Modeschöpfer Jean Paul Gaultier ist ein überraschend sympathischer Gesprächspartner. Foto: picture alliance / Francois Mori

An diesem Donnerstag ist Jean Paul Gaultier Stargast von Heidi Klums Castingshow. Ihm eilt der Ruf eines Enfant Terrible der Mode voraus. Doch sitzt man ihm gegenüber, entpuppt sich der 71-jährige Franzose als liebenswerter Gesprächspartner.

Wir haben den weltberühmten Modedesigner, der mit seiner prallbunten, extravaganten und aufwendig inszenierten Mode-und-Musik-Revue „Fashion Freak Show“ im Sommer zur Deutschlandpremiere nach München kommt, bei den Proben in einem Londoner Tanzstudio getroffen. Doch die erste Frage gilt Heidi Klums Castingshow.

Monsieur Gaultier, Sie sind einer der Stargäste im Finale der TV-Show „Germany’s Next Topmodel“ am 15. Juni. Bereits im vergangenen Jahr haben Sie als Gastjuror in einer Folge mitgemacht. Was halten Sie von der Sendung?

Ich finde diese Show gut. Letztes Jahr war zum Beispiel eine ältere Lady dabei, die ziemlich weit gekommen ist, das fand ich toll. Ich bin nämlich der Überzeugung, dass das Alter eines der letzten Tabus in der Mode ist. Und auch in der Gesellschaft an sich. Wir müssen darum kämpfen, dass endlich eine Binsenweisheit anerkannt wird: Ein Mensch ist in jedem Alter schön. Oft kommt es vor, dass einst sehr attraktive Menschen durch Frust und Ärger im Leben immer hässlicher werden. Und Menschen, die in der Jugend eher unscheinbar waren, fangen im Alter an zu strahlen, weil sie ein glückliches Leben haben.

Ist nicht gerade die Modebranche von einem regelrechten Jugendkult geprägt?

Von diesem Denken sollten wir uns lösen. Die Gesellschaft hat sich in den vergangenen 15, 20 Jahren massiv verändert, heute werden die Kids nicht mehr von Lehrerinnen und Lehrern erzogen, sondern von dem, was sie im Internet und den sozialen Medien sehen. Die Menschen haben Panik, weil sie denken, sie würden nicht existieren, wenn sie nicht permanent online stattfinden. Und alle sind bestrebt, möglichst gut, möglichst perfekt zu sein. Aber ich denke, zu viel des Guten ist schlecht. Ich finde junge Menschen, überhaupt Menschen, spannender, die Fehler machen, die auch mal hinfallen.

Wäre es nicht mal an der Zeit für eine weltumspannende neue Jugendkultur?

Definitiv. Ein rebellischer Schub so wie die Technokultur in den Neunzigern könnte sehr viel an neuer Kreativität freisetzen. Aber die Revolutionen kommen aus der Subkultur, so wie es damals beim Punk der Fall war. Aber durch das Internet haben die Leute überall auf der Welt den gleichen Look. Individualität hat es heutzutage ziemlich schwer zu erreichen.

Im Juli gastieren Sie mit Ihrer „Fashion Freak Show“ in der Isarphilharmonie. Was schätzen Sie persönlich an München?

München ist eine wunderschöne Stadt. Ich liebe auch Berlin, aber München ist ganz anders. An diesen zwei Städten zeigt sich sehr eindrucksvoll, wie unterschiedlich und vielfältig Deutschland ist.

Haben Sie eine besondere Erinnerung an München?

Ich bin ein einziges Mal auf dem Oktoberfest gewesen, vor ziemlich vielen Jahren. Dort habe ich Bier getrunken, aber nur ein bisschen. Ich hatte den Eindruck, es war nicht genug.

Was hatten Sie angezogen?

Eine Lederhose, gemacht aus einem ganz weichen Hirschleder. Ich liebe diese Tradition.

Die „Fashion Freak Show“ ist eine spektakuläre Revue mit autobiografischen Bezügen und eigens von Ihnen entworfenen Kostümen. Für wen haben Sie die Show konzipiert?

Für alle Menschen, die Mode lieben. Die Show ist extrem visuell und voller Musik. Wer gerne die Songs aus den Achtzigern hört, von George Michael, Culture Club, Eurythmics oder Chic, der wird begeistert sein.

Zeichnet die Show auch Ihr Leben nach?

Nur ein bisschen. Die „Fashion Freak Show“ ist kein Biopic. Die Story ist eigentlich nicht so wichtig, mein Leben ist höchstens der Startpunkt für ein Tableau aus visuellen Knalleffekten. Die Geschichte des kleinen Jungen, der davon träumt, Modeschöpfer zu werden, bekommt man zwar mit, aber sie steht nicht im Mittelpunkt dieses Feuerwerks für Augen und Ohren.

Ihre Eltern hatten mit der Modebranche nichts zu tun. Ihre Mutter hat in einem Restaurant gearbeitet, Ihr Vater als Buchhalter. An wem hat der junge Jean Paul seine modischen Fantasien ausgelebt?

An Nana, meinem Teddybären. Man kann nicht sagen, ob Nana ein Weibchen oder ein Männchen ist. Ich habe den Bären nie auf ein Geschlecht festlegen wollen. Aber was ich ganz genau wusste: Ich wollte schon als Teenager unbedingt Designer werden, nachdem ich den Film „Falbalas“ aus dem Jahr 1945 gesehen hatte. Darin geht es um einen Modeschöpfer, der die anderen Menschen viel mehr liebt als sich selbst. Das fand ich faszinierend. Also begann ich, mich an Nana auszutoben. Meinen ersten Entwurf des „Cone Bra“, den 1990 Madonna auf ihrer „Blond Ambition World Tour“ trug, habe ich für Nana gemacht.

Was ist aus Nana geworden? Gibt es den Bären noch?

Ja, natürlich. Nana lebt in einem Schuhkarton. Sie ist nicht in allerbestem Zustand, das muss man sagen. Ich habe viele Operationen an ihr ausgeführt. Einmal, als ich sah, wie Christiaan Barnard in Südafrika die erste Herztransplantation der Welt gelang, habe auch ich Nana am offenen Herzen operiert, so wie der Professor im Fernsehen. Irgendwann sah Nana aus wie ein Monster. Ich habe alle möglichen Experimente an ihr ausprobiert, habe sie mit dem Make-up, dem Lippenstift und dem Puder meiner Großmutter traktiert. Dieser Bär musste sehr viel aushalten. Einmal habe ich sie geöffnet, da kam das Stroh aus ihrem Körper, und ihr Implantate eingesetzt. Und die Haare habe ich Nana so gefärbt wie meiner Oma.

Haben Sie viele lukrative Angebote für Nana bekommen?

Sicherlich, aber für kein Geld der Welt würde ich Nana weggeben. Das wäre ja so, als würde ich mein Baby verkaufen.

War das Verhältnis zu Ihrer Großmutter ein enges?

Oh ja, durch sie bin ich überhaupt so richtig zur Mode gekommen. Oma hatte einen Schönheitssalon, und sie las gern Modemagazine. Bei ihr hielt ich mich sehr gern auf und entdeckte diese Welt, die mich packte und nicht mehr losließ. Oma hatte weiße Haare. Einmal hatte sie einen Fehler mit dem Färben gemacht, da waren die Haare blau. Ich dachte, ich kann das beheben, und am Ende war ihr Haar dunkellila. Sie hat es mir nicht krummgenommen.

In den Achtzigern färbten Sie sich selbst die Haare weißblond. Eine Hommage an Ihre Großmutter?

Gaultier: Nein, daran war Billy Idol schuld. Ich fand seine gebleichten Haare total klasse. Ich weiß noch, wie mein Freund überhaupt nicht begeistert war und meinte „Lass es, das machen doch schon alle“, aber ich wollte die Haare trotzdem weiß haben. Nach ein paar Jahren fingen sie an, kaputtzugehen, und ich ließ es sein. Um auszusehen wie ein Punk, hatte ich meinen Skalp ganz schön in Mitleidenschaft gezogen.

David Bowie und Mick Jagger dienten Ihnen als Inspiration, Sie haben Amy Winehouse verehrt und entwarfen Outfits für Lady Gaga und Madonna. Gibt es aktuell Popstars, die Sie aufregend finden?

Alle diese Persönlichkeiten, die Sie nennen, sind spektakuläre Charaktere mit viel Mut, einem einzigartigen, Pardon, geilen, Look und den passenden, famosen Songs. Dazu haben sie alle etwas leicht Rebellisches, was mich einfach anmacht. Ich möchte noch die Sängerin Sade erwähnen, die ich immer noch toll finde, sie ist eine einmalige und herausragende Persönlichkeit. Heute haben selbst Popstars oft Angst, zu sehr aufzufallen oder herauszustechen. Es geht vor allem um die virtuelle Präsenz in den sozialen Medien, sie wollen nicht anecken, sondern so viele Menschen erreichen, wie nur möglich.

Sie sagen hingegen, dass alle Menschen schön sind.

Genau, das ist meine tiefe Überzeugung. Vor allem auch die Menschen, die gar nicht wissen, wie schön sie sind. Makellosigkeit ist langweilig. Und Schönheit ist sowieso eine Frage der Definition. Ich liebe vor allem das Ungewöhnliche, das Originelle und das Einzigartige an Menschen. Ich finde Schönheit eher auf der Straße als auf dem Laufsteg.

Halten Sie sich selbst eigentlich für schön?

Ich bin mit mir zufrieden. Ich habe keinen sportlichen oder athletischen Körper, aber das macht mir nichts aus. Für mich kommt die Schönheit sowieso eher von innen. Wie oft erleben wir es, dass eine äußerlich superattraktive Person den Mund aufmacht, um etwas zu sagen und dabei schlagartig jede Ausstrahlung einbüßt? Schönheit ist für mich ein Gesamtkonzept.

Hat sich Ihre Mode deshalb immer vor allem an die Freaks gerichtet?

Ja, ich denke, Freaks leuchten heller als andere Menschen. Ich liebe Freaks, sie regen meine Vorstellungskraft an und machen mich neugierig. Uma Thurman zum Beispiel ist für mich ein Beispiel für einen wunderschönen Freak. Sie sieht fantastisch aus, und doch ist ihr Gesicht nicht perfekt, sie hat da so eine kleine Unebenheit an der Lippe, die ich total anziehend finde.

Sie werden nach wie vor überall auf der Welt erkannt, Ihre Kleidungsstücke wie der Streifenpullover sind absolut ikonisch. Macht es Ihnen eigentlich Freude, berühmt zu sein?

Nein, darum ist es mir nie gegangen. Ich habe ganz gewiss nicht den Beruf des Modedesigners gewählt, um ein Prominenter zu werden. Ich stand nicht so auf den Personenkult der Achtziger und Neunziger, ich war immer ziemlich bodenständig und normal. Ich habe mich nie zu wichtig genommen, und ich denke, es ist mir gelungen, den kindlichen Aspekt meines Wesens zu bewahren.

Mode für Freaks

Happenings
  Jean Paul Gaultier ist ein französischer Modeschöpfer und Gründer der nach ihm benannten Modefirma. Er kreiert sehr ausgefallene, oftmals kaum tragbare Mode, die er häufig in Happenings vorstellt.

Models
Dabei setzt er gerne unkonventionelle Modelle wie ältere, übergewichtige Frauen oder gepiercte und tätowierte Personen ein. Eines seiner Markenzeichen ist das weiße Langarm-T-Shirt mit schmalen blauen Querstreifen im Marine-Stil.