstands"

Aber noch mal zurück zur Eisheizung vor dem Haus: Wenn das Regenwasser entlang von Kühlschlangen in der Zisterne zu Eis gefriert, also den Aggregatzustand von flüssig zu fest wechselt, wird viel Energie freigesetzt und von einer Wärmepumpe nutzbar gemacht – Niesner kann damit das Haus heizen. Wenn das Wasser zu einem großen Block gefroren ist, wird es durch Energie aus der Solarthermieanlage auf Niesners Dach oder aus einem Biomeiler wieder aufgetaut, und das Spiel geht von vorne los.

Biomeiler? Eine weitere Besonderheit, die Niesner ausprobiert hat: Eine Mischung aus Grünschnitt-Häckselgut und Pferdemist wurde in seinem Garten von thermischen Bakterien zersetzt. Niesners Biomeiler misst 4,5 Meter im Durchmesser und ist zwei Meter hoch. Darin herrschten über zwei Jahre Temperaturen von bis zu 70 Grad. Dann war das ganze Grüngut zu Humus geworden. Den muss Niesner erst mal verbrauchen. Deshalb hat er den Meiler bisher nicht nachgefüllt, was aber seinen Angaben zufolge einfach möglich wäre.

Aber wozu all die Mühen, wo doch Strom und Wärme ohne eigenes Zutun bezogen werden können? Niesner will so wenig Müll produzieren und Umweltzerstörung anrichten wie nur möglich. "Es gibt viele Menschen, die so denken", sagt er. Aber die herkömmlichen Energieträger, Benzin, Heizöl, Strom aus der Steckdose, seien noch zu billig, der Leidensdruck durch Umweltschäden noch zu gering. "Der Mensch geht eben den Weg des geringsten Widerstandes."

Dass er einen anstrengenden Weg geht, empfindet er nicht so. Zur Umstrukturierung seiner Lebens- und Arbeitsgewohnheiten zugunsten der Nachhaltigkeit habe er erst mal Disziplin gebraucht. "Aber irgendwann verselbstständigt sich das." Das Gemüse kaufen die Niesners in der Ökokiste aus der Region, Wege von bis zu 25 Kilometern wollen sie zunehmend mit ihren E-Bikes zurücklegen.

Für das ökologische Bauen mit Holz und Heizen mit regenerativer Energie sieht Niesner keine Grenzen bei der Größe der Wohneinheiten. Er weist auf ein Projekt in Wien hin, wo derzeit ein 24-stöckiges Hochhaus gebaut wird, das zu einem Großteil aus Holz besteht.

Bei der Energieversorgung von Häusern durch Fotovoltaik, "Eisheizung" oder Biomeiler sieht er besonders dann eine Chance, wenn sich zum Beispiel drei oder vier stromproduzierende Nachbarn zusammenschließen und so ein kleines Kraftwerk bilden, das Spitzen abfedern kann. Niesners Vision vom grünen Leben endet nicht am eigenen Gartenzaun.