Frage nach befristeten Alkoholverboten wird wieder laut nach Großeinsatz in der Innenstadt.
Stuttgart - Fünf Opfer, zehn Tatverdächtige, eine Handvoll Körperverletzungen, Bedrohungen, ein Raubüberfall: Es ging vergleichsweise ruhig zu in der Innenstadt, als die Polizei mit städtischen Behörden, Zoll und Steuerfahndung am Wochenende zum Großeinsatz anrückte. Die Stadt gilt als Brennpunkt. Die Kriminalitätsbelastung in Stuttgart-Mitte ist sechsmal höher als in Bad Cannstatt – und sogar 13-mal höher als in Möhringen. Doch die Polizei, befreit von den Stuttgart-21-Einsätzen, will nun wieder stärker eingreifen. „Man muss den Druck aufrechterhalten“, sagt Polizeisprecher Olef Petersen, „auch mit regelmäßigen kleineren Aktionen.“ Wir analysieren die Sicherheitslage.
Wie sieht eine typische Straftat in der Innenstadt aus?
In der Nacht zum Sonntag, dem Tag des Großeinsatzes, wurde ein 16-Jähriger um 1.20 Uhr von einem etwa 20-jährigen Duo in der Königstraße beraubt. Dessen Beute: Handy und Geldbörse. Dazu gab es einige Schlägereien in der Theodor-Heuss- und Breiten Straße sowie in der U-Haltestelle Rathaus. Körperverletzungen und Straßenraub – die Innenstadt ist Schauplatz von Gewalt und Aggressionen.
Wer sind die Täter?
Zumeist junge Leute mit reichlich Alkoholkonsum und Migrationshintergrund. Am Sonntag mal ein 19-Jähriger, der mit einer abgebrochenen Flasche droht, mal ein türkisch-italienisch-deutsch-kosovarisches Quartett im Alter von 22 bis 35 Jahren, mal ein 26-jähriger Deutscher. Ein 20-jähriger Pole hatte 2,3 Promille, als er sich an der Stadtbahn-Haltestelle mit einem 20-jährigen Griechen prügelte.
Welche Rolle spielt der Alkohol?
Eine wesentliche. Eine 17-jährige Jugendliche, die bei einer Kontrolle Widerstand gegen Polizeibeamte leistete, hatte 1,66 Promille intus. Kontrollen im Juni zeigten: Von 120 alkoholisierten Nachtschwärmern waren 34 jünger als 18 Jahre. Bei dieser Stichprobe betrug der Anteil der Jugendlichen also 28 Prozent. Fünf minderjährige Testkäufer bekamen in der Nacht zum Sonntag Hochprozentiges verkauft. Bei den ersten Polizeiaktionen im Mai betrug der Anteil der Jugendlichen im Alkoholnebel 37,5 Prozent. Laut polizeilicher Kriminalstatistik spielt Alkohol bei ermittelten Jungtätern unter 21 eine wesentliche Rolle. Bei Raub knapp 47 Prozent, bei Straßenkriminalität allgemein über 40 Prozent.
Können sich Kino- und Theaterbesucher am Wochenende noch in die Stadt trauen?
Natürlich. Die Tatzeiten liegen in der Regel weit nach Mitternacht in den frühen Morgenstunden. Beispiel Theodor-Heuss-Straße: Die etwa 300 Vorkommnisse aller Art binnen eines halben Jahres spielten sich zumeist zwischen 2.30 und 4 Uhr morgens ab.
Aber was ist mit den 100 Punks und anderen Jugendgruppen, etwa den dunkel gekleideten Emos, in der Theaterpassage?
Die sind schon früh am Abend anwesend, „deshalb kann es sein, dass sie Theaterbesuchern unangenehm auffallen“, sagt Polizeisprecher Olef Petersen. Außer Müll und Beamtenbeleidigungen gebe es aus polizeilicher Sicht aber keine Probleme.
Der Respekt vor Beamten ist deutlich gesunken
Können Eltern ihre Kinder im Teenageralter getrost in die Partyszene lassen?
Erziehungsberatung soll es an dieser Stelle nicht geben. Im Fall des 16-Jährigen, der am frühen Sonntagmorgen in der Königstraße von einem Räuber-Duo überfallen wurde, muss aber die Frage erlaubt sein, was ein 16-Jähriger um 1.20 Uhr allein in der Stadt zu suchen hat.
Bleibt die Polizei ungeschoren?
Nein. Der Respekt vor den Beamten ist deutlich gesunken. Nach einem Streit vor einer Bar in der Steinstraße am 5. Mai beispielsweise wurde die anrückende Polizei von einer Gruppe gezielt mit Flaschen beworfen. Eine 30-jährige Polizistin wurde an Hals und Oberarm getroffen und leicht verletzt. Einer der Beteiligten drohte sogar mit einem Messer. Ein Tatverdächtiger, ein 20-jähriger Türke, wurde festgenommen. Hintergrund der Randale: Gäste waren zuvor abgewiesen worden, weil das Lokal bereits voll war.
Wie sollten sich Zeugen eines Überfalls verhalten? Eingreifen – oder wegschauen? Kann man nicht selbst schnell zu einem Opfer werden?
Der Fall Dominik Brunner, der 2009 in München-Solln getötet wurde, sollte eine Mahnung, aber keine Abschreckung sein. Helfer sollten sich nicht selbst in Gefahr bringen. Meist ist es schon ausreichend, über Notruf 110 die Polizei zu verständigen und die Szenerie zu beobachten. In S-Bahnen sollte man immer versuchen, andere aktiv und direkt zur Mithilfe aufzufordern. Mit Mitstreitern tut man sich leichter – allerdings sollte man stets vermeiden, den Täter zu provozieren – oder sich provozieren zu lassen.
Warum gibt es nicht ein zeitlich befristetes Alkoholverbot an Brennpunkten?
„Wenn das rechtlich möglich wäre, gerne“, sagt Hermann Karpf, Sprecher des Ordnungsbürgermeisters. Schon lange habe die Stadt darauf gedrängt, dass es eine klare Formulierung im Polizeigesetz dafür gibt. Freiburg hatte es 2008 versucht – wurde aber ein Jahr später vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückgepfiffen. Ende vergangenen Jahres kündigte Innenminister Reinhold Gall (SPD) eine Änderung des Polizeigesetztes an – doch offenbar steckt der Teufel im Detail. Bisher jedenfalls gibt es keine Neuerung.
„Die Schwelle für ein befristetes Verbot muss niedrig angelegt sein“, sagt Karpf. Also keine Häufung von Straftaten wie bei der Videoüberwachung. Ordnungsstörungen sollen schon ausreichen. „Die Bewohner des Hospitalviertels würden es danken“, sagt Karpf. Durch dieses Quartier zieht das Partyvolk zwischen Berliner Platz und Theodor-Heuss-Straße. Bei der Studie der Polizeidirektion Freiburg, bei der es um die Suche nach Brennpunkten ging, haben sich Stuttgart und Mannheim nicht beteiligt.