Es kam um das Festival zu zahlreichen Festnahmen. Foto: dpa/Helmut Fricke

Gießen ist erneut Schauplatz von Ausschreitungen rund um das umstrittene Eritrea-Festival. Weit über 1000 Polizisten sind im Einsatz. Die Stadt hatte zuvor vergeblich versucht, die umstrittene Veranstaltung zu verbieten.

Gegner eines Eritrea-Festivals in Gießen haben sich gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert. Dabei wurden am Samstag mindestens 26 Polizisten verletzt, ein Großteil von ihnen setzte nach Angaben des Polizeipräsidiums Mittelhessen aber den Dienst fort. Zuvor war von 22 verletzten Beamten die Rede gewesen. „Die Kollegen wurden massiv angegriffen, Steinewürfe, Flaschenwürfe, Rauchbomben“, sagte ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur. Mehr als 1000 Polizisten waren im Einsatz.

Der Veranstalter, der Verein Zentralrat der Eritreer in Deutschland, gilt als regierungsnah. Das Festival ist daher umstritten. Im August 2022 war es bei der Vorgänger-Veranstaltung zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen.

Die Polizei hatte sich seit Tagen auf eine Großlage und die Anreise potenziell gewaltbereiter Gegner der Veranstaltung eingestellt. Die Stadt Gießen hatte das Festival zunächst wegen Sicherheitsbedenken verboten. Dies wurde vom Gießener Verwaltungsgericht gekippt. Am Freitag bestätigte der Hessische Verwaltungsgerichtshof diese erstinstanzliche Entscheidung.

Eritrea mit seinen rund drei Millionen Einwohnern liegt im Nordosten Afrikas am Roten Meer und ist international weitgehend abgeschottet. Seit einer in einem jahrzehntelangem Krieg erkämpften Unabhängigkeit von Äthiopien vor 30 Jahren regiert Präsident Isayas Afewerki in einer Ein-Parteien-Diktatur das Land. Parteien sind verboten, die Meinungs- und Pressefreiheit stark eingeschränkt. Es gibt weder ein Parlament noch unabhängige Gerichte oder zivilgesellschaftliche Organisationen. Zudem herrscht ein strenges Wehrdienst- und Zwangsarbeitssystem, vor dem viele Menschen ins Ausland fliehen.

Regierungsnaher Veranstalter

Seit dem frühen Samstagmorgen waren nach Polizeiangaben unterschiedlich starke Personengruppen in Gießen durch Ausschreitungen an verschiedenen Orten aufgefallen. Insgesamt seien 100 Ermittlungsverfahren unter anderem wegen Körperverletzung und schwerem Landfriedensbruch eingeleitet worden. Die Polizisten hätten mehr als 400 Personen kontrolliert und gegen einen großen Teil von ihnen Platzverweise verhängt. Rund 100 Personen seien in Gewahrsam genommen worden, die zum Teil aus dem europäischen Ausland angereist seien. Die Bundespolizei verhinderte nach eigenen Angaben den Bau eines Molotow-Cocktails.

Zwischenzeitlich hatte die Polizei über Twitter dazu geraten, das Stadtgebiet zu meiden und weiträumig zu umfahren, da die Einsatzkräfte wegen der dynamischen Einsatzlage zu vielen verschiedenen Orten verlegt werden müssten.

Die Polizei sprach am späten Nachmittag davon, dass sich die Lage wieder beruhigt habe. Auch eine Kundgebung mit rund 250 Teilnehmern am Nachmittag sei ohne größere Zwischenfälle geblieben. Als etwa 150 Menschen eine Straße blockiert hätten, sei die Versammlung von Behördenseite beendet worden.

Nach bisherigen Erkenntnissen seien keine Unbeteiligten verletzt worden, teilte das Polizeipräsidium am Abend mit. „Der Rettungsleitstelle sind in diesem Zusammenhang auch keine Personen, die sich an den Gewalttaten beteiligten oder die Veranstaltung besuchten, mit schwereren Verletzungen bekannt.“

Polizei war vorbereitet

Das zweitägige Festival wurde in der Hessenhalle veranstaltet, die ein Stück außerhalb der Innenstadt auf der anderen Lahn-Seite liegt. Der Zentralrat der Eritreer in Deutschland rechnete am Samstag und Sonntag mit jeweils etwa 2500 Besuchern. Nach Angaben einer Gießener Stadtsprecherin zog das Festival vor mehr als zehn Jahren von Frankfurt nach Gießen, wohl wegen der zentralen Lage der mittelhessischen Stadt und der für das Fest geeigneten Halle.

Die Veranstalter sprechen von einem Familienfest, das aus kulturellen Veranstaltungen wie Musik und Literatur bestehe. „Das ist ein Begegnungszentrum für alle Eritreer, die ihre Erfahrungen austauschen“, sagte Oton Johannys Russom vom Vorstand des Zentralrats der Eritreer in Deutschland. Der Vorwurf, dass auf der Veranstaltung Propaganda für die Regierung des Landes verbreitet werde, sei völlig haltlos. Auch die Behauptung, Generäle würden bei dem Festival auftreten, stimme nicht.

Ein Polizeisprecher berichtete, es sei zu Attacken gegen Absperrungen gekommen sowie zu Versuchen, polizeiliche Absperrungen zu durchbrechen. So habe eine Gruppe von vermutlich rund 100 bis 150 Personen einen Zaun an den Hessenhallen eingerissen. Die Beamten setzten Pfefferspray und Schlagstöcke ein, ein Wasserwerfer stand bereit.

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) forderte die Bundesregierung auf, den Botschafter des ostafrikanischen Landes einzubestellen. „Der eritreischen Regierung muss deutlich gemacht werden, dass eritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürfen“, sagte er. „Unsere Polizistinnen und Polizisten sind nicht der Prellbock für Konflikte von Drittstaaten.“ Der stellvertretende AfD-Bundessprecher Stephan Brandner kritisierte, dass das Eritrea-Festival in Deutschland stattfinden dürfe. „Die Diktatur möge sich selbst in Eritrea feiern. So etwas hat in unserem Land nichts verloren.“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) twitterte: „Die massive Gewalt und Randale gegen Polizeibeamte in Gießen verurteile ich scharf. Danke an alle Einsatzkräfte! Meine Gedanken sind bei den verletzten Beamten.“

Die Stimmung war auch in den sozialen Netzwerken teils aufgeheizt. Die Polizei warnte vor Falschmeldungen. Mutmaßlich wegen der heißen Temperaturen hätten mehrere Personen gesundheitliche Probleme bekommen und seien medizinisch versorgt worden, hieß es in einem Tweet. Die Beamten nahmen dabei Bezug auf einen vorher verbreiteten Appell, keine Falschmeldungen zu verbreiten, wonach angeblich ein Teilnehmer der Störaktionen getötet worden sei. Es gebe bislang keine Hinweise darauf, schrieben die Beamten. Ein Polizeisprecher sagte, dass ein Teil der im Internet kursierenden Videos, die Ausschreitungen zeigten, mutmaßlich aus dem Vorjahr stammten.