Riccardo Schmitt im Arm seines Trainers Ralf Schumacher: Der 15-Jährige hat seinen ersten deutschen Meistertitel eingefahren. Foto: Fotos: VfL Nagold/Montage: von Gottschalck

Gewichtheben: Riccardo Schmitt vom VfL Nagold schafft es nach nur 15 Monaten zum deutschen Schülermeister.

Er stemmt Gewichte in die Höhe, die fast doppelt so viel wiegen wie er selbst: Riccardo Schmitt vom VfL Nagold ist die große Nachwuchshoffnung der Gewichtheber in Baden-Württemberg.

Erst vor gut einem Jahr hat Riccardo Schmitt das erste Mal eine Hantel in die Hand genommen. 15 Monate später ist er deutscher Schülermeister. Eine steile Karriere, die allein auf einem Zufall basiert. Oder besser gesagt: an seiner Heimatstadt Horb, die fernab vom Radius der großen Turn-Talentschmieden liegt.

Riccardo Schmitt wurde im Januar 2003 in Horb geboren. Noch im selben Jahr zog seine Familie mit ihm ins norditalienische Reggio Emilia. In der Stadt, in der einst die Farben der italienischen Tricolore festgelegt wurden, schlug der junge Schwabe schon früh eine sportliche Richtung ein. Ab dem Alter von sechs Jahren war er als Geräteturner aktiv und rückte rasch unter den Augen der begeisterten italienischen Trainer zum Leistungssportler auf. Der junge Horber folgte damit den Spuren seines Großvaters Branko Volf, der proffessioneller Skifahrer war und jahrelang Kinder und Jugendliche beim Schneesportclub Horb trainierte.

2015 kehrte die Familie nach zwölf Jahren Italien nach Horb zurück. Riccardo Schmitt wollte in Deutschland weiter auf einem hohen Leistungsniveau turnen, fand in der Nähe aber keinen passenden Verein. Bis Sindelfingen oder gar Fellbach fahren – das kam für die Familie nicht infrage. Im März 2017 bekamen die Schmitts dann einen Tipp: Gewichtheben beim VfL Nagold. Der ehemalige Zweitligist ist in Iselshausen angesiedelt, das liegt gerade einmal 15 Kilometer von Horb entfernt.

Beim VfL Nagold war man von dem Wunderkind, das aus Italien kam und plötzlich auf der Matte stand, sofort begeistert. "Er ist eine absolute Ausnahme", sagt VfL-Trainer Ralf Schumacher, der noch viel Luft nach oben sieht: "Technisch hat Riccardo durch die kurze Zeit, in der er den Sport erst betreibt, noch ein paar Defizite, die er mit seiner Kraft kompensiert. Aber er lernt sehr schnell. Er hat eine tolle Auffassungsgabe und Körperbeherrschung."

Für Riccardo Schmitt war nicht nur Gewichtheben ein Sprung ins kalte Wasser. Als er 2015 in Horb ankam, sprach der damals Zwölfjährige kein Wort Deutsch. Die Sprache war dann auch das Hauptproblem, doch an der Horber Gemeinschaftsschule fand er schnell Anschluss und damit auch einen schnellen Zugang zur Sprache.

An seiner Schule hat sich schnell herumgesprochen, welch ein Ausnahmetalent da im Klassenzimmer sitzt – bis hinein ins Rektorat. "Eine solche Leistung ist wirklich alles andere als alltäglich", lobt Schulleiter Götz Peter. Auch die Mitschüler sind begeistert. "Die können sich nicht vorstellen, wie man so viel Gewicht heben kann", schmunzelt Riccardo Schmitt mit seinem leichten italienischen Zungenschlag. Angst habe vor dem Kraftpaket, das nur 57 Kilo auf die Waage bringt, aber niemand, denn: "Ich bin nicht der Typ, der das zeigt."

Das gilt zumindest für den Schulhof, nicht aber für die Sporthalle. Knapp 100 Kilo stemmt Riccardo Schmitt in die Höhe – und damit fast das Doppelte seines eigenen Körpergewichts.

Anders als beim Turnen, bei dem Punktrichter die Haltung bewerten, ist Gewichtheben ein Zahlenspiel. Ganz direkt weiß der Athlet bis auf die Kommastelle genau, welche Leistung er gebracht hat. Das macht für den 15-Jährigen den Reiz aus. "Bei beiden Sportarten kommt es sehr auf Kraft an. Sie ähneln sich sehr, auch wenn sie anders aussehen", meint Riccardo Schmitt, zeigt aber auch die Unterschiede zwischen seiner alten Liebe Turnen und seiner neuen Liebe Gewichtheben auf: "Ich kann jetzt meine Kraft ganz genau messen."

Und dann sind da natürlich auch noch die Unterschiede zwischen dem Sport in Italien und in Deutschland. Besser gefällt es dem gebürtigen Horber in seinem Heimatland: "In Deutschland ist alles besser organisiert. In Italien gibt es weniger Unterstützung, man muss sich mehr alleine durchkämpfen."

Unterstützung bekam das Gewichtheber-Wunderkind in Deutschland recht schnell, denn schon nach wenigen Monaten wurden die Kadertrainer aufmerksam. Seit Januar dieses Jahres gehört Riccardo Schmitt zum baden-württembergischen Landeskader – und legt immer weiter zu.

Der Lohn für die Mühe: Im Juni wurde der Horber in Ingolstadt deutscher Schülermeister. Interessant: Im Stoßen stieg er erst dann in den Wettkampf ein, als alle Konkurrenten bereits fertig waren. Er brachte mit 90, 93 und schließlich 96 Kilo alle Versuche in die Wertung und sicherte sich damit den Titel. Im Reißen stemmte Riccardo Schmitt 71 und 74 Kilo nach oben.

Die Entwicklung, die die baden-württembergische Nachwuchshoffnung in den vergangenen Monaten genommen hat, ist außergewöhnlich. "Jetzt schaffe ich fast 100 Kilo. Vor einem Jahr war das für mich unvorstellbar. Da waren schon 40 Kilo der Wahnsinn", meint Riccardo Schmitt. Auch Trainer Ralf Schumacher ist baff: "Solche Leistungssteigerungen sind super-selten."

In den kommenden Wochen stehen die Bezirksmeisterschaften an, in die der deutsche Schülermeister als haushoher Favorit geht. Das eigentliche Augenmerk von Riccardo Schmitt liegt aber auf der Zeit danach, denn er möchte Gewichtheben gerne zu seinem Beruf machen und strebt eine Ausbildung bei der Bundespolizei oder Bundeswehr an, mit der das gut vereinbar wäre. Kommendes Schuljahr macht der 15-Jährige seinen Hauptschulabschluss, bis dahin sollen die ersten Weichen gestellt sein.

Wichtigste Weiche: der Sprung in den Bundeskader. Der Kontakt zum Bundestrainer besteht längst, jetzt müssen nur noch die erforderlichen Leistungsnormen erfüllt werden. Bis Jahresende hat Riccardo Schmitt Zeit, sich um insgesamt 30 Kilo zu steigern – jeweils 15 Kilo im Reißen und Stoßen. Trainer Ralf Schumacher ist zuversichtlich: "Die Chance ist sehr hoch. Sehr, sehr hoch."