Sprünge im Bohnenviertel: Der junge Pole Emil Kusmirek tanzt nun in Stuttgart. Foto: Max Kovalenko

Er zählte zu den Lieblingen von Dieter Bohlen. Beim „Supertalent“ von RTL ist der Tänzer Emil Kusmirek, 23, mit großem Drama weit oben gelandet. Was bleibt nach dem Finale vom Ruhm? Zur Marionette wollte er nicht werden und lief dem Manager davon. In Stuttgart wird er nun zu einem Gesicht des CSD.

Stuttgart - Die Jugend ist ein Rohstoff, der permanent nachwächst. Etwaige Opfer können daher rasch ersetzt werden. Vor einem Millionenpublikum bläst RTL die Träume junger Menschen wie Seife auf, um sie genüsslich zerplatzen zu lassen. Nur wenige Kandidaten erwischen einen Zipfel von Glanz und Gloria. „Du kannst es schaffen“, lautet die Botschaft dieser Casting-Shows.

Doch der Satz geht mit dem Kleingedruckten weiter: „Du kannst es schaffen, wenn du den Mund hältst, alles mitmachst, was wir wollen, wenn du noch ins Dschungelcamp fliegst und dich mit dem Trauma deiner Kindheit immer noch mehr quälst.“

Der homosexuelle Tänzer Emil Kusmirek, der vor 23 Jahren im polnischen Kattowitz geboren ist, in einem Land, in dem Schwule wenig Toleranz, aber viel Hass spüren, füllte vor den Fernsehkameras seine Rolle als „Kämpfer“ mit hohem emotionalem Einsatz aus – perfekt aus der Sicht des Senders. „Du musstest in deinem Land kämpfen, du hast in Deutschland gekämpft und dich bis ins Finale vom ,Supertalent‘ vorgekämpft“, sagte Jury-Mitglied Michelle Hunzinger in der Sendung mit theatralischer Ehrfurcht.

Drama! Ein Talent allein wäre zu wenig. Das RTL-Publikum will seine Helden vor dem Höhenflug erst einmal leiden sehen. Bei Emil Kusmirek war es der Kampf gegen seinen starken Vater, der mit dem Sohn brach, als dieser ihm gestand, schwul zu sein. In Deutschland sind solche Outing-Tragödien zum Glück selten geworden. Doch im katholisch geprägten Polen werden Schwule und Lesben noch immer geächtet. „Viele wollen uns in die Psychiatrie stecken, weil sie meinen, wir müssen vom Schwulsein geheilt werden“, sagt der 23-Jährige. Er lief von daheim weg, floh zu Bekannten nach Deutschland. Über soziale Netzwerke ist die Welt kleiner geworden und kann zusammenrücken. Mit großem Ehrgeiz und körperlicher Quälerei entwickelte Emil einen sehr speziellen Tanzstil, der Irish Dance, Hip-Hop, Jazz und Pop vereint. Impulsiv, feinfühlig und verletzlich – so nahm er alle Castinghürden bis ins Finale im vergangenen Dezember. „Du hast die Bühne zum Brennen und Beben gebracht“, jubelte Thomas Gottschalk.

Vater-Sohn-Verhältnis bereitet öfter Probleme

Emil schwebte auf Wolke sieben. Sein Manager hatte viel vor mit ihm. Den dritten Platz beim „Supertalent“, all die Lobeshymnen und die Begeisterung der Fans wollte er vergolden und ihn obendrein ins „Dschungelcamp“ schicken. Der Manager dachte vor allem an sich. Als sich Emil die Verträge von deutschen Freunden übersetzen ließ, merkte er, dass der sich väterlich gebende Manager 40 Prozent der Einnahmen selbst einstecken wollte. Schon wieder hatte ein Vater-Sohn-Verhältnis dem Tänzer Probleme gebracht.

Der 23-Jährige fuhr nach Stuttgart und bereitet seitdem die Emil-Show vor, eine Tanz-Show, mit der er auf Tour gehen will.

Einer seiner deutschen Freunde ist der Modedesigner Tobias Siewert, 40, der in seinem Atelier im Bohnenviertel mit dem Label einelinie die Kostüme des Tänzers schneidert. Mit ihm lernte Emil Stuttgart kennen. „Hier ist es sehr sauber“, war sein erster Eindruck. In Ludwigsburg nimmt der junge Pole Musik auf. Sein Traum ist es, beim Eurovision Song Contest aufzutreten – für Deutschland, nicht für Polen. Mit seinem Heimatland ist er noch lange nicht versöhnt.

„Was Toleranz angeht, liegt Polen etwa 20 Jahre hinter Deutschland zurück“, sagt Kusmirek, der beim Christopher Street Day (CSD), den Feier- und Protesttagen der Schwulen und Lesben, in Stuttgart Gesicht zeigt. Beim Sommerfest des CSD wird er auftreten und hat kürzlich bei einer CSD- Diskussion im Cinemaxx über die Situation in seinem Heimatland gesprochen. Brigitte Lösch (Grüne), die Vizepräsidentin des Landtags, berichtete von ihrer Reise mit einer Stuttgarter Gruppe zum CSD in Warschau. „In Mittel- und Osteuropa tragen die Kirche wie auch die Regierungen dazu bei, dass Homophobie dort noch stark verankert ist“, sagt sie und setzt sich für einen „europäischen Aktionsplan gegen Intoleranz“ ein.

In Deutschland war es ein weiter Weg zur Toleranz. Polen hat noch viel vor sich. Seit etwa drei Jahren hat Emil Kusmirek nichts mehr von seinem Vater gehört. Doch er weiß, dass dieser die deutsche RTL-Show gesehen hat. Er sah, dass sein Sohn alles gab und von den Fans geliebt wurde. Ob sich Emil wünscht, dass sein Vater stolz darauf ist? Bei dieser Frage bleibt der sonst so forsche Tänzer stumm. Fast scheint es, als würden seine Augen feucht. Es sind keine RTL-Kameras da. Sein Leben mit den alten Problemen geht weiter. Der Kampf endet wohl nie. Sind die neuen Träume stärker?

Christopher-Street-Day startet am 11. Juli

Beim Christopher Street Day (CSD), den Feiertagen der Schwulen und Lesben, lautet in diesem Jahr in Stuttgart das Motto „Tiefentoleranz“. Unter der Flagge des Regenbogens, dem Symbol der Homosexuellenbewegung, sind vom 11. bis 28. Juli über 120 Veranstaltungen geplant.

Auf dem Programm stehen unter anderem: der öffentliche Empfang mit OB Fritz Kuhn im Rathaus am 11. Juli, die glamouröse Eröffnungsgala mit Moderatorin Frl. Wommy Wonder im Friedrichsbau Varieté am 19. Juli sowie das zweitägige CSD-Sommerfest auf dem Berger Festplatz am 20. und 21. Juli, bei dem der Tänzer Emil Kusmirek, bekannt von der RTL-Show „Supertalent“, auftritt.

Beim Festival-Höhepunkt, der Polit-Parade durch die City, werden am 27. Juli über 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in über 60 Formationen sowie 200.000 Besucherinnen und Besucher erwartet.

Die traditionelle Hocketse der Aids-Hilfe findet am 27. und 28. Juli auf dem Markt- und Schillerplatz statt. Das Benefizstraßenfest steht unter dem Motto „Illusionsfrei“.

Alle Termine im Internet unter www.csd-stuttgart.de