Der Narrensprung in der Kirchtorstraße vor dem Rathaus am 1. März 1949. Foto: Privat

Die vierte Nachkriegsfastnacht in Oberndorf vor 75 Jahren: Brot- und Fleischmarken aus der Bürgerschaft schenkten den Kindern mit Brezeln und Würste eine Freude.

Die Fastnacht ist für viele Menschen nicht nur ein großes Erlebnis, sondern auch ein wichtiges Fotomotiv. Früher oder später sind viele zu Zeitzeugen der Fastnachtsgeschichte geworden. So vermitteln auch einige vor kurzem in einem alten Fotoalbum entdeckte Bilder von der Fastnacht in Oberndorf 1949 einen anschaulichen Eindruck von der Atmosphäre dieser Zeit.

 

Die Fastnacht vor 75 Jahren war die vierte Fastnacht nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen zwei zentralen Ereignissen der Nachkriegszeit, zum einen der Währungsreform am 20. Mai 1948 und zum anderen der Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949.

In Oberndorf war diese Zeit von der Demontage der ehemaligen Mauser-Werke AG durch die französische Besatzungsmacht überschattet, in der die bedeutende Industriestadt um ihre Existenz kämpfte. 1061 Oberndorfer mussten deshalb ihr Brot in Rottweil, Schramberg und Schwenningen verdienen. Größere Gruppen ehemaliger Mauser-Mitarbeiter mussten sich sogar nach Baden und nach Frankreich begeben.

Den Kindern zur Freude

Die erste Fastnacht der Nachkriegszeit verlief im Jahr 1946 aufgrund der allgemeinen Not noch völlig „sang- und klanglos“. Das Ziel, wenigstens den Kindern wieder etwas Freude zu bereiten, veranlasste 1947 einige ehemalige Elferräte, bei der französischen Besatzungsmacht die Erlaubnis zu einer Fastnachtsveranstaltung im Gasthaus „Schützen“ zu beantragen.

Mit gespendeten Brot- und Fleischmarken aus der Bürgerschaft wurden die Brezeln und Würste für die Kinder finanziert. Spontan kam es aus der Saalveranstaltung heraus zum ersten Narrensprung der Nachkriegszeit durch die Straßen der Stadt.

Schantle bereiten Kinder eine Freude. Foto: privat

Am 11. November 1947 erlaubte die französische Besatzungsmacht zum Jahresende die Neugründung der Narrenzunft. Zum ersten Präsidenten wurde der Weinhändler Eugen Lemperle (1901 – 1967) gewählt, dessen Familie mit der Weinstube „i-Dipfele“ einen bis heute sehr beliebten Mittelpunkt der Fastnacht in Oberndorf fortführt. Die dritte Fastnacht der Nachkriegszeit im Jahr 1948 war dann zum ersten Mal wieder eine Fastnacht wie in der Vorkriegszeit, insbesondere mit dem ersten Bürgerball der Nachkriegszeit, der aufgrund des Publikumsansturms auf die Gasthäuser „Schützen“ und „Bären“ verteilt werden musste, die einen Saal besaßen.

Schwäbische Orangen als Alternative

Nach der „Währungsreform“ besserte sich die Wirtschaftslage zwar erheblich, die „Zwangswirtschaft“ blieb aber noch weiter bestehen, so dass die Narrenzunft am 14. Februar 1949 erneut dazu aufrief, bei den Bäckern und Metzgern möglichst viele Brot- und Fleischmarken zu spenden, „damit nach altem Herkommen die übliche Kinderbescherung am Fastnachtssonntag stattfinden kann.“ Schmerzlich vermissen musste man weiterhin Orangen, so dass die Schantle damals wie die Narros Brezeln auswerfen mussten.

Ersatzweise verpackte man zur Fastnacht des Jahres 1949 Äpfel in Orangenpapier und beschriftete es mit: „Schwäbische Orangen, Plantage Münsingen, Schwäbisch Sibirien.“ Im „Schwäbischen Tagblatt“ in Münsingen erschien daraufhin eine Replik, die auch von der „Schwarzwälder Post“ in Oberndorf nachgedruckt wurde: „Als Eure ‚Schantle’ einst Orangen schmissen / Beim Narrensprung, hat man sich drum gerissen, / Und wenn sie heuer dafür Äpfel werfen / Dann wird die Menge sich auch darum zerfen, / Und daß Ihr ‚Schwäbische Orangen saget / Zeigt, daß Humor Ihr habt und nicht verzaget.“

Großes Erlebnis

Der historische Narrensprung am 1. März 1949 war für die emotional ausgehungerten Zeitgenossen am Fastnachtsdienstag ein großes Erlebnis: „Schon lange zuvor säumten die Völker die Straßen. Ein dichtes und bei solcher Gelegenheit nicht sehr willkommenes Schneetreiben setzte ein […] Die Benner-Rößle schafften Platz. Die Stadtkapelle intonierte den Narrenmarsch. Es folgte wieder der Narrensamen in bunter Farbenpracht und großer Zahl. Dann die Hansel und Narros, die jeweils ein Mäschkerle in der Mitte führten. Dann die Schantle mit ihren reich variierten Larven.“

In der Mittagszeit trafen sich die Hansel, Narros und Schantle im Gasthaus „Bären“ zum Narrenessen. Am Nachmittag begaben sie sich zum erneut auf die Straße: „Die Körbe der Schantle waren dieses Jahr besser gefüllt als 1948. Es war nicht notwendig, Hutzle statt Würsten anzubieten.“

Am Abend wurde die Fasnet dann in den größeren Gasthäusern beim Tanz begraben. Bilanziert wurde die Fastnacht vor 75 Jahren schließlich so: „Und nun sind die närrischen Tage vorbei. Wir haben unsere Sorgen vorübergehend vergessen dürfen, sie sind inzwischen weder geschwunden noch kleiner geworden. Aber wir haben in den frohen Stunden der Fasnet unseren Humor wiedergefunden.“